tem Papier hinblickt, einmal den brechenden Winkel aufwärts und sodann denselben unterwärts gekehrt.
Was heißt nun aber diese umständliche Vorrichtung anders, als man bringe das oben beschriebene doppel- farbige Papier auf einen schwarzen Grund, oder man klebe ein rothes und ein blaues Viereck horizontal ne- ben einander auf eine schwarzgrundirte Tafel, und stelle sie vor sich hin; denn es ist ganz gleichgültig, ob dieser schwarze Grund auch einigermaßen erleuchtet sey, und allenfalls ein dunkles Grau vorstelle, das Phäno- men wird immer dasselbe seyn. Durch die sämmtlichen Newtonischen Versuche jedoch geht eine solche pedanti- sche Genauigkeit, alles nach seiner Hypothese unzerlegte Licht zu entfernen, und dadurch seinen Experimenten eine Art von Reinlichkeit zu geben, welche, wie wir noch genugsam zeigen werden, durchaus nichtig ist, und nur zu unnützen Forderungen und Bedingungen die Veranlassung gibt.
42.
Als diese Dinge so geordnet waren, fand ich, indem ich den brechenden Winkel des Prismas aufwärts kehrte, und das farbige Papier scheinbar in die Höhe hob, daß die blaue Hälfte durch die Brechung höher gehoben wurde, als die ro- the Hälfte. Wenn ich dagegen den brechenden Winkel unter- wärts kehrte, so daß das Papier durch die Brechung herabge- zogen schien; so war die blaue Hälfte tiefer heruntergeführt als die rothe.
43.
Wir haben in unserm Entwurf der Farbenlehre die
tem Papier hinblickt, einmal den brechenden Winkel aufwaͤrts und ſodann denſelben unterwaͤrts gekehrt.
Was heißt nun aber dieſe umſtaͤndliche Vorrichtung anders, als man bringe das oben beſchriebene doppel- farbige Papier auf einen ſchwarzen Grund, oder man klebe ein rothes und ein blaues Viereck horizontal ne- ben einander auf eine ſchwarzgrundirte Tafel, und ſtelle ſie vor ſich hin; denn es iſt ganz gleichguͤltig, ob dieſer ſchwarze Grund auch einigermaßen erleuchtet ſey, und allenfalls ein dunkles Grau vorſtelle, das Phaͤno- men wird immer daſſelbe ſeyn. Durch die ſaͤmmtlichen Newtoniſchen Verſuche jedoch geht eine ſolche pedanti- ſche Genauigkeit, alles nach ſeiner Hypotheſe unzerlegte Licht zu entfernen, und dadurch ſeinen Experimenten eine Art von Reinlichkeit zu geben, welche, wie wir noch genugſam zeigen werden, durchaus nichtig iſt, und nur zu unnuͤtzen Forderungen und Bedingungen die Veranlaſſung gibt.
42.
Als dieſe Dinge ſo geordnet waren, fand ich, indem ich den brechenden Winkel des Prismas aufwaͤrts kehrte, und das farbige Papier ſcheinbar in die Hoͤhe hob, daß die blaue Haͤlfte durch die Brechung hoͤher gehoben wurde, als die ro- the Haͤlfte. Wenn ich dagegen den brechenden Winkel unter- waͤrts kehrte, ſo daß das Papier durch die Brechung herabge- zogen ſchien; ſo war die blaue Haͤlfte tiefer heruntergefuͤhrt als die rothe.
43.
