III. Kapitel. Freier Ausfluss des Wassers durch Oeffnungen.
§. 101.
Die Hydraulik handelt von den Gesetzen der Bewegung der tropfbaren Flüs- sigkeiten, als Wasser, Weingeist, Quecksilber u. dgl. m.; und ist in dieser Hinsicht für die flüssigen Körper dasselbe, was die Mechanik für die festen Körper ist. Ob- wohl zu den tropfbar flüssigen Körpern auch die zähen Flüssigkeiten gerechnet wer- den, so müssen wir doch zur grösseren Deutlichkeit die vollkommen Flüssigen voraus- gehen lassen, und die Abweichungen, welche bei den letztern angetroffen werden, unter den Widerständen der Bewegung anführen.
Der einfachste Fall, welcher hier zuerst behandelt wird, ist der Ausfluss des Wassers durch Oeffnungen in den Wänden der Gefässe. Wenn am Bo- den oder in der Seitenwand eines grossen Gefässes eine kleine Oeffnung gemacht,Fig. 1 und 2. Tab. 46. diese mit einem Spund oder Zapfen wasserdicht verschlossen und sodann das Gefäss mit Wasser angefüllt wird, so drückt das letztere gemäss §. 14. der Hydrostatik an alle Punkte der Wände, welche seinen Abfluss hindern, mit einer Kraft, die dem Ge- wichte einer Wassersäule gleich ist, welche die entgegenstehende oder gedrückte Fläche zur Grundfläche und die Höhe des Wasserstandes von der Oberfläche bis zum Mittelpunkte der Oeffnung zur Höhe hat. Wird dieser Spund oder Zapfen herausgezogen, oder die den Ausfluss hindernde Fläche weggenommen, so strömt das Wasser mit derselben Kraft aus, mit welcher es vorher an den Spund, der seine Bewegung aufgehalten hat, angedrückt wurde. Die ausfliessende Wassermenge ist demnach um so grösser, je grösser die geöffnete Fläche und je höher der Wasserstand über der Oeffnung ist, bis zu wel- chem das Gefäss angefüllt war. Um ein bestimmtes Mass für diesen Ausfluss anzugeben, wollen wir die Fläche der Oeffnung oder die Querschnittsfläche des Wasserstrahles = f und die Geschwindigkeit des ausfliessenden Wassers oder den Raum, wie weit sich das- selbe gleichförmig oder in der angenommenen Richtung in 1 Sekunde von der Oeffnung entfernt = c setzen, so leuchtet von selbst ein, dass die in jeder Sekunde ausfliessende Wassermenge so gross sey, als der kubische Inhalt eines Prisma oder zylindrischen Kör- pers, welcher die Querschnittsfläche f des ausfliessenden Wasserstrahles zur Grundfläche und die Geschwindigkeit c zur Höhe oder Länge hat. Wenn demnach das Wasser bei unveränderter Geschwindigkeit durch eine Zeit von t Sekunden auszulaufen fort- fährt, so wird die während dieser Zeit ausfliessende Wassermenge M = f . c . t seyn.
III. Kapitel. Freier Ausfluss des Wassers durch Oeffnungen.
§. 101.
Die Hydraulik handelt von den Gesetzen der Bewegung der tropfbaren Flüs- sigkeiten, als Wasser, Weingeist, Quecksilber u. dgl. m.; und ist in dieser Hinsicht für die flüssigen Körper dasselbe, was die Mechanik für die festen Körper ist. Ob- wohl zu den tropfbar flüssigen Körpern auch die zähen Flüssigkeiten gerechnet wer- den, so müssen wir doch zur grösseren Deutlichkeit die vollkommen Flüssigen voraus- gehen lassen, und die Abweichungen, welche bei den letztern angetroffen werden, unter den Widerständen der Bewegung anführen.
