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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832.

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Bemerkungen über die englischen Kanäle.
äusserst lebhaften Verkehre daselbst geben. Es ist zu bewundern, dass die grösste Zahl
dieser Kanalbauten innerhalb eines halben Jahrhunderts, nämlich vom Jahre 1760 bis 1810
Statt hatte, während welcher Zeit gerade England in fortwährende Kriege verwickelt war.
Wie gross die Baukosten sämmtlicher Kanalunternehmungen seyen, ist noch von keinem
Schriftsteller nachgewiesen worden und dürfte aus der Ursache nicht anzugeben seyn,
weil beinahe alle Unternehmungen nebst dem von den Akzionärs eingezahlten Stamm-
kapitale noch Darlehen zur Ausführung derselben machten, endlich auch gewöhnlich von
den jährlichen Erträgnissen, wie wir gesehen haben, einen Theil zum weitern Baue ver-
wendeten. Dieser letztere Betrag könnte nur dann ausgewiesen werden, wenn man die
Jahresrechnungen aller Gesellschaften vom Anfange an durchginge. Sutcliffe schätzt
in seiner Treatise on Canals and Reservoirs, welche im Jahre 1816 zu London er-
schien, die Baukosten für Kanäle, welche in den 25 Jahren vor Bekanntmachung seines
Werkes ausgelegt wurden, auf 30 Millionen Liv. st. oder 300 Millionen Conv. Gulden.
Allein dieser Anschlag ist gewiss weit unter der wirklich verausgabten Summe und
kann vielleicht selbst das Doppelte betragen.

Unter den Seite 508 bis 510 angeführten 67 Kanälen, deren Akzien auf der Börse
in London verkauft werden, sind mehrere, welche ihren Unternehmern einen sehr hohen
Gewinn abwerfen und sich noch immer mit 30 bis 50, ja selbst mit 70 Prozent, wie es
bei dem Kanale von Erewash der Fall ist, verzinsen, und es ist bei der steten Zu-
nahme des Verkehres in England auch nicht anzunehmen, dass dieser Gewinn geringer
werden sollte. Inzwischen zeigt derselbe Ausweis, dass auch viele Kanäle den Er-
wartungen nicht entsprochen haben, wie denn mehrere derselben ganz aufgegeben oder
verlassen wurden. In einem Lande, wo der Unternehmungsgeist jeden neuen Gegenstand
mit Lebhaftigkeit auffasst, kann es wohl nicht anders geschehen, als dass nebst vielen
äusserst glücklichen Unternehmungen, wie es hier der Fall ist, auch einzelne minder
vortheilhafte und selbst einige, die den Unternehmern gar keinen Nutzen bringen, zur
Ausführung kommen. Abgesehen von den Vortheilen, welche England im Allgemeinen
aus den Kanälen zog, ist es eine erwiesene hatsache, dass der Bau der Kanäle den Un-
ternehmern im Durchschnitte von grossem pekuniärem Vortheile war. Welche grossen
Kanalbauten noch dermalen in England vorgenommen werden, haben wir an mehreren
Orten und vorzüglich bei dem Kanale von Birmingham Seite 530 angeführt. Man darf
daher keineswegs der Meinung seyn, wie wir in manchen deutschen Schriften seit meh-
reren Jahren gelesen haben, dass die englischen Kanäle grossentheils aufgegeben und
durch Eisenbahnen ersetzt werden.

§. 367.

Der Bau der Eisenbahnen hat in den letzten Jahren allerdings die allgemeine Auf-
merksamkeit in Anspruch genommen und man hat wiederholt die Frage aufgeworfen, ob
die Anlage der Schiffahrtskanäle oder Eisenbahnen zur Beförde-
rung der Frachten zuträglicher sey
. Diese Frage hat zwar für jene Länder
ihr Interesse zum Theil verloren, wo die Baukosten bereits ausgelegt und diese Bauwerke
vollendet sind, allein um so wichtiger ist diese Untersuchung für jene Gegenden, wo
solche Anstalten wegen mancherlei vorgefundener Schwierigkeiten noch unterblieben

