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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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sondern hauptsächlich daher, weil desrselbe die Quietistischen
Lehren revociret, da man doch gewiß wiße, nach seinem
Tode auch seine Papiere es ausgewiesen, daß er die gedachte
Lehre unveränderlich im Hertzen behalten, und denen
Quietisten, so viel er nur gekont, immerfort favorisiret habe.
Seiner Erzehlung nach, soll die hiesige Bastille mit vielen
rechtschaffnen Leuten, worunter er die Jansenisten verstehet,
angefüllet seyn. Unter andern gedachte er eines solchen
Mannes, dem man seine Feyheit und Loslaßung ange-
kündiget, der aber solche deswegen depreciret habe, weil
einer von seinen Mitgefangenen durch ihn bekehret worden,
welcher eben damals kranck, folglich der Wartung und des
Trosts dieses seines geistlichen Vaters benötiget gewesen.
Gedachter Mann also, sey aus dieser Ursache noch etliche Mo-
nathe länger freywillig im Kercker geblieben. Abends
kamen Herr Ferch und Herr Petersen, und nahmen, wegen
ihrer morgenden Abreise, von uns Abschied.

Den 2 December

Mittags speisten wir bey der Marquise de Montbrun,
woselbst auch der Marquis de Gardouge mit zu Gaste gebe-
ten war. Die Discourse waren vor dismal mehrentheils
genealogisch und geographisch, doch kam auch von denen
Wundern des Monsieur Paris folgende Geschichte mit
vor. Es habe nehmlich die Erde von dem Grabe, und das
Waßer [unleserliches Material]aus dem Brunnen des gedachten Paris, eine ge-
wiße gantz contracte und schon etliche 30 Jahr alte
Weibs-Person, völlig gesund gemacht. Als sie nun
darauf in ein Hospital aufgenommen worden, und
wegen ihrer faulen Zähne, keine Rinde eßen können,
so habe die Gegen=Parthey sich darüber aufgehalten, und
immer zu ihr gesaget: si votre Saint vous faisoit d'autres
dents, il trouveroit plus de credit parmi nous autres.
Darauf sey es geschehen, daß dieser Person, 9 junge frische

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sondern hauptsächlich daher, weil desrselbe die Quietistischen
Lehren revociret, da man doch gewiß wiße, nach seinem
Tode auch seine Papiere es ausgewiesen, daß er die gedachte
Lehre unveränderlich im Hertzen behalten, und denen
Quietisten, so viel er nur gekont, immerfort favorisiret habe.
Seiner Erzehlung nach, soll die hiesige Bastille mit vielen
rechtschaffnen Leuten, worunter er die Jansenisten verstehet,
angefüllet seyn. Unter andern gedachte er eines solchen
Mannes, dem man seine Feyheit und Loslaßung ange-
kündiget, der aber solche deswegen depreciret habe, weil
einer von seinen Mitgefangenen durch ihn bekehret worden,
welcher eben damals kranck, folglich der Wartung und des
Trosts dieses seines geistlichen Vaters benötiget gewesen.
Gedachter Mann also, sey aus dieser Ursache noch etliche Mo-
nathe länger freywillig im Kercker geblieben. Abends
kamen Herr Ferch und Herr Petersen, und nahmen, wegen
ihrer morgenden Abreise, von uns Abschied.

Den 2 December

Mittags speisten wir bey der Marquise de Montbrun,
woselbst auch der Marquis de Gardouge mit zu Gaste gebe-
ten war. Die Discourse waren vor dismal mehrentheils
genealogisch und geographisch, doch kam auch von denen
Wundern des Monsieur Paris folgende Geschichte mit
vor. Es habe nehmlich die Erde von dem Grabe, und das
Waßer [unleserliches Material]aus dem Brunnen des gedachten Paris, eine ge-
wiße gantz contracte und schon etliche 30 Jahr alte
Weibs-Person, völlig gesund gemacht. Als sie nun
darauf in ein Hospital aufgenommen worden, und
wegen ihrer faulen Zähne, keine Rinde eßen können,
so habe die Gegen=Parthey sich darüber aufgehalten, und
immer zu ihr gesaget: si vôtre Saint vous faisoit d’autres
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[0066] 28 sondern hauptsächlich daher, weil desrselbe die Quietistischen Lehren revociret, da man doch gewiß wiße, nach seinem Tode auch seine Papiere es ausgewiesen, daß er die gedachte Lehre unveränderlich im Hertzen behalten, und denen Quietisten, so viel er nur gekont, immerfort favorisiret habe. Seiner Erzehlung nach, soll die hiesige Bastille mit vielen rechtschaffnen Leuten, worunter er die Jansenisten verstehet, angefüllet seyn. Unter andern gedachte er eines solchen Mannes, dem man seine Feyheit und Loslaßung ange- kündiget, der aber solche deswegen depreciret habe, weil einer von seinen Mitgefangenen durch ihn bekehret worden, welcher eben damals kranck, folglich der Wartung und des Trosts dieses seines geistlichen Vaters benötiget gewesen. Gedachter Mann also, sey aus dieser Ursache noch etliche Mo- nathe länger freywillig im Kercker geblieben. Abends kamen Hl: Ferch und H. Petersen, und nahmen, wegen ihrer morgenden Abreise, von uns Abschied. Den 2 Decembr: Mittags speisten wir bey der Marquise de Montbrun, woselbst auch der Marquis de Gardouge mit zu Gaste gebe- ten war. Die Discourse waren vor dismal mehrentheils genealogisch und geographisch, doch kam auch von denen Wundern des Mons. Paris folgende Geschichte mit vor. Es habe nehmlich die Erde von dem Grabe, und das Waßer aus dem Brunnen des gedachten Paris, eine ge- wiße gantz contracte und schon etliche 30 Jahr alte Weibs-Person, völlig gesund gemacht. Als sie nun darauf in ein Hospital aufgenommen worden, und wegen ihrer faulen Zähne, keine Rinde eßen können, so habe die Gegen=Parthey sich darüber aufgehalten, und immer zu ihr gesaget: si vôtre Saint vous faisoit d’autres dents, il trouveroit plus de credit parmi nous autres. Darauf sey es geschehen, daß dieser Person, 9 junge frische

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/66>, abgerufen am 14.08.2024.