Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].39 daß er die frantzösische Comedie so fleißig, als es doch bekanntlich von ihmgeschehen, frequentiret hätte. Wir erfuhren sonst daß des Chur Fürsten von Maintz Vetter ein Graf Eltz vor wenig Tagen hier ankommen sey, iedoch, dem Verlaut nach, nicht in publiquen, sondern nur in seinen Privataffairen. Von dem vor nicht gar langer Zeit verstor- benen Duc de Mazarin erzehlte der Ambassadeur, daß derselbe 30000 Bouteillen von dem besten Champagne=Wein in seinem Keller hinterlaßen, es aber doch geheißen, der Keller sey nicht so gut fourni- ret als in ehemaligen Zeiten; wie denn gedachter Duc ein gantz entsetzlicher Säuffer gewesen, auch darüber in denen letzten Jahren so gar bey der Welt zu Schande und Spott worden. Den Abend brach- ten wir bey der Marquis de Montbrun zu, trafen auch den Marquis an, welcher gestern Abend von Navarr[unleserliches Material]e unter großer Waßers- Gefahr, zurückkommen, und nahmen mit demselben wegen unsrer fernern Praesentationen Abrede. Man redete von dem catholischen Christentum, und bekannte die Marquise gantz frey, daß das Christen- thum der Spanier, Italiäner und Pohlen nichts nütze sey, weil es nur in Anhörung der Meße, Beobachtung der Fest-Tage und andern solchen äußern Dingen bestehe, das Interieur aber des- wegen nicht gebeßert sey; denen frantzösischen Catholicken hingegen gab sie darinnen einen großen Vorzug, daß sie durch die be- kannten rechtschaffnen Leute von Port Royal auf das Essentielle geführet worden. Ob nun gleich durch die betrübte Constitutions- affaire dieser gute Saamen unter der Geistlichkeit mehrentheils ausgerottet worden, so sey doch unter denen Layen denn noch überaus viel übrig, ia es habe dieser Streit denen Layen erst recht die Gelegenheit gegeben, selbst nachzuforschen, und sich in denen zum Heil der Seelen nöthigen Materien beßer zu eclairciren. Sie wolte auch denen Protestanten selbst die Ehre nicht absprechen, daß sie zu mehrerm Licht in der catholischen Kirche etwas beygetragen, meinte aber, daß eben das obgedachte Spanisch- und Italiänische Christenthum die Haupt- Hinderniß sey, wodurch die Protestanten sich von der Widerkehr zur wahren Kirche abhalten ließen. Den 17 December Weil wegen der in wenig Tagen zu Ende lauffenden Moscowi- 39 daß er die frantzösische Comedie so fleißig, als es doch bekanntlich von ihmgeschehen, frequentiret hätte. Wir erfuhren sonst daß des Chur Fürsten von Maintz Vetter ein Graf Eltz vor wenig Tagen hier ankommen sey, iedoch, dem Verlaut nach, nicht in publiquen, sondern nur in seinen Privataffairen. Von dem vor nicht gar langer Zeit verstor- benen Duc de Mazarin erzehlte der Ambassadeur, daß derselbe 30000 Bouteillen von dem besten Champagne=Wein in seinem Keller hinterlaßen, es aber doch geheißen, der Keller sey nicht so gut fourni- ret als in ehemaligen Zeiten; wie denn gedachter Duc ein gantz entsetzlicher Säuffer gewesen, auch darüber in denen letzten Jahren so gar bey der Welt zu Schande und Spott worden. Den Abend brach- ten wir bey der Marquis de Montbrun zu, trafen auch den Marquis an, welcher gestern Abend von Navarr[unleserliches Material]e unter großer Waßers- Gefahr, zurückkommen, und nahmen mit demselben wegen unsrer fernern Praesentationen Abrede. Man redete von dem catholischen Christentum, und bekannte die Marquise gantz frey, daß das Christen- thum der Spanier, Italiäner und Pohlen nichts nütze sey, weil es nur in Anhörung der Meße, Beobachtung der Fest-Tage und andern solchen äußern Dingen bestehe, das Interieur aber des- wegen nicht gebeßert sey; denen frantzösischen Catholicken hingegen gab sie darinnen einen großen Vorzug, daß sie durch die be- kannten rechtschaffnen Leute von Port Royal auf das Essentielle geführet worden. Ob nun gleich durch die betrübte Constitutions- affaire dieser gute Saamen unter der Geistlichkeit mehrentheils ausgerottet