Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
917.

Hiermit ist ein anderer Gebrauch nahe verwandt,
den man den allegorischen nennen könnte. Bey diesem
ist mehr zufälliges und willkührliches, ja man kann
sagen etwas Conventionelles, indem uns erst der
Sinn des Zeichens überliefert werden muß, ehe wir
wissen, was es bedeuten soll, wie es sich z. B.
mit der grünen Farbe verhält, die man der Hoff-
nung zugetheilt hat.

918.

Daß zuletzt auch die Farbe eine mystische Deu-
tung erlaube, läßt sich wohl ahnden. Denn da jenes
Schema, worin sich die Farbenmannigfaltigkeit dar-
stellen läßt, solche Urverhältnisse andeutet, die sowohl
der menschlichen Anschauung als der Natur angehören,
so ist wohl kein Zweifel, daß man sich ihrer Bezüge,
gleichsam als einer Sprache, auch da bedienen könne,
wenn man Urverhältnisse ausdrücken will, die nicht
eben so mächtig und mannigfaltig in die Sinne fallen.
Der Mathematiker schätzt den Werth und Gebrauch
des Triangels; der Triangel steht bey dem Mystiker
in großer Verehrung; gar manches läßt sich im Tri-
angel schematisiren und die Farbenerscheinung gleich-
falls, und zwar dergestalt, daß man durch Verdopp-
lung und Verschränkung zu dem alten geheimnißvollen
Sechseck gelangt.

919.

Wenn man erst das Auseinandergehen des
Gelben und Blauen wird recht gefaßt, besonders

I. 22
917.

Hiermit iſt ein anderer Gebrauch nahe verwandt,
den man den allegoriſchen nennen koͤnnte. Bey dieſem
iſt mehr zufaͤlliges und willkuͤhrliches, ja man kann
ſagen etwas Conventionelles, indem uns erſt der
Sinn des Zeichens uͤberliefert werden muß, ehe wir
wiſſen, was es bedeuten ſoll, wie es ſich z. B.
mit der gruͤnen Farbe verhaͤlt, die man der Hoff-
nung zugetheilt hat.

918.

Daß zuletzt auch die Farbe eine myſtiſche Deu-
tung erlaube, laͤßt ſich wohl ahnden. Denn da jenes
Schema, worin ſich die Farbenmannigfaltigkeit dar-
ſtellen laͤßt, ſolche Urverhaͤltniſſe andeutet, die ſowohl
der menſchlichen Anſchauung als der Natur angehoͤren,
ſo iſt wohl kein Zweifel, daß man ſich ihrer Bezuͤge,
gleichſam als einer Sprache, auch da bedienen koͤnne,
wenn man Urverhaͤltniſſe ausdruͤcken will, die nicht
eben ſo maͤchtig und mannigfaltig in die Sinne fallen.
Der Mathematiker ſchaͤtzt den Werth und Gebrauch
des Triangels; der Triangel ſteht bey dem Myſtiker
in großer Verehrung; gar manches laͤßt ſich im Tri-
angel ſchematiſiren und die Farbenerſcheinung gleich-
falls, und zwar dergeſtalt, daß man durch Verdopp-
lung und Verſchraͤnkung zu dem alten geheimnißvollen
Sechseck gelangt.

919.

Wenn man erſt das Auseinandergehen des
Gelben und Blauen wird recht gefaßt, beſonders