Bemerkungen über die englischen Kanäle.
äusserst lebhaften Verkehre daselbst geben. Es ist zu bewundern, dass die grösste Zahl
dieser Kanalbauten innerhalb eines halben Jahrhunderts, nämlich vom Jahre 1760 bis 1810
Statt hatte, während welcher Zeit gerade England in fortwährende Kriege verwickelt war.
Wie gross die Baukosten sämmtlicher Kanalunternehmungen seyen, ist noch von keinem
Schriftsteller nachgewiesen worden und dürfte aus der Ursache nicht anzugeben seyn,
weil beinahe alle Unternehmungen nebst dem von den Akzionärs eingezahlten Stamm-
kapitale noch Darlehen zur Ausführung derselben machten, endlich auch gewöhnlich von
den jährlichen Erträgnissen, wie wir gesehen haben, einen Theil zum weitern Baue ver-
wendeten. Dieser letztere Betrag könnte nur dann ausgewiesen werden, wenn man die
Jahresrechnungen aller Gesellschaften vom Anfange an durchginge. Sutcliffe schätzt
in seiner Treatise on Canals and Reservoirs, welche im Jahre 1816 zu London er-
schien, die Baukosten für Kanäle, welche in den 25 Jahren vor Bekanntmachung seines
Werkes ausgelegt wurden, auf 30 Millionen Liv. st. oder 300 Millionen Conv. Gulden.
Allein dieser Anschlag ist gewiss weit unter der wirklich verausgabten Summe und
kann vielleicht selbst das Doppelte betragen.

Unter den Seite 508 bis 510 angeführten 67 Kanälen, deren Akzien auf der Börse
in London verkauft werden, sind mehrere, welche ihren Unternehmern einen sehr hohen
Gewinn abwerfen und sich noch immer mit 30 bis 50, ja selbst mit 70 Prozent, wie es
bei dem Kanale von Erewash der Fall ist, verzinsen, und es ist bei der steten Zu-
nahme des Verkehres in England auch nicht anzunehmen, dass dieser Gewinn geringer
werden sollte. Inzwischen zeigt derselbe Ausweis, dass auch viele Kanäle den Er-
wartungen nicht entsprochen haben, wie denn mehrere derselben ganz aufgegeben oder
verlassen wurden. In einem Lande, wo der Unternehmungsgeist jeden neuen Gegenstand
mit Lebhaftigkeit auffasst, kann es wohl nicht anders geschehen, als dass nebst vielen
äusserst glücklichen Unternehmungen, wie es hier der Fall ist, auch einzelne minder
vortheilhafte und selbst einige, die den Unternehmern gar keinen Nutzen bringen, zur
Ausführung kommen. Abgesehen von den Vortheilen, welche England im Allgemeinen
aus den Kanälen zog, ist es eine erwiesene hatsache, dass der Bau der Kanäle den Un-
ternehmern im Durchschnitte von grossem pekuniärem Vortheile war. Welche grossen
Kanalbauten noch dermalen in England vorgenommen werden, haben wir an mehreren
Orten und vorzüglich bei dem Kanale von Birmingham Seite 530 angeführt. Man darf
daher keineswegs der Meinung seyn, wie wir in manchen deutschen Schriften seit meh-
reren Jahren gelesen haben, dass die englischen Kanäle grossentheils aufgegeben und
durch Eisenbahnen ersetzt werden.

§. 367.

Der Bau der Eisenbahnen hat in den letzten Jahren allerdings die allgemeine Auf-
merksamkeit in Anspruch genommen und man hat wiederholt die Frage aufgeworfen, ob
die Anlage der Schiffahrtskanäle oder Eisenbahnen zur Beförde-
rung der Frachten zuträglicher sey
. Diese Frage hat zwar für jene Länder
ihr Interesse zum Theil verloren, wo die Baukosten bereits ausgelegt und diese Bauwerke
vollendet sind, allein um so wichtiger ist diese Untersuchung für jene Gegenden, wo
solche Anstalten wegen mancherlei vorgefundener Schwierigkeiten noch unterblieben

