Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
538.

Es ist wohl hier am Platz, von dem Grünen über-
haupt zu sprechen. Es entsteht vor uns vorzüglich im
atomistischen Sinne und zwar völlig rein, wenn wir
Gelb und Blau zusammenbringen; allein auch schon
ein unreines beschmutztes Gelb bringt uns den Eindruck
des Grünlichen hervor. Gelb mit Schwarz macht
schon Grün; aber auch dieses leitet sich davon ab, daß
Schwarz mit dem Blauen verwandt ist. Ein unvoll-
kommnes Gelb, wie das Schwefelgelb, giebt uns den
Eindruck von einem Grünlichen. Eben so werden wir
ein unvollkommenes Blau als grün gewahr. Das
Grüne der Weinflaschen entsteht, so scheint es, durch
eine unvollkommene Verbindung des Eisenkalks mit
dem Glase. Bringt man durch größere Hitze eine voll-
kommenere Verbindung hervor, so entsteht ein schönes
blaues Glas.

539.

Aus allem diesem scheint so viel hervorzugehen,
daß eine gewisse Kluft zwischen Gelb und Blau in der
Natur sich findet, welche zwar durch Verschränkung
und Vermischung atomistisch gehoben, und zum Grü-
nen verknüpft werden kann, daß aber eigentlich die
wahre Vermittlung vom Gelben und Blauen nur durch
das Rothe geschieht.

540.

Was jedoch dem Unorganischen nicht gemäß zu seyn
scheint, das werden wir, wenn von organischen Naturen
die Rede ist, möglich finden, indem in diesem letzten

538.

Es iſt wohl hier am Platz, von dem Gruͤnen uͤber-
haupt zu ſprechen. Es entſteht vor uns vorzuͤglich im
atomiſtiſchen Sinne und zwar voͤllig rein, wenn wir
Gelb und Blau zuſammenbringen; allein auch ſchon
ein unreines beſchmutztes Gelb bringt uns den Eindruck
des Gruͤnlichen hervor. Gelb mit Schwarz macht
ſchon Gruͤn; aber auch dieſes leitet ſich davon ab, daß
Schwarz mit dem Blauen verwandt iſt. Ein unvoll-
kommnes Gelb, wie das Schwefelgelb, giebt uns den
Eindruck von einem Gruͤnlichen. Eben ſo werden wir
ein unvollkommenes Blau als gruͤn gewahr. Das
Gruͤne der Weinflaſchen entſteht, ſo ſcheint es, durch
eine unvollkommene Verbindung des Eiſenkalks mit
dem Glaſe. Bringt man durch groͤßere Hitze eine voll-
kommenere Verbindung hervor, ſo entſteht ein ſchoͤnes
blaues Glas.

539.

Aus allem dieſem ſcheint ſo viel hervorzugehen,
daß eine gewiſſe Kluft zwiſchen Gelb und Blau in der
Natur ſich findet, welche zwar durch Verſchraͤnkung
und Vermiſchung atomiſtiſch gehoben, und zum Gruͤ-
nen verknuͤpft werden kann, daß aber eigentlich die
wahre Vermittlung vom Gelben und Blauen nur durch
das Rothe geſchieht.

540.

