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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832.

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Kanalschiffahrt in England.
Wohlhabenheit und die Aufklärung als eine weitere Folge selbst in die bis dahin ver-
lassenen und wilden Gebirge Schottlands gedrungen, die vormals unfruchtbaren Heiden
wurden kultivirt, neue Städte und Ortschaften stiegen überall aus den vorher volks-
leeren Gegenden hervor, selbst die Berge wurden bewässert, und ihr Inneres mit bestem
Erfolge bis in die grösste Tiefe durchwühlt. Wenn man bedenkt, dass alle in Eng-
land bestehenden Kanäle seit den letzten 70 Jahren neu erbaut, dass die meisten Stras-
sen, Brücken, Häfen, Leuchtthürme und andere Kunstwerke in derselben Zeit theils
neu angelegt, theils bedeutend verbessert worden sind, dass die ungeheuere Anzahl
der Manufakturen dieses Landes grösstentheils erst in dieser kurzen Zeit entstanden
ist, und dass diese Unternehmungen mit Ausnahme einiger wenigen, sämmtlich von
Privatvereinen und einzelnen Privaten
und vorzüglich zu einer Zeit aus-
geführt wurden, wo ganz Europa und besonders England unter den Drangsalen höchst
kostspieliger Kriege seufzte; so müssen diese Betrachtungen den unbefangenen Beob-
achter in das höchste Staunen versetzen. Es ist unbezweifelt, dass England nur durch
die Anhäufung so vieler nützlicher Arbeiten zu einem so hohen Grade der Macht ge-
langte. Der Staat hat dort den Privaten die Sorge überlassen, Brücken, Strassen und
Kanäle zu erbauen, Flüsse schiffbar zu machen und andere öffentliche Arbeiten aus-
zuführen; wenige Jahre reichten hin, den grössten Theil der nützlichsten Bauten zu
beendigen, mehr als vierhundert Millionen Livres sterling wurden hierzu verwendet
und in weniger als 30 Jahren haben sich dadurch die Einkünfte der Privaten den Be-
rechnungen verlässlicher Schriftsteller zu Folge um 90 Millionen Liv. sterl. vermehrt.
Wie sehr muss diess den Wunsch rege machen, auch bei uns ähnliche Unternehmungen
ausgeführt zu sehen! -- Hierunter behaupten gute Komunikazionswege immer einen vor-
züglichen Platz. Eine grosse, über Berge und Abgründe geführte Strasse vereinigt zwei
Völker durch den Handel, welche durch die Natur von einander getrennt und beinahe
eines dem andern unbekannt sind; ein Kanal vereinigt Provinzen, welche bisher von ein-
ander isolirt und beinahe fremd waren, und grosse über Flüsse erbaute Brücken, so wie
die Regulirung der Flüsse, die Herstellung der Seehäfen und andere ähnliche grosse Ar-
beiten, wobei Tausende reichlichen Erwerb finden, tragen offenbar dazu bei, um Na-
zionen reich und mächtig zu machen. -- Wohl mit Recht sagte der Staatssekretär Can-
ning
bei dem Gastmahle der Gesellschaft der Schiffsrheder im Februar 1825: "Wir
"besitzen kein Mittel, das die andern Nazionen nicht gleichfalls in sich selbst trügen;"
"der Grund unserer Wohlfahrt liegt in der unzerstörbaren Energie des brittischen"
"Volkes und in jenem Unternehmungsgeiste, der seinen Handel bis an das Ende der"
"Welt ausdehnt und das ganze Menschengeschlecht in Erstaunen setzt."

§. 354.

Die Anlage der Kanäle wird durch die Lage und das Klima von England ausser-
ordentlich begünstigt; die Westwinde, welche während des grössten Theiles des Jah-
res daselbst herrschen, die starken Nebel und häufigen Regen vermehren einerseits
die Menge der Gewässer und vermindern die Ausdünstung; endlich ist die Wärme in
dem grössten Theile des Jahres so gemässigt, dass die Kanäle und Flüsse beinahe im-
mer schiffbar bleiben. Inzwischen ist die Schwierigkeit des Baues der Kanäle weit
grösser, als in den flachen Niederlanden, in Holland und der Lombardei, indem Eng-

