Ist das Gefälle
[Formel 1]
des Flusses bei kleinem und bei grossem Wasser dasselbe und ist die Höhe des niedrigen Wassers = a, des Hochwassers = A, die Breite b aber immer die- selbe, so wird die Peripherie oder der Umfang, welchen das Wasser bei niedrigem Stande einnimmt = b + 2 a und der Umfang desselben bei hohem Stande = b + 2 A seyn. Bezeichnet nun v und V die Geschwindigkeiten, welche in diesen 2 Fällen eintreten, so ist
[Formel 2]
. Nun kann man füglich b + 2 a = b + 2 A setzen, weil bei Flüssen und Kanälen die Breite im Verhältniss der Höhe gewöhnlich sehr viel beträgt; wir erhalten demnach
[Formel 3]
und v : V = sqrt a : sqrt A, oder in Flüs- sen und Kanälen verhalten sich die mittlern Geschwindigkeiten bei verschiedenen Anschwellungen wie die Quadratwurzeln aus den mittlern Tiefen. Ein seichteres Wasser fliesst daher immer langsamer als ein tieferes (bei demselben Gefälle), und wenn das Wasser in einem Flusse um das 4fache steigt, so wird die Geschwindigkeit doppelt; würde aber das Wasser in einem Flusse 9 mal so hoch steigen, so wird die Geschwindigkeit 3fach u. s. w. Dieses bestättigt aber auch vollkommen die Erfahrung, indem es bekannt ist, dass ein jeder Fluss bei hohem Wasserstande z. B. bei Eisgängen immer eine weit grössere Geschwindigkeit als bei nie- drigem Wasserstande annimmt.
Die obige Gleichung
[Formel 4]
oder v = 2
[Formel 5]
zeigt uns ferner, dass ein Fluss, welcher auf dieselbe Länge ein 4faches Gefälle
[Formel 6]
als ein anderer Fluss hat, auch eine doppelte Geschwindigkeit, bei einem 9fachen Gefälle eine 3fache Geschwindigkeit u. s. w. haben werde.
§. 213.
Setzen wir in den aufgestellten Gleichungen nach der obigen Bemerkung
[Formel 7]
, so ist
[Formel 8]
(I) und M = a . b . v (II).
1stes Beispiel. Bei dem Donaukanale in Wien, welcher die Stadt von der Leopoldstadt trennt, ist ein Gefälle von 4 Zoll auf 100 Klafter vorhanden, demnach
[Formel 9]
. Dieser Kanal ist im Mittel 36 Klafter breit und 4 Fuss tief. Demnach beträgt die mittlere Geschwindigkeit des Wassers in demselben v = 2
[Formel 10]
= 5 Fuss, welches wirklich den vorge- nommenen Messungen zu Folge bei der mittlern Tiefe von 4 Fuss der Fall ist. Als aber bei der grossen Ueberschwemmung am 1ten März 1830, das Wasser auf die 4fache Höhe stieg, vermehrte sich auch die Geschwindigkeit auf das doppelte und sie betrug 10 Fuss.
2tes Beispiel. Die Moldau hat zwischen Budweis und Prag die Länge l = 100799 Klafter, der Fall auf diese Länge beträgt y = 627 5/12 Fuss und die mitt- lere Tiefe des Flusses a = 1,5 Fuss. Hieraus ergibt sich die mittlere Geschwin-
Geschwindigkeit des Wassers bei Anschwellungen.
Ist das Gefälle
[Formel 1]
des Flusses bei kleinem und bei grossem Wasser dasselbe und ist die Höhe des niedrigen Wassers = a, des Hochwassers = A, die Breite b aber immer die- selbe, so wird die Peripherie oder der Umfang, welchen das Wasser bei niedrigem Stande einnimmt = b + 2 a und der Umfang desselben bei hohem Stande = b + 2 A seyn. Bezeichnet nun v und V die Geschwindigkeiten, welche in diesen 2 Fällen eintreten, so ist
[Formel 2]
. Nun kann man füglich b + 2 a = b + 2 A setzen, weil bei Flüssen und Kanälen die Breite im Verhältniss der Höhe gewöhnlich sehr viel beträgt; wir erhalten demnach
[Formel 3]
und v : V = √ a : √ A, oder in Flüs- sen und Kanälen verhalten sich die mittlern Geschwindigkeiten bei verschiedenen Anschwellungen wie die Quadratwurzeln aus den mittlern Tiefen. Ein seichteres Wasser fliesst daher immer langsamer als ein tieferes (bei demselben Gefälle), und wenn das Wasser in einem Flusse um das 4fache steigt, so wird die Geschwindigkeit doppelt; würde aber das Wasser in einem Flusse 9 mal so hoch steigen, so wird die Geschwindigkeit 3fach u. s. w. Dieses bestättigt aber auch vollkommen die Erfahrung, indem es bekannt ist, dass ein jeder Fluss bei hohem Wasserstande z. B. bei Eisgängen immer eine weit grössere Geschwindigkeit als bei nie- drigem Wasserstande annimmt.