Was jedoch dem Unorganiſchen nicht gemaͤß zu ſeyn
ſcheint, das werden wir, wenn von organiſchen Naturen
die Rede iſt, moͤglich finden, indem in dieſem letzten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0257" n="203"/>
            <div n="4">
              <head>538.</head><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t wohl hier am Platz, von dem Gru&#x0364;nen u&#x0364;ber-<lb/>
haupt zu &#x017F;prechen. Es ent&#x017F;teht vor uns vorzu&#x0364;glich im<lb/>
atomi&#x017F;ti&#x017F;chen Sinne und zwar vo&#x0364;llig rein, wenn wir<lb/>
Gelb und Blau zu&#x017F;ammenbringen; allein auch &#x017F;chon<lb/>
ein unreines be&#x017F;chmutztes Gelb bringt uns den Eindruck<lb/>
des Gru&#x0364;nlichen hervor. Gelb mit Schwarz macht<lb/>
&#x017F;chon Gru&#x0364;n; aber auch die&#x017F;es leitet &#x017F;ich davon ab, daß<lb/>
Schwarz mit dem Blauen verwandt i&#x017F;t. Ein unvoll-<lb/>
kommnes Gelb, wie das Schwefelgelb, giebt uns den<lb/>
Eindruck von einem Gru&#x0364;nlichen. Eben &#x017F;o werden wir<lb/>
ein unvollkommenes Blau als gru&#x0364;n gewahr. Das<lb/>
Gru&#x0364;ne der Weinfla&#x017F;chen ent&#x017F;teht, &#x017F;o &#x017F;cheint es, durch<lb/>
eine unvollkommene Verbindung des Ei&#x017F;enkalks mit<lb/>
dem Gla&#x017F;e. Bringt man durch gro&#x0364;ßere Hitze eine voll-<lb/>
kommenere Verbindung hervor, &#x017F;o ent&#x017F;teht ein &#x017F;cho&#x0364;nes<lb/>
blaues Glas.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>539.</head><lb/>
              <p>Aus allem die&#x017F;em &#x017F;cheint &#x017F;o viel hervorzugehen,<lb/>
daß eine gewi&#x017F;&#x017F;e Kluft zwi&#x017F;chen Gelb und Blau in der<lb/>
Natur &#x017F;ich findet, welche zwar durch Ver&#x017F;chra&#x0364;nkung<lb/>
und Vermi&#x017F;chung atomi&#x017F;ti&#x017F;ch gehoben, und zum Gru&#x0364;-<lb/>
nen verknu&#x0364;pft werden kann, daß aber eigentlich die<lb/>
wahre Vermittlung vom Gelben und Blauen nur durch<lb/>
das Rothe ge&#x017F;chieht.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>540.</head><lb/>
              <p>Was jedoch dem Unorgani&#x017F;chen nicht gema&#x0364;ß zu &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;cheint, das werden wir, wenn von organi&#x017F;chen Naturen<lb/>
die Rede i&#x017F;t, mo&#x0364;glich finden, indem in die&#x017F;em letzten<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0257] 538. Es iſt wohl hier am Platz, von dem Gruͤnen uͤber- haupt zu ſprechen. Es entſteht vor uns vorzuͤglich im atomiſtiſchen Sinne und zwar voͤllig rein, wenn wir Gelb und Blau zuſammenbringen; allein auch ſchon ein unreines beſchmutztes Gelb bringt uns den Eindruck des Gruͤnlichen hervor. Gelb mit Schwarz macht ſchon Gruͤn; aber auch dieſes leitet ſich davon ab, daß Schwarz mit dem Blauen verwandt iſt. Ein unvoll- kommnes Gelb, wie das Schwefelgelb, giebt uns den Eindruck von einem Gruͤnlichen. Eben ſo werden wir ein unvollkommenes Blau als gruͤn gewahr. Das Gruͤne der Weinflaſchen entſteht, ſo ſcheint es, durch eine unvollkommene Verbindung des Eiſenkalks mit dem Glaſe. Bringt man durch groͤßere Hitze eine voll- kommenere Verbindung hervor, ſo entſteht ein ſchoͤnes blaues Glas. 539. Aus allem dieſem ſcheint ſo viel hervorzugehen, daß eine gewiſſe Kluft zwiſchen Gelb und Blau in der Natur ſich findet, welche zwar durch Verſchraͤnkung und Vermiſchung atomiſtiſch gehoben, und zum Gruͤ- nen verknuͤpft werden kann, daß aber eigentlich die wahre Vermittlung vom Gelben und Blauen nur durch das Rothe geſchieht. 540. Was jedoch dem Unorganiſchen nicht gemaͤß zu ſeyn ſcheint, das werden wir, wenn von organiſchen Naturen die Rede iſt, moͤglich finden, indem in dieſem letzten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/257
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/257>, abgerufen am 03.12.2024.