Wir haben in unſerm Entwurf der Farbenlehre die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0434"n="380"/>
tem Papier hinblickt, einmal den brechenden Winkel<lb/>
aufwaͤrts und ſodann denſelben unterwaͤrts gekehrt.</p><lb/><p>Was heißt nun aber dieſe umſtaͤndliche Vorrichtung<lb/>
anders, als man bringe das oben beſchriebene doppel-<lb/>
farbige Papier auf einen ſchwarzen Grund, oder man<lb/>
klebe ein rothes und ein blaues Viereck horizontal ne-<lb/>
ben einander auf eine ſchwarzgrundirte Tafel, und<lb/>ſtelle ſie vor ſich hin; denn es iſt ganz gleichguͤltig, ob<lb/>
dieſer ſchwarze Grund auch einigermaßen erleuchtet ſey,<lb/>
und allenfalls ein dunkles Grau vorſtelle, das Phaͤno-<lb/>
men wird immer daſſelbe ſeyn. Durch die ſaͤmmtlichen<lb/>
Newtoniſchen Verſuche jedoch geht eine ſolche pedanti-<lb/>ſche Genauigkeit, alles nach ſeiner Hypotheſe unzerlegte<lb/>
Licht zu entfernen, und dadurch ſeinen Experimenten<lb/>
eine Art von Reinlichkeit zu geben, welche, wie wir<lb/>
noch genugſam zeigen werden, durchaus nichtig iſt, und<lb/>
nur zu unnuͤtzen Forderungen und Bedingungen die<lb/>
Veranlaſſung gibt.</p></div><lb/><divn="5"><head>42.</head><lb/><p>Als dieſe Dinge ſo geordnet waren, fand ich, indem ich<lb/>
den brechenden Winkel des Prismas aufwaͤrts kehrte, und das<lb/>
farbige Papier ſcheinbar in die Hoͤhe hob, daß die blaue<lb/>
Haͤlfte durch die Brechung hoͤher gehoben wurde, als die ro-<lb/>
the Haͤlfte. Wenn ich dagegen den brechenden Winkel unter-<lb/>
waͤrts kehrte, ſo daß das Papier durch die Brechung herabge-<lb/>
zogen ſchien; ſo war die blaue Haͤlfte tiefer heruntergefuͤhrt<lb/>
als die rothe.</p></div><lb/><divn="5"><head>43.</head><lb/><p>Wir haben in unſerm Entwurf der Farbenlehre die<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[380/0434]
tem Papier hinblickt, einmal den brechenden Winkel
aufwaͤrts und ſodann denſelben unterwaͤrts gekehrt.
Was heißt nun aber dieſe umſtaͤndliche Vorrichtung
anders, als man bringe das oben beſchriebene doppel-
farbige Papier auf einen ſchwarzen Grund, oder man
klebe ein rothes und ein blaues Viereck horizontal ne-
ben einander auf eine ſchwarzgrundirte Tafel, und
ſtelle ſie vor ſich hin; denn es iſt ganz gleichguͤltig, ob
dieſer ſchwarze Grund auch einigermaßen erleuchtet ſey,
und allenfalls ein dunkles Grau vorſtelle, das Phaͤno-
men wird immer daſſelbe ſeyn. Durch die ſaͤmmtlichen
Newtoniſchen Verſuche jedoch geht eine ſolche pedanti-
ſche Genauigkeit, alles nach ſeiner Hypotheſe unzerlegte
Licht zu entfernen, und dadurch ſeinen Experimenten
eine Art von Reinlichkeit zu geben, welche, wie wir
noch genugſam zeigen werden, durchaus nichtig iſt, und
nur zu unnuͤtzen Forderungen und Bedingungen die
Veranlaſſung gibt.
42.
Als dieſe Dinge ſo geordnet waren, fand ich, indem ich
den brechenden Winkel des Prismas aufwaͤrts kehrte, und das
farbige Papier ſcheinbar in die Hoͤhe hob, daß die blaue
Haͤlfte durch die Brechung hoͤher gehoben wurde, als die ro-
the Haͤlfte. Wenn ich dagegen den brechenden Winkel unter-
waͤrts kehrte, ſo daß das Papier durch die Brechung herabge-
zogen ſchien; ſo war die blaue Haͤlfte tiefer heruntergefuͤhrt
als die rothe.
43.
Wir haben in unſerm Entwurf der Farbenlehre die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/434>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.