Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.Einleitung. überhaupt der sittliche Volksgeist zur rechtlichen Ge-sammtäusserung gelangen kann, das Staatsrecht, muss fest gefügt und dem wechselnden Einflusse des Tages entzogen sein. Es ist nur ein eigenthümlicher Aus- druck dieser Wahrheit, wenn die gesetzlichen Feststel- lungen des Staatsrechts den Namen "Grundgesetz,"2 führen, wenn sich bei seiner Errichtung auch die bisher absolute monarchische Gewalt gedrängt fühlt, das Volk in seinen Vertretern zur Mitwirkung herbei zu ziehen,3 wenn ihm eine besondere Weihe beigelegt, seiner Ver- änderung gewisse Hemmnisse entgegengestellt4 und sei- ner Integrität besondere Garantieen5 verliehen werden. Deutsches Staatsrecht. §. 5. Das Staatsrecht kann seiner Natur nach nur das 2 Ein anderer Name ist "Verfassungsurkunde." Verfassung ist der Inhalt der Grundgesetze in seiner Gesammterscheinung. In Bezug auf den Umfang, in welchem der Stoff dieser höheren grundgesetzlichen Ordnung in den Verfassungsurkunden genom- men wird, besteht freilich keine volle Uebereinstimmung. Manche gehen mehr, andere weniger in das Einzelne. 3 Ganz unrichtig aber wäre es, darin ein Moment des Ver- tragsbegriffes im juristischen Sinne des Wortes finden zu wollen. Auch die "vertragenen," s. g. pactirten Grundgesetze sind wahre Gesetze, und keineswegs Verträge. Gerber, a. a. O. S. 39. 4 Nothwendigkeit einer grösseren Majorität der zur Abände- rung zustimmenden Ständemitglieder, oder mehrfache Wieder- holung der Abstimmung. 5 Beschwören des Grundgesetzes durch den Monarchen, die
Stände, Staatsdiener, Staatsbürger, Erstreckung der Competenz des Staatsgerichtshofs auf den Schutz jedes einzelnen Punktes der Verfassungsurkunde u. s. w. Einleitung. überhaupt der sittliche Volksgeist zur rechtlichen Ge-sammtäusserung gelangen kann, das Staatsrecht, muss fest gefügt und dem wechselnden Einflusse des Tages entzogen sein. Es ist nur ein eigenthümlicher Aus- druck dieser Wahrheit, wenn die gesetzlichen Feststel- lungen des Staatsrechts den Namen „Grundgesetz,“2 führen, wenn sich bei seiner Errichtung auch die bisher absolute monarchische Gewalt gedrängt fühlt, das Volk in seinen Vertretern zur Mitwirkung herbei zu ziehen,3 wenn ihm eine besondere Weihe beigelegt, seiner Ver- änderung gewisse Hemmnisse entgegengestellt4 und sei- ner Integrität besondere Garantieen5 verliehen werden. Deutsches Staatsrecht. §. 5. Das Staatsrecht kann seiner Natur nach nur das 2 Ein anderer Name ist „Verfassungsurkunde.“ Verfassung ist der Inhalt der Grundgesetze in seiner Gesammterscheinung. In Bezug auf den Umfang, in welchem der Stoff dieser höheren grundgesetzlichen Ordnung in den Verfassungsurkunden genom- men wird, besteht freilich keine volle Uebereinstimmung. Manche gehen mehr, andere weniger in das Einzelne. 3 Ganz unrichtig aber wäre es, darin ein Moment des Ver- tragsbegriffes im juristischen Sinne des Wortes finden zu wollen. Auch die „vertragenen,“ s. g. pactirten Grundgesetze sind wahre Gesetze, und keineswegs Verträge. Gerber, a. a. O. S. 39. 4 Nothwendigkeit einer grösseren Majorität der zur Abände- rung zustimmenden Ständemitglieder, oder mehrfache Wieder- holung der Abstimmung. 5 Beschwören des Grundgesetzes durch den Monarchen, die