Gerstner's Mechanik. Band II. 63

Kanalschiffahrt in England.
Wohlhabenheit und die Aufklärung als eine weitere Folge selbst in die bis dahin ver-
lassenen und wilden Gebirge Schottlands gedrungen, die vormals unfruchtbaren Heiden
wurden kultivirt, neue Städte und Ortschaften stiegen überall aus den vorher volks-
leeren Gegenden hervor, selbst die Berge wurden bewässert, und ihr Inneres mit bestem
Erfolge bis in die grösste Tiefe durchwühlt. Wenn man bedenkt, dass alle in Eng-
land bestehenden Kanäle seit den letzten 70 Jahren neu erbaut, dass die meisten Stras-
sen, Brücken, Häfen, Leuchtthürme und andere Kunstwerke in derselben Zeit theils
neu angelegt, theils bedeutend verbessert worden sind, dass die ungeheuere Anzahl
der Manufakturen dieses Landes grösstentheils erst in dieser kurzen Zeit entstanden
ist, und dass diese Unternehmungen mit Ausnahme einiger wenigen, sämmtlich von
Privatvereinen und einzelnen Privaten
und vorzüglich zu einer Zeit aus-
geführt wurden, wo ganz Europa und besonders England unter den Drangsalen höchst
kostspieliger Kriege seufzte; so müssen diese Betrachtungen den unbefangenen Beob-
achter in das höchste Staunen versetzen. Es ist unbezweifelt, dass England nur durch
die Anhäufung so vieler nützlicher Arbeiten zu einem so hohen Grade der Macht ge-
langte. Der Staat hat dort den Privaten die Sorge überlassen, Brücken, Strassen und
Kanäle zu erbauen, Flüsse schiffbar zu machen und andere öffentliche Arbeiten aus-
zuführen; wenige Jahre reichten hin, den grössten Theil der nützlichsten Bauten zu
beendigen, mehr als vierhundert Millionen Livres sterling wurden hierzu verwendet
und in weniger als 30 Jahren haben sich dadurch die Einkünfte der Privaten den Be-
rechnungen verlässlicher Schriftsteller zu Folge um 90 Millionen Liv. sterl. vermehrt.
Wie sehr muss diess den Wunsch rege machen, auch bei uns ähnliche Unternehmungen
ausgeführt zu sehen! — Hierunter behaupten gute Komunikazionswege immer einen vor-
züglichen Platz. Eine grosse, über Berge und Abgründe geführte Strasse vereinigt zwei
Völker durch den Handel, welche durch die Natur von einander getrennt und beinahe
eines dem andern unbekannt sind; ein Kanal vereinigt Provinzen, welche bisher von ein-
ander isolirt und beinahe fremd waren, und grosse über Flüsse erbaute Brücken, so wie
die Regulirung der Flüsse, die Herstellung der Seehäfen und andere ähnliche grosse Ar-
beiten, wobei Tausende reichlichen Erwerb finden, tragen offenbar dazu bei, um Na-
zionen reich und mächtig zu machen. — Wohl mit Recht sagte der Staatssekretär Can-
ning
bei dem Gastmahle der Gesellschaft der Schiffsrheder im Februar 1825: „Wir
„besitzen kein Mittel, das die andern Nazionen nicht gleichfalls in sich selbst trügen;„
„der Grund unserer Wohlfahrt liegt in der unzerstörbaren Energie des brittischen„
„Volkes und in jenem Unternehmungsgeiste, der seinen Handel bis an das Ende der„
„Welt ausdehnt und das ganze Menschengeschlecht in Erstaunen setzt.“

§. 354.

Die Anlage der Kanäle wird durch die Lage und das Klima von England ausser-
ordentlich begünstigt; die Westwinde, welche während des grössten Theiles des Jah-
res daselbst herrschen, die starken Nebel und häufigen Regen vermehren einerseits
die Menge der Gewässer und vermindern die Ausdünstung; endlich ist die Wärme in
dem grössten Theile des Jahres so gemässigt, dass die Kanäle und Flüsse beinahe im-
mer schiffbar bleiben. Inzwischen ist die Schwierigkeit des Baues der Kanäle weit
grösser, als in den flachen Niederlanden, in Holland und der Lombardei, indem Eng-

