§. 26. Wirkungen und Verhältnis der natürlichen Verbindlichkeit in foro civili. Begrif der natürlichen Verbindlichkeit im strengsten Verstande des Civilrechts. Was ist Billigkeit?
Man pflegt gewöhnlich die blos natürliche Ver- bindlichkeiten, um deren Verhältniß und Wirkungen in bürgerlichen Gerichten bestimmen zu können, auf zwey Hauptelassen zu reduciren, indem man sie in solche ein- theilt, welche durch die bürgerlichen Gesetze gänzlich auf- gehoben und verworfen, -- und solche, die zwar nicht bestättiget, aber doch auch nicht ganz aufgehoben und vernichtet sind. Erstere nennt man: obligationes natu- rales plane destructas sive reprobatas, leztere hinge- gen obligationes naturales haud reprobatas. Jene, sagt man, haben in Gerichten schlechterdings gar keinen Effect, so daß auch die etwa geschehene Erfüllung der- selben sogar zurückgefordert werden könne. Leztere hin- gegen wären in Ansehung der gerichtlichen Wirkung nur eingeschränkt, und zwar dahin, daß wegen solcher Ver- bindlichkeiten nur keine Klage erhoben werden könne, sonst aber doch alle andere Wirkungen statt fänden. Man könne eine Einrede gegen die etwa nach dem stren- gen Recht dem Gläubiger zustehende Klage daraus her- nehmen, das Innebehaltungsrecht ausüben, die Kom- pensation vorschützen, es habe ferner in Ansehung sol- cher Verbindlichkeiten ein Constitutum, eine Novation, ein Pfandrecht und Bürgschaft statt 82). Man fügt weiter hinzu, der unterscheidende Character, woran man erkenne, ob nicht bestättigte natürliche Verbindlichkeiten
in
82)L. 7. §. 4. D. de pact. L. 6. D. de compensat. L. 1. §. 7. D. de constit. pec. L. 1. §. 1. D. de novat. L. 5. u. 14. D. de pignor. §. 1. I. de fideiussor.
1. Buch. 1. Tit.
§. 26. Wirkungen und Verhaͤltnis der natuͤrlichen Verbindlichkeit in foro civili. Begrif der natuͤrlichen Verbindlichkeit im ſtrengſten Verſtande des Civilrechts. Was iſt Billigkeit?
Man pflegt gewoͤhnlich die blos natuͤrliche Ver- bindlichkeiten, um deren Verhaͤltniß und Wirkungen in buͤrgerlichen Gerichten beſtimmen zu koͤnnen, auf zwey Hauptelaſſen zu reduciren, indem man ſie in ſolche ein- theilt, welche durch die buͤrgerlichen Geſetze gaͤnzlich auf- gehoben und verworfen, — und ſolche, die zwar nicht beſtaͤttiget, aber doch auch nicht ganz aufgehoben und vernichtet ſind. Erſtere nennt man: obligationes natu- rales plane deſtructas ſive reprobatas, leztere hinge- gen obligationes naturales haud reprobatas. Jene, ſagt man, haben in Gerichten ſchlechterdings gar keinen Effect, ſo daß auch die etwa geſchehene Erfuͤllung der- ſelben ſogar zuruͤckgefordert werden koͤnne. Leztere hin- gegen waͤren in Anſehung der gerichtlichen Wirkung nur eingeſchraͤnkt, und zwar dahin, daß wegen ſolcher Ver- bindlichkeiten nur keine Klage erhoben werden koͤnne, ſonſt aber doch alle andere Wirkungen ſtatt faͤnden. Man koͤnne eine Einrede gegen die etwa nach dem ſtren- gen Recht dem Glaͤubiger zuſtehende Klage daraus her- nehmen, das Innebehaltungsrecht ausuͤben, die Kom- penſation vorſchuͤtzen, es habe ferner in Anſehung ſol- cher Verbindlichkeiten ein Conſtitutum, eine Novation, ein Pfandrecht und Buͤrgſchaft ſtatt 82). Man fuͤgt weiter hinzu, der unterſcheidende Character, woran man erkenne, ob nicht beſtaͤttigte natuͤrliche Verbindlichkeiten
in
82)L. 7. §. 4. D. de pact. L. 6. D. de compenſat. L. 1. §. 7. D. de conſtit. pec. L. 1. §. 1. D. de novat. L. 5. u. 14. D. de pignor. §. 1. I. de fideiuſſor.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0186"n="166"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr">1. Buch. 1. Tit.</hi></fw><lb/><divn="3"><head>§. 26.<lb/>
Wirkungen und Verhaͤltnis der natuͤrlichen Verbindlichkeit<lb/><hirendition="#aq">in foro civili</hi>. Begrif der natuͤrlichen Verbindlichkeit im<lb/>ſtrengſten Verſtande des Civilrechts. Was iſt<lb/>
Billigkeit?</head><lb/><p>Man pflegt gewoͤhnlich die blos natuͤrliche Ver-<lb/>
