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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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scheint; so sieht man jedoch an den horizontalen Grän-
zen desselben eine farbige Erscheinung. Daß auch hier
die Farbe bloß durch Verrückung eines Bildes entstehe,
ist umständlicher darzuthun.

Das Leuchtende, welches hier wirkt, ist ein Be-
gränztes, und die Sonne wirkt hier, indem sie scheint
und strahlt, als ein Bild. Man mache die Oeffnung
in dem Laden der Camera obscura so klein als man
kann, immer wird das ganze Bild der Sonne herein-
dringen. Das von ihrer Scheibe herströmende Licht
wird sich in der kleinsten Oeffnung kreuzen und den
Winkel machen, der ihrem scheinbaren Diameter gemäß
ist. Hier kommt ein Conus mit der Spitze außen an
und inwendig verbreitert sich diese Spitze wieder, bringt
ein durch eine Tafel aufzufassendes rundes, sich durch
die Entfernung der Tafel auf immer vergrößerndes Bild
hervor, welches Bild nebst allen übrigen Bildern der äu-
ßeren Landschaft auf einer weißen gegengehaltenen Flä-
che im dunklen Zimmer umgekehrt erscheint.

310.

Wie wenig also hier von einzelnen Sonnenstrah-
len, oder Strahlenbündeln und Büscheln, von Strah-
lencylindern, Stäben und wie man sich das alles vor-
stellen mag, die Rede seyn kann, ist auffallend. Zu
Bequemlichkeit gewisser Lineardarstellungen nehme man
das Sonnenlicht als parallel einfallend an; aber man
wisse, daß dieses nur eine Fiction ist, welche man sich
gar wohl erlauben kann, da wo der zwischen die Fic-
tion und die wahre Erscheinung fallende Bruch unbe-

ſcheint; ſo ſieht man jedoch an den horizontalen Graͤn-
zen deſſelben eine farbige Erſcheinung. Daß auch hier
die Farbe bloß durch Verruͤckung eines Bildes entſtehe,
iſt umſtaͤndlicher darzuthun.

Das Leuchtende, welches hier wirkt, iſt ein Be-
graͤnztes, und die Sonne wirkt hier, indem ſie ſcheint
und ſtrahlt, als ein Bild. Man mache die Oeffnung
in dem Laden der Camera obſcura ſo klein als man
kann, immer wird das ganze Bild der Sonne herein-
dringen. Das von ihrer Scheibe herſtroͤmende Licht
wird ſich in der kleinſten Oeffnung kreuzen und den
Winkel machen, der ihrem ſcheinbaren Diameter gemaͤß
iſt. Hier kommt ein Conus mit der Spitze außen an
und inwendig verbreitert ſich dieſe Spitze wieder, bringt
ein durch eine Tafel aufzufaſſendes rundes, ſich durch
die Entfernung der Tafel auf immer vergroͤßerndes Bild
hervor, welches Bild nebſt allen uͤbrigen Bildern der aͤu-
ßeren Landſchaft auf einer weißen gegengehaltenen Flaͤ-
che im dunklen Zimmer umgekehrt erſcheint.

310.

Wie wenig alſo hier von einzelnen Sonnenſtrah-
len, oder Strahlenbuͤndeln und Buͤſcheln, von Strah-
lencylindern, Staͤben und wie man ſich das alles vor-
ſtellen mag, die Rede ſeyn kann, iſt auffallend. Zu
Bequemlichkeit gewiſſer Lineardarſtellungen nehme man
das Sonnenlicht als parallel einfallend an; aber man
wiſſe, daß dieſes nur eine Fiction iſt, welche man ſich
gar wohl erlauben kann, da wo der zwiſchen die Fic-
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[118/0172] ſcheint; ſo ſieht man jedoch an den horizontalen Graͤn- zen deſſelben eine farbige Erſcheinung. Daß auch hier die Farbe bloß durch Verruͤckung eines Bildes entſtehe, iſt umſtaͤndlicher darzuthun. Das Leuchtende, welches hier wirkt, iſt ein Be- graͤnztes, und die Sonne wirkt hier, indem ſie ſcheint und ſtrahlt, als ein Bild. Man mache die Oeffnung in dem Laden der Camera obſcura ſo klein als man kann, immer wird das ganze Bild der Sonne herein- dringen. Das von ihrer Scheibe herſtroͤmende Licht wird ſich in der kleinſten Oeffnung kreuzen und den Winkel machen, der ihrem ſcheinbaren Diameter gemaͤß iſt. Hier kommt ein Conus mit der Spitze außen an und inwendig verbreitert ſich dieſe Spitze wieder, bringt ein durch eine Tafel aufzufaſſendes rundes, ſich durch die Entfernung der Tafel auf immer vergroͤßerndes Bild hervor, welches Bild nebſt allen uͤbrigen Bildern der aͤu- ßeren Landſchaft auf einer weißen gegengehaltenen Flaͤ- che im dunklen Zimmer umgekehrt erſcheint. 310. Wie wenig alſo hier von einzelnen Sonnenſtrah- len, oder Strahlenbuͤndeln und Buͤſcheln, von Strah- lencylindern, Staͤben und wie man ſich das alles vor- ſtellen mag, die Rede ſeyn kann, iſt auffallend. Zu Bequemlichkeit gewiſſer Lineardarſtellungen nehme man das Sonnenlicht als parallel einfallend an; aber man wiſſe, daß dieſes nur eine Fiction iſt, welche man ſich gar wohl erlauben kann, da wo der zwiſchen die Fic- tion und die wahre Erſcheinung fallende Bruch unbe-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/172>, abgerufen am 22.12.2024.