Der einfachste Fall, welcher hier zuerst behandelt wird, ist der Ausfluss des Wassers durch Oeffnungen in den Wänden der Gefässe. Wenn am Bo- den oder in der Seitenwand eines grossen Gefässes eine kleine Oeffnung gemacht,Fig. 1 und 2. Tab. 46. diese mit einem Spund oder Zapfen wasserdicht verschlossen und sodann das Gefäss mit Wasser angefüllt wird, so drückt das letztere gemäss §. 14. der Hydrostatik an alle Punkte der Wände, welche seinen Abfluss hindern, mit einer Kraft, die dem Ge- wichte einer Wassersäule gleich ist, welche die entgegenstehende oder gedrückte Fläche zur Grundfläche und die Höhe des Wasserstandes von der Oberfläche bis zum Mittelpunkte der Oeffnung zur Höhe hat. Wird dieser Spund oder Zapfen herausgezogen, oder die den Ausfluss hindernde Fläche weggenommen, so strömt das Wasser mit derselben Kraft aus, mit welcher es vorher an den Spund, der seine Bewegung aufgehalten hat, angedrückt wurde. Die ausfliessende Wassermenge ist demnach um so grösser, je grösser die geöffnete Fläche und je höher der Wasserstand über der Oeffnung ist, bis zu wel- chem das Gefäss angefüllt war. Um ein bestimmtes Mass für diesen Ausfluss anzugeben, wollen wir die Fläche der Oeffnung oder die Querschnittsfläche des Wasserstrahles = f und die Geschwindigkeit des ausfliessenden Wassers oder den Raum, wie weit sich das- selbe gleichförmig oder in der angenommenen Richtung in 1 Sekunde von der Oeffnung entfernt = c setzen, so leuchtet von selbst ein, dass die in jeder Sekunde ausfliessende Wassermenge so gross sey, als der kubische Inhalt eines Prisma oder zylindrischen Kör- pers, welcher die Querschnittsfläche f des ausfliessenden Wasserstrahles zur Grundfläche und die Geschwindigkeit c zur Höhe oder Länge hat. Wenn demnach das Wasser bei unveränderter Geschwindigkeit durch eine Zeit von t Sekunden auszulaufen fort- fährt, so wird die während dieser Zeit ausfliessende Wassermenge M = f . c . t seyn.
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III. Kapitel.
Freier Ausfluss des Wassers durch Oeffnungen.
§. 101.
Die Hydraulik handelt von den Gesetzen der Bewegung der tropfbaren Flüs-
sigkeiten, als Wasser, Weingeist, Quecksilber u. dgl. m.; und ist in dieser Hinsicht
für die flüssigen Körper dasselbe, was die Mechanik für die festen Körper ist. Ob-
wohl zu den tropfbar flüssigen Körpern auch die zähen Flüssigkeiten gerechnet wer-
den, so müssen wir doch zur grösseren Deutlichkeit die vollkommen Flüssigen voraus-
gehen lassen, und die Abweichungen, welche bei den letztern angetroffen werden, unter
den Widerständen der Bewegung anführen.
Der einfachste Fall, welcher hier zuerst behandelt wird, ist der Ausfluss des
Wassers durch Oeffnungen in den Wänden der Gefässe. Wenn am Bo-
den oder in der Seitenwand eines grossen Gefässes eine kleine Oeffnung gemacht,
diese mit einem Spund oder Zapfen wasserdicht verschlossen und sodann das Gefäss
mit Wasser angefüllt wird, so drückt das letztere gemäss §. 14. der Hydrostatik an
alle Punkte der Wände, welche seinen Abfluss hindern, mit einer Kraft, die dem Ge-
wichte einer Wassersäule gleich ist, welche die entgegenstehende oder gedrückte Fläche
zur Grundfläche und die Höhe des Wasserstandes von der Oberfläche bis zum Mittelpunkte
der Oeffnung zur Höhe hat. Wird dieser Spund oder Zapfen herausgezogen, oder die
den Ausfluss hindernde Fläche weggenommen, so strömt das Wasser mit derselben
Kraft aus, mit welcher es vorher an den Spund, der seine Bewegung aufgehalten hat,
angedrückt wurde. Die ausfliessende Wassermenge ist demnach um so grösser, je grösser
die geöffnete Fläche und je höher der Wasserstand über der Oeffnung ist, bis zu wel-
chem das Gefäss angefüllt war. Um ein bestimmtes Mass für diesen Ausfluss anzugeben,
wollen wir die Fläche der Oeffnung oder die Querschnittsfläche des Wasserstrahles = f
und die Geschwindigkeit des ausfliessenden Wassers oder den Raum, wie weit sich das-
selbe gleichförmig oder in der angenommenen Richtung in 1 Sekunde von der Oeffnung
entfernt = c setzen, so leuchtet von selbst ein, dass die in jeder Sekunde ausfliessende
Wassermenge so gross sey, als der kubische Inhalt eines Prisma oder zylindrischen Kör-
pers, welcher die Querschnittsfläche f des ausfliessenden Wasserstrahles zur Grundfläche
und die Geschwindigkeit c zur Höhe oder Länge hat. Wenn demnach das Wasser
bei unveränderter Geschwindigkeit durch eine Zeit von t Sekunden auszulaufen fort-
fährt, so wird die während dieser Zeit ausfliessende Wassermenge M = f . c . t seyn.
Fig.
1
und
2.
Tab.
46.
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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik02_1832/153>, abgerufen am 18.11.2024.
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