worden, so sey doch unter denen Layen denn noch überaus viel übrig, ia es habe dieser Streit denen Layen erst recht die Gelegenheit gegeben, selbst nachzuforschen, und sich in denen zum Heil der Seelen nöthigen Materien beßer zu eclairciren. Sie wolte auch denen Protestanten selbst die Ehre nicht absprechen, daß sie zu mehrerm Licht in der catholischen Kirche etwas beygetragen, meinte aber, daß eben das obgedachte Spanisch- und Italiänische Christenthum die Haupt- Hinderniß sey, wodurch die Protestanten sich von der Widerkehr zur wahren Kirche abhalten ließen. Den 17 December Weil wegen der in wenig Tagen zu Ende lauffenden Moscowi- <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <div type="diaryEntry"> <p><pb facs="#f0088"/><fw type="folNum" place="top">39</fw><lb/> daß er die <choice><abbr>frantzöl:</abbr><expan>frantzösische</expan></choice> Comedie so fleißig, als es doch bekanntlich von ihm<lb/> geschehen, frequentiret hätte. 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39
daß er die frantzöl: Comedie so fleißig, als es doch bekanntlich von ihm
geschehen, frequentiret hätte. Wir erfuhren sonst daß des Chur Fürsten
von Maintz Vetter ein Graf Eltz vor wenig Tagen hier ankommen
sey, iedoch, dem Verlaut nach, nicht in publiquen, sondern nur in
seinen Privataffairen. Von dem vor nicht gar langer Zeit verstor-
benen Duc de Mazarin erzehlte der Ambassadeur, daß derselbe 30000
Bouteillen von dem besten Champagne=Wein in seinem Keller
hinterlaßen, es aber doch geheißen, der Keller sey nicht so gut fourni-
ret als in ehemaligen Zeiten; wie denn gedachter Duc ein gantz
entsetzlicher Säuffer gewesen, auch darüber in denen letzten Jahren
so gar bey der Welt zu Schande und Spott worden. Den Abend brach-
ten wir bey der Marquis de Montbrun zu, trafen auch den Marquis
an, welcher gestern Abend von Navarre unter großer Waßers-
Gefahr, zurückkommen, und nahmen mit demselben wegen unsrer
fernern Praesentationen Abrede. Man redete von dem catholischen
Christentum, und bekannte die Marquise gantz frey, daß das Christen-
thum der Spanier, Italiäner und Pohlen nichts nütze sey, weil
es nur in Anhörung der Meße, Beobachtung der Fest-Tage und
andern solchen äußern Dingen bestehe, das Interieur aber des-
wegen nicht gebeßert sey; denen frantzösischen Catholicken hingegen
gab sie darinnen einen großen Vorzug, daß sie durch die be-
kannten rechtschaffnen Leute von Port Royal auf das Essentielle
geführet worden. Ob nun gleich durch die betrübte Constitutions-
affaire dieser gute Saamen unter der Geistlichkeit mehrentheils
ausgerottet worden, so sey doch unter denen Layen denn noch
überaus viel übrig, ia es habe dieser Streit denen Layen erst
recht die Gelegenheit gegeben, selbst nachzuforschen, und sich
in denen zum Heil der Seelen nöthigen Materien beßer
zu eclairciren. Sie wolte auch denen Protestanten selbst die
Ehre nicht absprechen, daß sie zu mehrerm Licht in der
catholischen Kirche etwas beygetragen, meinte aber, daß eben
das obgedachte Spanisch- und Italiänische Christenthum die Haupt-
Hinderniß sey, wodurch die Protestanten sich von der Widerkehr
zur wahren Kirche abhalten ließen.
Den 17 Decembr:
Weil wegen der in wenig Tagen zu Ende lauffenden Moscowi-
tischen Trauer, und da wegen der Kayserlichen alles noch bey hie-
sigem Hofe ungewiß ist, man der bunten Kleidung halber
mit Schneidern und Kauf-Leuten zu thun gehabt; so haben wir
uns heute zu Hause gehalten, dennoch aber von dem Graf Schön-
feld und deßen Hofmeister, dem H. v. Zech u. H. v. Uffel Visiten ge-
habt. Da nun hierbey nichts Lesenswürdiges gesprochen worden, so
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Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate
Weitere Informationen:Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert. Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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