Zur Bestimmung der krummen Linie, welche die Ketten annehmen, wenn sie nebst ihrer eigenen Last noch das Gewicht der Brücken- bahn der darüber fahrenden Wägen etc. zu tragen haben, wollen wirFig. 8. Tab. 20. vorläufig die Stellung der Seiten eines Polygons untersuchen, welche ein biegsamer Faden annimmt, wenn an denselben in den Punkten a, b, c ..... die Gewichte P, Q, R ... und eben so an der andern Seite in den Punkten b', c' .... die Gewichte Q', R' ...... angehängt werden. Es leuchtet von selbst ein, dass das Polygon von dem Punkte a aus nach beiden Seiten symetrisch seyn müsse, wenn die Grösse und Entfernungen der angehängten Gewichte untereinander und von der Mittellinie zu beiden Seiten gleich angenommen werden. Es wird also hinreichend seyn, das Verhältniss der Stellungswinkel, welche die Polygonseiten mit dem Horizonte bilden, nur an einer Seite aufzusuchen. Zu dieser Absicht wollen wir vorerst das Gewicht P in dem Punkte a betrachten, welches an den beiden Fäden b a und b' a hängt. Um diejenige Kraft zu finden, mit welcher jeder dieser Fäden nach seiner Richtung von dem Gewichte P gezogen wird, wollen wir die Kraft P durch die Linie a p vorstellen, und sie durch das Parallelogramm a n p m in die beiden äussern Kräfte a n und a m nach den Richtungen der gespannten Fäden b a und b' a zerlegen.
Nennen wir die Spannung a m nach der Richtung des Fadens = T, so erhalten wir nach der Theorie des Kräftenparallelogrammes die Proportion T : P = a m : a p. In dem Punkte b wirkt also die Kraft b s = a m = T nach der Richtung b a. Zerlegen wir die Spannung b s = a m durch das Parallelogramm brst in die senkrechte Kraft b t(= P') und in die Horizontale b r (= H), so folgt aus dem Parallelogramm brst die Proportion P' : T = b t : b s (oder a m). Durch die Multiplikation der beiden Proportionen erhält man P' : P = b t : a p. Ziehen wir in dem Parallelogramm a m p n die Diagonale m n, so ist das rechtwinklichte Dreieck a m o, wegen b s = a m, mit dem rechtwinklichten Dreiecke b s t kongruent, daher t s oder b r = o m und b t = a o. Weil aber die Diagonallinien eines Parallelogramms sich wechselseitig halbiren, so ist a o = 1/2 a p, also auch b t = 1/2 a p. Dieses in die letzte Proportion gesetzt, gibt P' : P = 1/2 a p : a p = 1 : 2, mithin P' = 1/2 P. Setzen wir den Stellungswinkel, welchen die erste Seite b a mit der Horizontalen b b' bildet, b' b a = a, so ist im Dreiecke b t s auch b t : t s oder H : 1/2 P = 1 : tang a, und hieraus für den Stellungswinkel tang
[Formel 1]
, und wenn der Winkel a gegeben ist, so folgt die horizontale Spannung
[Formel 2]
.
In dem Punkte b haben wir zur senkrechten Kraft 1/2 P noch die Last Q (= t u) hinzu- zusetzen. Durch diese Vermehrung haben wir also in b die senkrechte Kraft b u = 1/2 P + Q und die horizontale = b r = H. Wenn nun diese beiden durch das Parallelogramm b r w u zusammengesetzt werden, so gibt die Diagonale b w sowohl die Richtung, als auch die Grösse der in b angebrachten mittlern Kraft. Da wir nun annehmen, dass diese von der Spannung des Fadens b c im Gleichgewichte erhalten wird, so folgt von selbst, dass c b in der Richtung der Diagonale b w liegen, folglich die Linie c b w eine gerade Linie seyn müsse. Ziehen wir nun durch c die horizontale Linie c c', so ist diese zu der horizontalen b b' parallel, folglich der Stellungswinkel c' c b = b = b' b w. In dem rechtwinklichten
Gerstners Mechanik. Band I. 60
Theorie der Kettenbrücken.
§. 424.