Die obige Gleichung
[Formel 4]
oder v = 2
[Formel 5]
zeigt uns ferner, dass ein Fluss, welcher auf dieselbe Länge ein 4faches Gefälle
[Formel 6]
als ein anderer Fluss hat, auch eine doppelte Geschwindigkeit, bei einem 9fachen Gefälle eine 3fache Geschwindigkeit u. s. w. haben werde.
§. 213.
Setzen wir in den aufgestellten Gleichungen nach der obigen Bemerkung
[Formel 7]
, so ist
[Formel 8]
(I) und M = a . b . v (II).
1stes Beispiel. Bei dem Donaukanale in Wien, welcher die Stadt von der Leopoldstadt trennt, ist ein Gefälle von 4 Zoll auf 100 Klafter vorhanden, demnach
[Formel 9]
. Dieser Kanal ist im Mittel 36 Klafter breit und 4 Fuss tief. Demnach beträgt die mittlere Geschwindigkeit des Wassers in demselben v = 2
[Formel 10]
= 5 Fuss, welches wirklich den vorge- nommenen Messungen zu Folge bei der mittlern Tiefe von 4 Fuss der Fall ist. Als aber bei der grossen Ueberschwemmung am 1ten März 1830, das Wasser auf die 4fache Höhe stieg, vermehrte sich auch die Geschwindigkeit auf das doppelte und sie betrug 10 Fuss.
2tes Beispiel. Die Moldau hat zwischen Budweis und Prag die Länge l = 100799 Klafter, der Fall auf diese Länge beträgt y = 627 5/12 Fuss und die mitt- lere Tiefe des Flusses a = 1,5 Fuss. Hieraus ergibt sich die mittlere Geschwin-
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[288/0306]
Geschwindigkeit des Wassers bei Anschwellungen.
Ist das Gefälle [FORMEL] des Flusses bei kleinem und bei grossem Wasser dasselbe und ist die
Höhe des niedrigen Wassers = a, des Hochwassers = A, die Breite b aber immer die-
selbe, so wird die Peripherie oder der Umfang, welchen das Wasser bei niedrigem Stande
einnimmt = b + 2 a und der Umfang desselben bei hohem Stande = b + 2 A seyn.
Bezeichnet nun v und V die Geschwindigkeiten, welche in diesen 2 Fällen eintreten, so
ist [FORMEL]. Nun kann man füglich b + 2 a = b + 2 A
setzen, weil bei Flüssen und Kanälen die Breite im Verhältniss der Höhe gewöhnlich
sehr viel beträgt; wir erhalten demnach [FORMEL] und v : V = √ a : √ A, oder in Flüs-
sen und Kanälen verhalten sich die mittlern Geschwindigkeiten
bei verschiedenen Anschwellungen wie die Quadratwurzeln aus
den mittlern Tiefen. Ein seichteres Wasser fliesst daher immer langsamer als ein
tieferes (bei demselben Gefälle), und wenn das Wasser in einem Flusse um das 4fache
steigt, so wird die Geschwindigkeit doppelt; würde aber das Wasser in einem Flusse
9 mal so hoch steigen, so wird die Geschwindigkeit 3fach u. s. w. Dieses bestättigt aber
auch vollkommen die Erfahrung, indem es bekannt ist, dass ein jeder Fluss bei hohem
Wasserstande z. B. bei Eisgängen immer eine weit grössere Geschwindigkeit als bei nie-
drigem Wasserstande annimmt.
Die obige Gleichung [FORMEL] oder v = 2 [FORMEL] zeigt uns ferner,
dass ein Fluss, welcher auf dieselbe Länge ein 4faches Gefälle [FORMEL] als ein anderer
Fluss hat, auch eine doppelte Geschwindigkeit, bei einem 9fachen Gefälle eine 3fache
Geschwindigkeit u. s. w. haben werde.
§. 213.
Setzen wir in den aufgestellten Gleichungen nach der obigen Bemerkung [FORMEL],
so ist [FORMEL] (I) und M = a . b . v (II).
1stes Beispiel. Bei dem Donaukanale in Wien, welcher die Stadt von der
Leopoldstadt trennt, ist ein Gefälle von 4 Zoll auf 100 Klafter vorhanden, demnach
[FORMEL]. Dieser Kanal ist im Mittel 36 Klafter breit und 4 Fuss tief.
Demnach beträgt die mittlere Geschwindigkeit des Wassers in demselben
v = 2 [FORMEL] = 5 Fuss, welches wirklich den vorge-
nommenen Messungen zu Folge bei der mittlern Tiefe von 4 Fuss der Fall ist. Als aber
bei der grossen Ueberschwemmung am 1ten März 1830, das Wasser auf die 4fache Höhe
stieg, vermehrte sich auch die Geschwindigkeit auf das doppelte und sie betrug 10 Fuss.
2tes Beispiel. Die Moldau hat zwischen Budweis und Prag die Länge l =
100799 Klafter, der Fall auf diese Länge beträgt y = 627 5/12 Fuss und die mitt-
lere Tiefe des Flusses a = 1,5 Fuss. Hieraus ergibt sich die mittlere Geschwin-
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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik02_1832/306>, abgerufen am 18.11.2024.
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