Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
240.

Die voreilende Farbe ist immer die breitere. So
greift die gelbe über das Licht mit einem breiten Sau-
me; da wo sie aber an das Dunkle gränzt, entsteht,
nach der Lehre der Steigerung und Beschattung, das
Gelbrothe als ein schmälerer Rand.

241.

An der entgegengesetzten Seite hält sich das ge-
drängte Blau an der Gränze, der vorstrebende Saum
aber, als ein leichtes Trübes über das Schwarze ver-
breitet, läßt uns die violette Farbe sehen, nach eben
denselben Bedingungen, welche oben bey der Lehre von
den trüben Mitteln angegeben worden, und welche sich
künftig in mehreren andern Fällen gleichmäßig wirksam
zeigen werden.

242.

Da eine Ableitung wie die gegenwärtige sich ei-
gentlich vor dem Anschauen des Forschers legitimiren
muß; so verlangen wir von jedem, daß er sich nicht
auf eine flüchtige, sondern gründliche Weise mit dem
bisher Vorgeführten bekannt mache. Hier werden nicht
willkührliche Zeichen, Buchstaben und was man sonst
belieben möchte, statt der Erscheinungen hingestellt; hier
werden nicht Redensarten überliefert, die man hundert-
mal wiederholen kann, ohne etwas dabey zu denken,
noch Jemanden etwas dadurch denken zu machen; son-
dern es ist von Erscheinungen die Rede, die man vor
den Augen des Leibes und des Geistes gegenwärtig ha-

240.

Die voreilende Farbe iſt immer die breitere. So
greift die gelbe uͤber das Licht mit einem breiten Sau-
me; da wo ſie aber an das Dunkle graͤnzt, entſteht,
nach der Lehre der Steigerung und Beſchattung, das
Gelbrothe als ein ſchmaͤlerer Rand.

241.

An der entgegengeſetzten Seite haͤlt ſich das ge-
draͤngte Blau an der Graͤnze, der vorſtrebende Saum
aber, als ein leichtes Truͤbes uͤber das Schwarze ver-
breitet, laͤßt uns die violette Farbe ſehen, nach eben
denſelben Bedingungen, welche oben bey der Lehre von
den truͤben Mitteln angegeben worden, und welche ſich
kuͤnftig in mehreren andern Faͤllen gleichmaͤßig wirkſam
zeigen werden.

242.

Da eine Ableitung wie die gegenwaͤrtige ſich ei-
gentlich vor dem Anſchauen des Forſchers legitimiren
muß; ſo verlangen wir von jedem, daß er ſich nicht
auf eine fluͤchtige, ſondern gruͤndliche Weiſe mit dem
bisher Vorgefuͤhrten bekannt mache. Hier werden nicht
willkuͤhrliche Zeichen, Buchſtaben und was man ſonſt
belieben moͤchte, ſtatt der Erſcheinungen hingeſtellt; hier
werden nicht Redensarten uͤberliefert, die man hundert-
mal wiederholen kann, ohne etwas dabey zu denken,
noch Jemanden etwas dadurch denken zu machen; ſon-
dern es iſt von Erſcheinungen die Rede, die man vor
den Augen des Leibes und des Geiſtes gegenwaͤrtig ha-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0145" n="91"/>
            <div n="4">
              <head>240.</head><lb/>
              <p>Die voreilende Farbe i&#x017F;t immer die breitere. So<lb/>
greift die gelbe u&#x0364;ber das Licht mit einem breiten Sau-<lb/>
me; da wo &#x017F;ie aber an das Dunkle gra&#x0364;nzt, ent&#x017F;teht,<lb/>
nach der Lehre der Steigerung und Be&#x017F;chattung, das<lb/>
Gelbrothe als ein &#x017F;chma&#x0364;lerer Rand.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>241.</head><lb/>
              <p>An der entgegenge&#x017F;etzten Seite ha&#x0364;lt &#x017F;ich das ge-<lb/>
dra&#x0364;ngte Blau an der Gra&#x0364;nze, der vor&#x017F;trebende Saum<lb/>
aber, als <choice><sic>eiu</sic><corr>ein</corr></choice> leichtes Tru&#x0364;bes u&#x0364;ber das Schwarze ver-<lb/>
breitet, la&#x0364;ßt uns die violette Farbe &#x017F;ehen, nach eben<lb/>
den&#x017F;elben Bedingungen, welche oben bey der Lehre von<lb/>
den tru&#x0364;ben Mitteln angegeben worden, und welche &#x017F;ich<lb/>
ku&#x0364;nftig in mehreren andern Fa&#x0364;llen gleichma&#x0364;ßig wirk&#x017F;am<lb/>
zeigen werden.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>242.</head><lb/>
              <p>Da eine Ableitung wie die gegenwa&#x0364;rtige &#x017F;ich ei-<lb/>
gentlich vor dem An&#x017F;chauen des For&#x017F;chers legitimiren<lb/>
muß; &#x017F;o verlangen wir von jedem, daß er &#x017F;ich nicht<lb/>
auf eine flu&#x0364;chtige, &#x017F;ondern gru&#x0364;ndliche Wei&#x017F;e mit dem<lb/>
bisher Vorgefu&#x0364;hrten bekannt mache. Hier werden nicht<lb/>
willku&#x0364;hrliche Zeichen, Buch&#x017F;taben und was man &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
belieben mo&#x0364;chte, &#x017F;tatt der Er&#x017F;cheinungen hinge&#x017F;tellt; hier<lb/>
werden nicht Redensarten u&#x0364;berliefert, die man hundert-<lb/>
mal wiederholen kann, ohne etwas dabey zu denken,<lb/>
noch Jemanden etwas dadurch denken zu machen; &#x017F;on-<lb/>
dern es i&#x017F;t von Er&#x017F;cheinungen die Rede, die man vor<lb/>
den Augen des Leibes und des Gei&#x017F;tes gegenwa&#x0364;rtig ha-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0145] 240. Die voreilende Farbe iſt immer die breitere. So greift die gelbe uͤber das Licht mit einem breiten Sau- me; da wo ſie aber an das Dunkle graͤnzt, entſteht, nach der Lehre der Steigerung und Beſchattung, das Gelbrothe als ein ſchmaͤlerer Rand. 241. An der entgegengeſetzten Seite haͤlt ſich das ge- draͤngte Blau an der Graͤnze, der vorſtrebende Saum aber, als ein leichtes Truͤbes uͤber das Schwarze ver- breitet, laͤßt uns die violette Farbe ſehen, nach eben denſelben Bedingungen, welche oben bey der Lehre von den truͤben Mitteln angegeben worden, und welche ſich kuͤnftig in mehreren andern Faͤllen gleichmaͤßig wirkſam zeigen werden. 242. Da eine Ableitung wie die gegenwaͤrtige ſich ei- gentlich vor dem Anſchauen des Forſchers legitimiren muß; ſo verlangen wir von jedem, daß er ſich nicht auf eine fluͤchtige, ſondern gruͤndliche Weiſe mit dem bisher Vorgefuͤhrten bekannt mache. Hier werden nicht willkuͤhrliche Zeichen, Buchſtaben und was man ſonſt belieben moͤchte, ſtatt der Erſcheinungen hingeſtellt; hier werden nicht Redensarten uͤberliefert, die man hundert- mal wiederholen kann, ohne etwas dabey zu denken, noch Jemanden etwas dadurch denken zu machen; ſon- dern es iſt von Erſcheinungen die Rede, die man vor den Augen des Leibes und des Geiſtes gegenwaͤrtig ha-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/145
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/145>, abgerufen am 21.11.2024.