I. 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0391" n="337"/>
            <div n="4">
              <head>917.</head><lb/>
              <p>Hiermit i&#x017F;t ein anderer Gebrauch nahe verwandt,<lb/>
den man den allegori&#x017F;chen nennen ko&#x0364;nnte. Bey die&#x017F;em<lb/>
i&#x017F;t mehr zufa&#x0364;lliges und willku&#x0364;hrliches, ja man kann<lb/>
&#x017F;agen etwas Conventionelles, indem uns er&#x017F;t der<lb/>
Sinn des Zeichens u&#x0364;berliefert werden muß, ehe wir<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, was es bedeuten &#x017F;oll, wie es &#x017F;ich z. B.<lb/>
mit der gru&#x0364;nen Farbe verha&#x0364;lt, die man der Hoff-<lb/>
nung zugetheilt hat.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>918.</head><lb/>
              <p>Daß zuletzt auch die Farbe eine my&#x017F;ti&#x017F;che Deu-<lb/>
tung erlaube, la&#x0364;ßt &#x017F;ich wohl ahnden. Denn da jenes<lb/>
Schema, worin &#x017F;ich die Farbenmannigfaltigkeit dar-<lb/>
&#x017F;tellen la&#x0364;ßt, &#x017F;olche Urverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e andeutet, die &#x017F;owohl<lb/>
der men&#x017F;chlichen An&#x017F;chauung als der Natur angeho&#x0364;ren,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t wohl kein Zweifel, daß man &#x017F;ich ihrer Bezu&#x0364;ge,<lb/>
gleich&#x017F;am als einer Sprache, auch da bedienen ko&#x0364;nne,<lb/>
wenn man Urverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e ausdru&#x0364;cken will, die nicht<lb/>
eben &#x017F;o ma&#x0364;chtig und mannigfaltig in die Sinne fallen.<lb/>
Der Mathematiker &#x017F;cha&#x0364;tzt den Werth und Gebrauch<lb/>
des Triangels; der Triangel &#x017F;teht bey dem My&#x017F;tiker<lb/>
in großer Verehrung; gar manches la&#x0364;ßt &#x017F;ich im Tri-<lb/>
angel &#x017F;chemati&#x017F;iren und die Farbener&#x017F;cheinung gleich-<lb/>
falls, und zwar derge&#x017F;talt, daß man durch Verdopp-<lb/>
lung und Ver&#x017F;chra&#x0364;nkung zu dem alten geheimnißvollen<lb/>
Sechseck gelangt.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>919.</head><lb/>
              <p>Wenn man er&#x017F;t das Auseinandergehen des<lb/>
Gelben und Blauen wird recht gefaßt, be&#x017F;onders<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi> 22</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[337/0391] 917. Hiermit iſt ein anderer Gebrauch nahe verwandt, den man den allegoriſchen nennen koͤnnte. Bey dieſem iſt mehr zufaͤlliges und willkuͤhrliches, ja man kann ſagen etwas Conventionelles, indem uns erſt der Sinn des Zeichens uͤberliefert werden muß, ehe wir wiſſen, was es bedeuten ſoll, wie es ſich z. B. mit der gruͤnen Farbe verhaͤlt, die man der Hoff- nung zugetheilt hat. 918. Daß zuletzt auch die Farbe eine myſtiſche Deu- tung erlaube, laͤßt ſich wohl ahnden. Denn da jenes Schema, worin ſich die Farbenmannigfaltigkeit dar- ſtellen laͤßt, ſolche Urverhaͤltniſſe andeutet, die ſowohl der menſchlichen Anſchauung als der Natur angehoͤren, ſo iſt wohl kein Zweifel, daß man ſich ihrer Bezuͤge, gleichſam als einer Sprache, auch da bedienen koͤnne, wenn man Urverhaͤltniſſe ausdruͤcken will, die nicht eben ſo maͤchtig und mannigfaltig in die Sinne fallen. Der Mathematiker ſchaͤtzt den Werth und Gebrauch des Triangels; der Triangel ſteht bey dem Myſtiker in großer Verehrung; gar manches laͤßt ſich im Tri- angel ſchematiſiren und die Farbenerſcheinung gleich- falls, und zwar dergeſtalt, daß man durch Verdopp- lung und Verſchraͤnkung zu dem alten geheimnißvollen Sechseck gelangt. 919. Wenn man erſt das Auseinandergehen des Gelben und Blauen wird recht gefaßt, beſonders I. 22

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/391
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/391>, abgerufen am 16.07.2024.