bindlichkeiten, um deren Verhaͤltniß und Wirkungen<lb/>
in buͤrgerlichen Gerichten beſtimmen zu koͤnnen, auf zwey<lb/>
Hauptelaſſen zu reduciren, indem man ſie in ſolche ein-<lb/>
theilt, welche durch die buͤrgerlichen Geſetze gaͤnzlich auf-<lb/>
gehoben und verworfen, — und ſolche, die zwar nicht<lb/>
beſtaͤttiget, aber doch auch nicht ganz aufgehoben und<lb/>
vernichtet ſind. Erſtere nennt man: <hirendition="#aq"><hirendition="#i">obligationes natu-<lb/>
rales plane deſtructas</hi>ſive <hirendition="#i">reprobatas</hi>,</hi> leztere hinge-<lb/>
gen <hirendition="#i"><hirendition="#aq">obligationes naturales haud reprobatas.</hi></hi> Jene,<lb/>ſagt man, haben in Gerichten ſchlechterdings gar keinen<lb/>
Effect, ſo daß auch die etwa geſchehene Erfuͤllung der-<lb/>ſelben ſogar zuruͤckgefordert werden koͤnne. Leztere hin-<lb/>
gegen waͤren in Anſehung der gerichtlichen Wirkung nur<lb/>
eingeſchraͤnkt, und zwar dahin, daß wegen ſolcher Ver-<lb/>
bindlichkeiten nur keine Klage erhoben werden koͤnne,<lb/>ſonſt aber doch alle andere Wirkungen ſtatt faͤnden.<lb/>
Man koͤnne eine Einrede gegen die etwa nach dem ſtren-<lb/>
gen Recht dem Glaͤubiger zuſtehende Klage daraus her-<lb/>
nehmen, das Innebehaltungsrecht ausuͤben, die Kom-<lb/>
penſation vorſchuͤtzen, es habe ferner in Anſehung ſol-<lb/>
cher Verbindlichkeiten ein <hirendition="#aq">Conſtitutum,</hi> eine Novation,<lb/>
ein Pfandrecht und Buͤrgſchaft ſtatt <noteplace="foot"n="82)"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">L. 7. §. 4. D. de pact. L. 6. D. de compenſat. L. 1.</hi><lb/>
§. 7. <hirendition="#i">D. de conſtit. pec. L. 1. §. 1. D. de novat. L. 5.</hi></hi><lb/>
u. 14. <hirendition="#i"><hirendition="#aq">D. de pignor. §. 1. I. de fideiuſſor</hi>.</hi></note>. Man fuͤgt<lb/>
weiter hinzu, der unterſcheidende Character, woran man<lb/>
erkenne, ob nicht beſtaͤttigte natuͤrliche Verbindlichkeiten<lb/><fwplace="bottom"type="catch">in</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[166/0186]
1. Buch. 1. Tit.
§. 26.
Wirkungen und Verhaͤltnis der natuͤrlichen Verbindlichkeit
in foro civili. Begrif der natuͤrlichen Verbindlichkeit im
ſtrengſten Verſtande des Civilrechts. Was iſt
Billigkeit?
Man pflegt gewoͤhnlich die blos natuͤrliche Ver-
bindlichkeiten, um deren Verhaͤltniß und Wirkungen
in buͤrgerlichen Gerichten beſtimmen zu koͤnnen, auf zwey
Hauptelaſſen zu reduciren, indem man ſie in ſolche ein-
theilt, welche durch die buͤrgerlichen Geſetze gaͤnzlich auf-
gehoben und verworfen, — und ſolche, die zwar nicht
beſtaͤttiget, aber doch auch nicht ganz aufgehoben und
vernichtet ſind. Erſtere nennt man: obligationes natu-
rales plane deſtructas ſive reprobatas, leztere hinge-
gen obligationes naturales haud reprobatas. Jene,
ſagt man, haben in Gerichten ſchlechterdings gar keinen
Effect, ſo daß auch die etwa geſchehene Erfuͤllung der-
ſelben ſogar zuruͤckgefordert werden koͤnne. Leztere hin-
gegen waͤren in Anſehung der gerichtlichen Wirkung nur
eingeſchraͤnkt, und zwar dahin, daß wegen ſolcher Ver-
bindlichkeiten nur keine Klage erhoben werden koͤnne,
ſonſt aber doch alle andere Wirkungen ſtatt faͤnden.
Man koͤnne eine Einrede gegen die etwa nach dem ſtren-
gen Recht dem Glaͤubiger zuſtehende Klage daraus her-
nehmen, das Innebehaltungsrecht ausuͤben, die Kom-
penſation vorſchuͤtzen, es habe ferner in Anſehung ſol-
cher Verbindlichkeiten ein Conſtitutum, eine Novation,
ein Pfandrecht und Buͤrgſchaft ſtatt 82). Man fuͤgt
weiter hinzu, der unterſcheidende Character, woran man
erkenne, ob nicht beſtaͤttigte natuͤrliche Verbindlichkeiten
in
82) L. 7. §. 4. D. de pact. L. 6. D. de compenſat. L. 1.
§. 7. D. de conſtit. pec. L. 1. §. 1. D. de novat. L. 5.
u. 14. D. de pignor. §. 1. I. de fideiuſſor.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/186>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.