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[541/0559] Bemerkungen über die englischen Kanäle. äusserst lebhaften Verkehre daselbst geben. Es ist zu bewundern, dass die grösste Zahl dieser Kanalbauten innerhalb eines halben Jahrhunderts, nämlich vom Jahre 1760 bis 1810 Statt hatte, während welcher Zeit gerade England in fortwährende Kriege verwickelt war. Wie gross die Baukosten sämmtlicher Kanalunternehmungen seyen, ist noch von keinem Schriftsteller nachgewiesen worden und dürfte aus der Ursache nicht anzugeben seyn, weil beinahe alle Unternehmungen nebst dem von den Akzionärs eingezahlten Stamm- kapitale noch Darlehen zur Ausführung derselben machten, endlich auch gewöhnlich von den jährlichen Erträgnissen, wie wir gesehen haben, einen Theil zum weitern Baue ver- wendeten. Dieser letztere Betrag könnte nur dann ausgewiesen werden, wenn man die Jahresrechnungen aller Gesellschaften vom Anfange an durchginge. Sutcliffe schätzt in seiner Treatise on Canals and Reservoirs, welche im Jahre 1816 zu London er- schien, die Baukosten für Kanäle, welche in den 25 Jahren vor Bekanntmachung seines Werkes ausgelegt wurden, auf 30 Millionen Liv. st. oder 300 Millionen Conv. Gulden. Allein dieser Anschlag ist gewiss weit unter der wirklich verausgabten Summe und kann vielleicht selbst das Doppelte betragen. Unter den Seite 508 bis 510 angeführten 67 Kanälen, deren Akzien auf der Börse in London verkauft werden, sind mehrere, welche ihren Unternehmern einen sehr hohen Gewinn abwerfen und sich noch immer mit 30 bis 50, ja selbst mit 70 Prozent, wie es bei dem Kanale von Erewash der Fall ist, verzinsen, und es ist bei der steten Zu- nahme des Verkehres in England auch nicht anzunehmen, dass dieser Gewinn geringer werden sollte. Inzwischen zeigt derselbe Ausweis, dass auch viele Kanäle den Er- wartungen nicht entsprochen haben, wie denn mehrere derselben ganz aufgegeben oder verlassen wurden. In einem Lande, wo der Unternehmungsgeist jeden neuen Gegenstand mit Lebhaftigkeit auffasst, kann es wohl nicht anders geschehen, als dass nebst vielen äusserst glücklichen Unternehmungen, wie es hier der Fall ist, auch einzelne minder vortheilhafte und selbst einige, die den Unternehmern gar keinen Nutzen bringen, zur Ausführung kommen. Abgesehen von den Vortheilen, welche England im Allgemeinen aus den Kanälen zog, ist es eine erwiesene hatsache, dass der Bau der Kanäle den Un- ternehmern im Durchschnitte von grossem pekuniärem Vortheile war. Welche grossen Kanalbauten noch dermalen in England vorgenommen werden, haben wir an mehreren Orten und vorzüglich bei dem Kanale von Birmingham Seite 530 angeführt. Man darf daher keineswegs der Meinung seyn, wie wir in manchen deutschen Schriften seit meh- reren Jahren gelesen haben, dass die englischen Kanäle grossentheils aufgegeben und durch Eisenbahnen ersetzt werden. §. 367. Der Bau der Eisenbahnen hat in den letzten Jahren allerdings die allgemeine Auf- merksamkeit in Anspruch genommen und man hat wiederholt die Frage aufgeworfen, ob die Anlage der Schiffahrtskanäle oder Eisenbahnen zur Beförde- rung der Frachten zuträglicher sey. Diese Frage hat zwar für jene Länder ihr Interesse zum Theil verloren, wo die Baukosten bereits ausgelegt und diese Bauwerke vollendet sind, allein um so wichtiger ist diese Untersuchung für jene Gegenden, wo solche Anstalten wegen mancherlei vorgefundener Schwierigkeiten noch unterblieben

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik02_1832/559>, abgerufen am 18.11.2024.