Zur Bestimmung der krummen Linie, welche die Ketten annehmen, wenn sie nebst ihrer eigenen Last noch das Gewicht der Brücken- bahn der darüber fahrenden Wägen etc. zu tragen haben, wollen wirFig. 8. Tab. 20. vorläufig die Stellung der Seiten eines Polygons untersuchen, welche ein biegsamer Faden annimmt, wenn an denselben in den Punkten a, b, c ..... die Gewichte P, Q, R … und eben so an der andern Seite in den Punkten b', c' .... die Gewichte Q', R' ...... angehängt werden. Es leuchtet von selbst ein, dass das Polygon von dem Punkte a aus nach beiden Seiten symetrisch seyn müsse, wenn die Grösse und Entfernungen der angehängten Gewichte untereinander und von der Mittellinie zu beiden Seiten gleich angenommen werden. Es wird also hinreichend seyn, das Verhältniss der Stellungswinkel, welche die Polygonseiten mit dem Horizonte bilden, nur an einer Seite aufzusuchen. Zu dieser Absicht wollen wir vorerst das Gewicht P in dem Punkte a betrachten, welches an den beiden Fäden b a und b' a hängt. Um diejenige Kraft zu finden, mit welcher jeder dieser Fäden nach seiner Richtung von dem Gewichte P gezogen wird, wollen wir die Kraft P durch die Linie a p vorstellen, und sie durch das Parallelogramm a n p m in die beiden äussern Kräfte a n und a m nach den Richtungen der gespannten Fäden b a und b' a zerlegen.
Nennen wir die Spannung a m nach der Richtung des Fadens = T, so erhalten wir nach der Theorie des Kräftenparallelogrammes die Proportion T : P = a m : a p. In dem Punkte b wirkt also die Kraft b s = a m = T nach der Richtung b a. Zerlegen wir die Spannung b s = a m durch das Parallelogramm brst in die senkrechte Kraft b t(= P') und in die Horizontale b r (= H), so folgt aus dem Parallelogramm brst die Proportion P' : T = b t : b s (oder a m). Durch die Multiplikation der beiden Proportionen erhält man P' : P = b t : a p. Ziehen wir in dem Parallelogramm a m p n die Diagonale m n, so ist das rechtwinklichte Dreieck a m o, wegen b s = a m, mit dem rechtwinklichten Dreiecke b s t kongruent, daher t s oder b r = o m und b t = a o. Weil aber die Diagonallinien eines Parallelogramms sich wechselseitig halbiren, so ist a o = ½ a p, also auch b t = ½ a p. Dieses in die letzte Proportion gesetzt, gibt P' : P = ½ a p : a p = 1 : 2, mithin P' = ½ P. Setzen wir den Stellungswinkel, welchen die erste Seite b a mit der Horizontalen b b' bildet, b' b a = α, so ist im Dreiecke b t s auch b t : t s oder H : ½ P = 1 : tang α, und hieraus für den Stellungswinkel tang
[Formel 1]
, und wenn der Winkel α gegeben ist, so folgt die horizontale Spannung
[Formel 2]
.
In dem Punkte b haben wir zur senkrechten Kraft ½ P noch die Last Q (= t u) hinzu- zusetzen. Durch diese Vermehrung haben wir also in b die senkrechte Kraft b u = ½ P + Q und die horizontale = b r = H. Wenn nun diese beiden durch das Parallelogramm b r w u zusammengesetzt werden, so gibt die Diagonale b w sowohl die Richtung, als auch die Grösse der in b angebrachten mittlern Kraft. Da wir nun annehmen, dass diese von der Spannung des Fadens b c im Gleichgewichte erhalten wird, so folgt von selbst, dass c b in der Richtung der Diagonale b w liegen, folglich die Linie c b w eine gerade Linie seyn müsse. Ziehen wir nun durch c die horizontale Linie c c', so ist diese zu der horizontalen b b' parallel, folglich der Stellungswinkel c' c b = β = b' b w. In dem rechtwinklichten
Gerstners Mechanik. Band I. 60
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[473/0503]
Theorie der Kettenbrücken.
§. 424.
