Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.Vollmondnacht. Herrinn! sag was heisst das Flüstern? Was bewegt dir leis' die Lippen? Lispelst immer vor dich hin, Lieblicher als Weines Nippen! Denkst du deinen Mundgeschwistern Noch ein Pärchen herzuziehn? Ich will küssen! Küssen! sagt' ich. Schau! Im zweifelhaften Dunkel Glühen blühend alle Zweige, Nieder spielet Stern auf Stern, Und, smaragden, durchs Gesträuche Tausendfältiger Karfunkel; Doch dein Geist ist allem fern. Ich will küssen! Küssen! sagt' ich. Vollmondnacht. Herrinn! sag was heiſst das Flüstern? Was bewegt dir leis’ die Lippen? Lispelst immer vor dich hin, Lieblicher als Weines Nippen! Denkst du deinen Mundgeschwistern Noch ein Pärchen herzuziehn? Ich will küssen! Küssen! sagt’ ich. Schau! Im zweifelhaften Dunkel Glühen blühend alle Zweige, Nieder spielet Stern auf Stern, Und, smaragden, durchs Gesträuche Tausendfältiger Karfunkel; Doch dein Geist ist allem fern. Ich will küssen! Küssen! sagt’ ich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0181" n="171"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Vollmondnacht</hi>.</hi> </hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Herrinn! sag was heiſst das Flüstern?</l><lb/> <l>Was bewegt dir leis’ die Lippen?</l><lb/> <l>Lispelst immer vor dich hin,</l><lb/> <l>Lieblicher als Weines Nippen!</l><lb/> <l>Denkst du deinen Mundgeschwistern</l><lb/> <l>Noch ein Pärchen herzuziehn?</l><lb/> <l>Ich will küssen! Küssen! sagt’ ich.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Schau! Im zweifelhaften Dunkel</l><lb/> <l>Glühen blühend alle Zweige,</l><lb/> <l>Nieder spielet Stern auf Stern,</l><lb/> <l>Und, smaragden, durchs Gesträuche</l><lb/> <l>Tausendfältiger Karfunkel;</l><lb/> <l>Doch dein Geist ist allem fern.</l><lb/> <l>Ich will küssen! Küssen! sagt’ ich.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [171/0181]
Vollmondnacht.
Herrinn! sag was heiſst das Flüstern?
Was bewegt dir leis’ die Lippen?
Lispelst immer vor dich hin,
Lieblicher als Weines Nippen!
Denkst du deinen Mundgeschwistern
Noch ein Pärchen herzuziehn?
Ich will küssen! Küssen! sagt’ ich.
Schau! Im zweifelhaften Dunkel
Glühen blühend alle Zweige,
Nieder spielet Stern auf Stern,
Und, smaragden, durchs Gesträuche
Tausendfältiger Karfunkel;
Doch dein Geist ist allem fern.
Ich will küssen! Küssen! sagt’ ich.
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