Gerstner’s Mechanik. Band II. 63
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[497/0515] Kanalschiffahrt in England. Wohlhabenheit und die Aufklärung als eine weitere Folge selbst in die bis dahin ver- lassenen und wilden Gebirge Schottlands gedrungen, die vormals unfruchtbaren Heiden wurden kultivirt, neue Städte und Ortschaften stiegen überall aus den vorher volks- leeren Gegenden hervor, selbst die Berge wurden bewässert, und ihr Inneres mit bestem Erfolge bis in die grösste Tiefe durchwühlt. Wenn man bedenkt, dass alle in Eng- land bestehenden Kanäle seit den letzten 70 Jahren neu erbaut, dass die meisten Stras- sen, Brücken, Häfen, Leuchtthürme und andere Kunstwerke in derselben Zeit theils neu angelegt, theils bedeutend verbessert worden sind, dass die ungeheuere Anzahl der Manufakturen dieses Landes grösstentheils erst in dieser kurzen Zeit entstanden ist, und dass diese Unternehmungen mit Ausnahme einiger wenigen, sämmtlich von Privatvereinen und einzelnen Privaten und vorzüglich zu einer Zeit aus- geführt wurden, wo ganz Europa und besonders England unter den Drangsalen höchst kostspieliger Kriege seufzte; so müssen diese Betrachtungen den unbefangenen Beob- achter in das höchste Staunen versetzen. Es ist unbezweifelt, dass England nur durch die Anhäufung so vieler nützlicher Arbeiten zu einem so hohen Grade der Macht ge- langte. Der Staat hat dort den Privaten die Sorge überlassen, Brücken, Strassen und Kanäle zu erbauen, Flüsse schiffbar zu machen und andere öffentliche Arbeiten aus- zuführen; wenige Jahre reichten hin, den grössten Theil der nützlichsten Bauten zu beendigen, mehr als vierhundert Millionen Livres sterling wurden hierzu verwendet und in weniger als 30 Jahren haben sich dadurch die Einkünfte der Privaten den Be- rechnungen verlässlicher Schriftsteller zu Folge um 90 Millionen Liv. sterl. vermehrt. Wie sehr muss diess den Wunsch rege machen, auch bei uns ähnliche Unternehmungen ausgeführt zu sehen! — Hierunter behaupten gute Komunikazionswege immer einen vor- züglichen Platz. Eine grosse, über Berge und Abgründe geführte Strasse vereinigt zwei Völker durch den Handel, welche durch die Natur von einander getrennt und beinahe eines dem andern unbekannt sind; ein Kanal vereinigt Provinzen, welche bisher von ein- ander isolirt und beinahe fremd waren, und grosse über Flüsse erbaute Brücken, so wie die Regulirung der Flüsse, die Herstellung der Seehäfen und andere ähnliche grosse Ar- beiten, wobei Tausende reichlichen Erwerb finden, tragen offenbar dazu bei, um Na- zionen reich und mächtig zu machen. — Wohl mit Recht sagte der Staatssekretär Can- ning bei dem Gastmahle der Gesellschaft der Schiffsrheder im Februar 1825: „Wir „besitzen kein Mittel, das die andern Nazionen nicht gleichfalls in sich selbst trügen;„ „der Grund unserer Wohlfahrt liegt in der unzerstörbaren Energie des brittischen„ „Volkes und in jenem Unternehmungsgeiste, der seinen Handel bis an das Ende der„ „Welt ausdehnt und das ganze Menschengeschlecht in Erstaunen setzt.“ §. 354. Die Anlage der Kanäle wird durch die Lage und das Klima von England ausser- ordentlich begünstigt; die Westwinde, welche während des grössten Theiles des Jah- res daselbst herrschen, die starken Nebel und häufigen Regen vermehren einerseits die Menge der Gewässer und vermindern die Ausdünstung; endlich ist die Wärme in dem grössten Theile des Jahres so gemässigt, dass die Kanäle und Flüsse beinahe im- mer schiffbar bleiben. Inzwischen ist die Schwierigkeit des Baues der Kanäle weit grösser, als in den flachen Niederlanden, in Holland und der Lombardei, indem Eng- Gerstner’s Mechanik. Band II. 63

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik02_1832/515>, abgerufen am 18.11.2024.