Zur Bestimmung der krummen Linie, welche die Ketten annehmen,
wenn sie nebst ihrer eigenen Last noch das Gewicht der Brücken-
bahn der darüber fahrenden Wägen etc. zu tragen haben, wollen wir
vorläufig die Stellung der Seiten eines Polygons untersuchen, welche ein biegsamer Faden
annimmt, wenn an denselben in den Punkten a, b, c ..... die Gewichte P, Q, R … und
eben so an der andern Seite in den Punkten b', c' .... die Gewichte Q', R' ...... angehängt
werden. Es leuchtet von selbst ein, dass das Polygon von dem Punkte a aus nach beiden
Seiten symetrisch seyn müsse, wenn die Grösse und Entfernungen der angehängten Gewichte
untereinander und von der Mittellinie zu beiden Seiten gleich angenommen werden. Es wird
also hinreichend seyn, das Verhältniss der Stellungswinkel, welche die Polygonseiten mit
dem Horizonte bilden, nur an einer Seite aufzusuchen. Zu dieser Absicht wollen wir
vorerst das Gewicht P in dem Punkte a betrachten, welches an den beiden Fäden b a und
b' a hängt. Um diejenige Kraft zu finden, mit welcher jeder dieser Fäden nach seiner
Richtung von dem Gewichte P gezogen wird, wollen wir die Kraft P durch die Linie
a p vorstellen, und sie durch das Parallelogramm a n p m in die beiden äussern Kräfte a n
und a m nach den Richtungen der gespannten Fäden b a und b' a zerlegen.
Fig.
8.
Tab.
20.
Nennen wir die Spannung a m nach der Richtung des Fadens = T, so erhalten
wir nach der Theorie des Kräftenparallelogrammes die Proportion T : P = a m : a p. In
dem Punkte b wirkt also die Kraft b s = a m = T nach der Richtung b a. Zerlegen wir
die Spannung b s = a m durch das Parallelogramm brst in die senkrechte Kraft b t(= P')
und in die Horizontale b r (= H), so folgt aus dem Parallelogramm brst die Proportion
P' : T = b t : b s (oder a m). Durch die Multiplikation der beiden Proportionen erhält
man P' : P = b t : a p. Ziehen wir in dem Parallelogramm a m p n die Diagonale m n, so
ist das rechtwinklichte Dreieck a m o, wegen b s = a m, mit dem rechtwinklichten Dreiecke
b s t kongruent, daher t s oder b r = o m und b t = a o. Weil aber die Diagonallinien
eines Parallelogramms sich wechselseitig halbiren, so ist a o = ½ a p, also auch b t = ½ a p.
Dieses in die letzte Proportion gesetzt, gibt P' : P = ½ a p : a p = 1 : 2, mithin P' = ½ P.
Setzen wir den Stellungswinkel, welchen die erste Seite b a mit der Horizontalen b b'
bildet, b' b a = α, so ist im Dreiecke b t s auch b t : t s oder H : ½ P = 1 : tang α, und hieraus
für den Stellungswinkel tang [FORMEL], und wenn der Winkel α gegeben ist, so folgt die
horizontale Spannung [FORMEL].
In dem Punkte b haben wir zur senkrechten Kraft ½ P noch die Last Q (= t u) hinzu-
zusetzen. Durch diese Vermehrung haben wir also in b die senkrechte Kraft b u = ½ P + Q
und die horizontale = b r = H. Wenn nun diese beiden durch das Parallelogramm b r w u
zusammengesetzt werden, so gibt die Diagonale b w sowohl die Richtung, als auch die
Grösse der in b angebrachten mittlern Kraft. Da wir nun annehmen, dass diese von der
Spannung des Fadens b c im Gleichgewichte erhalten wird, so folgt von selbst, dass c b
in der Richtung der Diagonale b w liegen, folglich die Linie c b w eine gerade Linie seyn
müsse. Ziehen wir nun durch c die horizontale Linie c c', so ist diese zu der horizontalen
b b' parallel, folglich der Stellungswinkel c' c b = β = b' b w. In dem rechtwinklichten
Gerstners Mechanik. Band I. 60
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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/503>, abgerufen am 18.12.2024.
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