§. 85. Wodurch erhält eine gesetzliche Gewohnheit ihr Daseyn und Gültigkeit?
Es kömmt nun in der weitern Entwickelung der Lehre vom Gewohnheitsrechte hauptsächlich auf zwey Fra- gen an. I) Wie entstehet eine gesetzliche Gewohnheit? und II) Wodurch erhält sie ihre verbindliche Kraft? In Ansehung der erstern Frage bemerken wir hier nur im Allgemeinen, daß zur Einführung einer Gewohnheit ha- bile Handlungen der Unterthanen erfordert werden. Wie aber diese Handlungen geeigenschaftet seyn müssen, wird uns der folgende Paragraph erst lehren. Soviel hier- nächst die zweyte Frage anbetrift, so ist nun zwar soviel ausser allen Zweifel, daß eine gesetzliche Gewohnheit ihre verbindliche Kraft durch den Willen des Gesetzgebers be- komme, ohne welchen sich überhaupt kein positives Gesetz gedenken lässet; allein eine andere Frage ist, woraus die- ser Wille des Gesetzgebers zu erkennen sey? Nach der gewöhnlichen Theorie, die auch in dem System unsers Autors herrscht, behauptet man, daß die gesetzliche Kraft der Gewohnheiten lediglich auf den stillschweigenden Con- sens des Gesetzgebers beruhe, dieser aber aus der nicht wiedersprochenen öftern Wiederholung gleichförmiger Handlungen der Unterthanen gefolgert werden müsse. Allein prüft man diese Theorie genauer, vergleicht man sie mit dem, was die Erfahrung und die Gesetze selbst
uns
treflichen Lehrbuche des Canonischen Rechts §. 236. richtig bemerkt, daß auch unicum factum haud contradictum, opinione iuris, sciente et non contradicente ecclesia, susceptum zur Begründung einer solchen Observanz genüge; und man kann dies allerdings als einen algemeinen Satz in der Lebre von der Observanz gelten lassen. S. D.Meurers juristische Abhandlungen u. Beobacht. 1. Samml. N. VI. §. 5. u. folgg.
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de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
§. 85. Wodurch erhaͤlt eine geſetzliche Gewohnheit ihr Daſeyn und Guͤltigkeit?
Es koͤmmt nun in der weitern Entwickelung der Lehre vom Gewohnheitsrechte hauptſaͤchlich auf zwey Fra- gen an. I) Wie entſtehet eine geſetzliche Gewohnheit? und II) Wodurch erhaͤlt ſie ihre verbindliche Kraft? In Anſehung der erſtern Frage bemerken wir hier nur im Allgemeinen, daß zur Einfuͤhrung einer Gewohnheit ha- bile Handlungen der Unterthanen erfordert werden. Wie aber dieſe Handlungen geeigenſchaftet ſeyn muͤſſen, wird uns der folgende Paragraph erſt lehren. Soviel hier- naͤchſt die zweyte Frage anbetrift, ſo iſt nun zwar ſoviel auſſer allen Zweifel, daß eine geſetzliche Gewohnheit ihre verbindliche Kraft durch den Willen des Geſetzgebers be- komme, ohne welchen ſich uͤberhaupt kein poſitives Geſetz gedenken laͤſſet; allein eine andere Frage iſt, woraus die- ſer Wille des Geſetzgebers zu erkennen ſey? Nach der gewoͤhnlichen Theorie, die auch in dem Syſtem unſers Autors herrſcht, behauptet man, daß die geſetzliche Kraft der Gewohnheiten lediglich auf den ſtillſchweigenden Con- ſens des Geſetzgebers beruhe, dieſer aber aus der nicht wiederſprochenen oͤftern Wiederholung gleichfoͤrmiger Handlungen der Unterthanen gefolgert werden muͤſſe. Allein pruͤft man dieſe Theorie genauer, vergleicht man ſie mit dem, was die Erfahrung und die Geſetze ſelbſt
uns
treflichen Lehrbuche des Canoniſchen Rechts §. 236. richtig bemerkt, daß auch unicum factum haud contradictum, opinione iuris, ſciente et non contradicente eccleſia, ſuſceptum zur Begruͤndung einer ſolchen Obſervanz genuͤge; und man kann dies allerdings als einen algemeinen Satz in der Lebre von der Obſervanz gelten laſſen. S. D.Meurers juriſtiſche Abhandlungen u. Beobacht. 1. Samml. N. VI. §. 5. u. folgg.
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de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
§. 85.
Wodurch erhaͤlt eine geſetzliche Gewohnheit ihr Daſeyn
und Guͤltigkeit?
Es koͤmmt nun in der weitern Entwickelung der
Lehre vom Gewohnheitsrechte hauptſaͤchlich auf zwey Fra-
gen an. I) Wie entſtehet eine geſetzliche Gewohnheit?
und II) Wodurch erhaͤlt ſie ihre verbindliche Kraft? In
Anſehung der erſtern Frage bemerken wir hier nur im
Allgemeinen, daß zur Einfuͤhrung einer Gewohnheit ha-
bile Handlungen der Unterthanen erfordert werden. Wie
aber dieſe Handlungen geeigenſchaftet ſeyn muͤſſen, wird
uns der folgende Paragraph erſt lehren. Soviel hier-
naͤchſt die zweyte Frage anbetrift, ſo iſt nun zwar ſoviel
auſſer allen Zweifel, daß eine geſetzliche Gewohnheit ihre
verbindliche Kraft durch den Willen des Geſetzgebers be-
komme, ohne welchen ſich uͤberhaupt kein poſitives Geſetz
gedenken laͤſſet; allein eine andere Frage iſt, woraus die-
ſer Wille des Geſetzgebers zu erkennen ſey? Nach der
gewoͤhnlichen Theorie, die auch in dem Syſtem unſers
Autors herrſcht, behauptet man, daß die geſetzliche Kraft
der Gewohnheiten lediglich auf den ſtillſchweigenden Con-
ſens des Geſetzgebers beruhe, dieſer aber aus der nicht
wiederſprochenen oͤftern Wiederholung gleichfoͤrmiger
Handlungen der Unterthanen gefolgert werden muͤſſe.
Allein pruͤft man dieſe Theorie genauer, vergleicht man
ſie mit dem, was die Erfahrung und die Geſetze ſelbſt
uns
55)
55) treflichen Lehrbuche des Canoniſchen Rechts §. 236.
richtig bemerkt, daß auch unicum factum haud contradictum,
opinione iuris, ſciente et non contradicente eccleſia, ſuſceptum
zur Begruͤndung einer ſolchen Obſervanz genuͤge; und man
kann dies allerdings als einen algemeinen Satz in der Lebre
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Abhandlungen u. Beobacht. 1. Samml. N. VI. §. 5. u. folgg.
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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/457>, abgerufen am 16.07.2024.
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