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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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54.

1) Das Vorbild. Ehe wir mit der aus dem
vorigen Versuch uns schon bekannten doppelfarbigen
Pappe weiter operiren, so müssen wir sie und ihre Ei-
genschaften uns erst näher bekannt machen.

55.

Man bringe mennigrothes und sattblaues Papier
neben einander, so wird jenes hell, dieses aber dunkel
und, besonders bey Nacht, dem Schwarzen fast ähnlich
erscheinen. Wickelt man nun schwarze Fäden um beyde,
oder zieht man schwarze Linien darüber her, so ist offen-
bar, daß man mit bloßem Auge die schwarzen Linien
auf dem hellrothen in ziemlicher Entfernung erkennen
wird, wo man eben diese Linien auf dem blauen noch
nicht erkennen kann. Man denke sich zwey Männer,
den einen im scharlachrothen, den andern im dunkel-
blauen Rocke, beyde Kleider mit schwarzen Knöpfen;
man lasse sie beyde neben einander eine Straße heran
gegen den Beobachter kommen; so wird dieser die
Knöpfe des rothen Rocks viel eher sehen, als die des
blauen, und die beyden Personen müssen schon nahe
seyn, wenn beyde Kleider mit ihren Knöpfen gleich
deutlich dem Auge erscheinen sollen.

56.

Um daher das richtige Verhältniß jenes Versuches
einzusehen, vermannigfaltige man ihn. Man theile eine

25 *
54.

1) Das Vorbild. Ehe wir mit der aus dem
vorigen Verſuch uns ſchon bekannten doppelfarbigen
Pappe weiter operiren, ſo muͤſſen wir ſie und ihre Ei-
genſchaften uns erſt naͤher bekannt machen.

55.

Man bringe mennigrothes und ſattblaues Papier
neben einander, ſo wird jenes hell, dieſes aber dunkel
und, beſonders bey Nacht, dem Schwarzen faſt aͤhnlich
erſcheinen. Wickelt man nun ſchwarze Faͤden um beyde,
oder zieht man ſchwarze Linien daruͤber her, ſo iſt offen-
bar, daß man mit bloßem Auge die ſchwarzen Linien
auf dem hellrothen in ziemlicher Entfernung erkennen
wird, wo man eben dieſe Linien auf dem blauen noch
nicht erkennen kann. Man denke ſich zwey Maͤnner,
den einen im ſcharlachrothen, den andern im dunkel-
blauen Rocke, beyde Kleider mit ſchwarzen Knoͤpfen;
man laſſe ſie beyde neben einander eine Straße heran
gegen den Beobachter kommen; ſo wird dieſer die
Knoͤpfe des rothen Rocks viel eher ſehen, als die des
blauen, und die beyden Perſonen muͤſſen ſchon nahe
ſeyn, wenn beyde Kleider mit ihren Knoͤpfen gleich
deutlich dem Auge erſcheinen ſollen.

56.

Um daher das richtige Verhaͤltniß jenes Verſuches
einzuſehen, vermannigfaltige man ihn. Man theile eine

25 *
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[387/0441] 54. 1) Das Vorbild. Ehe wir mit der aus dem vorigen Verſuch uns ſchon bekannten doppelfarbigen Pappe weiter operiren, ſo muͤſſen wir ſie und ihre Ei- genſchaften uns erſt naͤher bekannt machen. 55. Man bringe mennigrothes und ſattblaues Papier neben einander, ſo wird jenes hell, dieſes aber dunkel und, beſonders bey Nacht, dem Schwarzen faſt aͤhnlich erſcheinen. Wickelt man nun ſchwarze Faͤden um beyde, oder zieht man ſchwarze Linien daruͤber her, ſo iſt offen- bar, daß man mit bloßem Auge die ſchwarzen Linien auf dem hellrothen in ziemlicher Entfernung erkennen wird, wo man eben dieſe Linien auf dem blauen noch nicht erkennen kann. Man denke ſich zwey Maͤnner, den einen im ſcharlachrothen, den andern im dunkel- blauen Rocke, beyde Kleider mit ſchwarzen Knoͤpfen; man laſſe ſie beyde neben einander eine Straße heran gegen den Beobachter kommen; ſo wird dieſer die Knoͤpfe des rothen Rocks viel eher ſehen, als die des blauen, und die beyden Perſonen muͤſſen ſchon nahe ſeyn, wenn beyde Kleider mit ihren Knoͤpfen gleich deutlich dem Auge erſcheinen ſollen. 56. Um daher das richtige Verhaͤltniß jenes Verſuches einzuſehen, vermannigfaltige man ihn. Man theile eine 25 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/441>, abgerufen am 21.11.2024.