Hiermit ist ein anderer Gebrauch nahe verwandt, den man den allegorischen nennen könnte. Bey diesem ist mehr zufälliges und willkührliches, ja man kann sagen etwas Conventionelles, indem uns erst der Sinn des Zeichens überliefert werden muß, ehe wir wissen, was es bedeuten soll, wie es sich z. B. mit der grünen Farbe verhält, die man der Hoff- nung zugetheilt hat.
918.
Daß zuletzt auch die Farbe eine mystische Deu- tung erlaube, läßt sich wohl ahnden. Denn da jenes Schema, worin sich die Farbenmannigfaltigkeit dar- stellen läßt, solche Urverhältnisse andeutet, die sowohl der menschlichen Anschauung als der Natur angehören, so ist wohl kein Zweifel, daß man sich ihrer Bezüge, gleichsam als einer Sprache, auch da bedienen könne, wenn man Urverhältnisse ausdrücken will, die nicht eben so mächtig und mannigfaltig in die Sinne fallen. Der Mathematiker schätzt den Werth und Gebrauch des Triangels; der Triangel steht bey dem Mystiker in großer Verehrung; gar manches läßt sich im Tri- angel schematisiren und die Farbenerscheinung gleich- falls, und zwar dergestalt, daß man durch Verdopp- lung und Verschränkung zu dem alten geheimnißvollen Sechseck gelangt.
919.
Wenn man erst das Auseinandergehen des Gelben und Blauen wird recht gefaßt, besonders
I. 22
917.
Hiermit iſt ein anderer Gebrauch nahe verwandt, den man den allegoriſchen nennen koͤnnte. Bey dieſem iſt mehr zufaͤlliges und willkuͤhrliches, ja man kann ſagen etwas Conventionelles, indem uns erſt der Sinn des Zeichens uͤberliefert werden muß, ehe wir wiſſen, was es bedeuten ſoll, wie es ſich z. B. mit der gruͤnen Farbe verhaͤlt, die man der Hoff- nung zugetheilt hat.
918.
Daß zuletzt auch die Farbe eine myſtiſche Deu- tung erlaube, laͤßt ſich wohl ahnden. Denn da jenes Schema, worin ſich die Farbenmannigfaltigkeit dar- ſtellen laͤßt, ſolche Urverhaͤltniſſe andeutet, die ſowohl der menſchlichen Anſchauung als der Natur angehoͤren, ſo iſt wohl kein Zweifel, daß man ſich ihrer Bezuͤge, gleichſam als einer Sprache, auch da bedienen koͤnne, wenn man Urverhaͤltniſſe ausdruͤcken will, die nicht eben ſo maͤchtig und mannigfaltig in die Sinne fallen. Der Mathematiker ſchaͤtzt den Werth und Gebrauch des Triangels; der Triangel ſteht bey dem Myſtiker in großer Verehrung; gar manches laͤßt ſich im Tri- angel ſchematiſiren und die Farbenerſcheinung gleich- falls, und zwar dergeſtalt, daß man durch Verdopp- lung und Verſchraͤnkung zu dem alten geheimnißvollen Sechseck gelangt.
919.
Wenn man erſt das Auseinandergehen des Gelben und Blauen wird recht gefaßt, beſonders
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917.
Hiermit iſt ein anderer Gebrauch nahe verwandt,
den man den allegoriſchen nennen koͤnnte. Bey dieſem
iſt mehr zufaͤlliges und willkuͤhrliches, ja man kann
ſagen etwas Conventionelles, indem uns erſt der
Sinn des Zeichens uͤberliefert werden muß, ehe wir
wiſſen, was es bedeuten ſoll, wie es ſich z. B.
mit der gruͤnen Farbe verhaͤlt, die man der Hoff-
nung zugetheilt hat.
918.
Daß zuletzt auch die Farbe eine myſtiſche Deu-
tung erlaube, laͤßt ſich wohl ahnden. Denn da jenes
Schema, worin ſich die Farbenmannigfaltigkeit dar-
ſtellen laͤßt, ſolche Urverhaͤltniſſe andeutet, die ſowohl
der menſchlichen Anſchauung als der Natur angehoͤren,
ſo iſt wohl kein Zweifel, daß man ſich ihrer Bezuͤge,
gleichſam als einer Sprache, auch da bedienen koͤnne,
wenn man Urverhaͤltniſſe ausdruͤcken will, die nicht
eben ſo maͤchtig und mannigfaltig in die Sinne fallen.
Der Mathematiker ſchaͤtzt den Werth und Gebrauch
des Triangels; der Triangel ſteht bey dem Myſtiker
in großer Verehrung; gar manches laͤßt ſich im Tri-
angel ſchematiſiren und die Farbenerſcheinung gleich-
falls, und zwar dergeſtalt, daß man durch Verdopp-
lung und Verſchraͤnkung zu dem alten geheimnißvollen
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Wenn man erſt das Auseinandergehen des
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/391>, abgerufen am 21.11.2024.
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