Stände, Staatsdiener, Staatsbürger, Erstreckung der Competenz des Staatsgerichtshofs auf den Schutz jedes einzelnen Punktes der Verfassungsurkunde u. s. w. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0026" n="8"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/> überhaupt der sittliche Volksgeist zur rechtlichen Ge-<lb/> sammtäusserung gelangen kann, das Staatsrecht, muss<lb/> fest gefügt und dem wechselnden Einflusse des Tages<lb/> entzogen sein. Es ist nur ein eigenthümlicher Aus-<lb/> druck dieser Wahrheit, wenn die gesetzlichen Feststel-<lb/> lungen des Staatsrechts den Namen „<hi rendition="#g">Grundgesetz</hi>,“<note place="foot" n="2">Ein anderer Name ist „Verfassungsurkunde.“ <hi rendition="#g">Verfassung</hi><lb/> ist der Inhalt der Grundgesetze in seiner Gesammterscheinung.<lb/> In Bezug auf den Umfang, in welchem der Stoff dieser höheren<lb/> grundgesetzlichen Ordnung in den Verfassungsurkunden genom-<lb/> men wird, besteht freilich keine volle Uebereinstimmung. Manche<lb/> gehen mehr, andere weniger in das Einzelne.</note><lb/> führen, wenn sich bei seiner Errichtung auch die bisher<lb/> absolute monarchische Gewalt gedrängt fühlt, das Volk<lb/> in seinen Vertretern zur Mitwirkung herbei zu ziehen,<note place="foot" n="3">Ganz unrichtig aber wäre es, darin ein Moment des Ver-<lb/> tragsbegriffes im juristischen Sinne des Wortes finden zu wollen.<lb/> Auch die „vertragenen,“ s. g. pactirten Grundgesetze sind wahre<lb/><hi rendition="#g">Gesetze,</hi> und keineswegs Verträge. <hi rendition="#g">Gerber,</hi> a. a. O. S. 39.</note><lb/> wenn ihm eine besondere Weihe beigelegt, seiner Ver-<lb/> änderung gewisse Hemmnisse entgegengestellt<note place="foot" n="4">Nothwendigkeit einer grösseren Majorität der zur Abände-<lb/> rung zustimmenden Ständemitglieder, oder mehrfache Wieder-<lb/> holung der Abstimmung.</note> und sei-<lb/> ner Integrität besondere Garantieen<note place="foot" n="5">Beschwören des Grundgesetzes durch den Monarchen, die<lb/> Stände, Staatsdiener, Staatsbürger, Erstreckung der Competenz<lb/> des Staatsgerichtshofs auf den Schutz jedes einzelnen Punktes<lb/> der Verfassungsurkunde u. s. w.</note> verliehen werden.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Deutsches Staatsrecht</hi>.</head><lb/> <div n="3"> <head>§. 5.</head><lb/> <p>Das Staatsrecht kann seiner Natur nach nur das<lb/> Recht eines bestimmten Staats sein, da es eine concrete,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [8/0026]
Einleitung.
überhaupt der sittliche Volksgeist zur rechtlichen Ge-
sammtäusserung gelangen kann, das Staatsrecht, muss
fest gefügt und dem wechselnden Einflusse des Tages
entzogen sein. Es ist nur ein eigenthümlicher Aus-
druck dieser Wahrheit, wenn die gesetzlichen Feststel-
lungen des Staatsrechts den Namen „Grundgesetz,“ 2
führen, wenn sich bei seiner Errichtung auch die bisher
absolute monarchische Gewalt gedrängt fühlt, das Volk
in seinen Vertretern zur Mitwirkung herbei zu ziehen, 3
wenn ihm eine besondere Weihe beigelegt, seiner Ver-
änderung gewisse Hemmnisse entgegengestellt 4 und sei-
ner Integrität besondere Garantieen 5 verliehen werden.
Deutsches Staatsrecht.
§. 5.
Das Staatsrecht kann seiner Natur nach nur das
Recht eines bestimmten Staats sein, da es eine concrete,
2 Ein anderer Name ist „Verfassungsurkunde.“ Verfassung
ist der Inhalt der Grundgesetze in seiner Gesammterscheinung.
In Bezug auf den Umfang, in welchem der Stoff dieser höheren
grundgesetzlichen Ordnung in den Verfassungsurkunden genom-
men wird, besteht freilich keine volle Uebereinstimmung. Manche
gehen mehr, andere weniger in das Einzelne.
3 Ganz unrichtig aber wäre es, darin ein Moment des Ver-
tragsbegriffes im juristischen Sinne des Wortes finden zu wollen.
Auch die „vertragenen,“ s. g. pactirten Grundgesetze sind wahre
Gesetze, und keineswegs Verträge. Gerber, a. a. O. S. 39.
4 Nothwendigkeit einer grösseren Majorität der zur Abände-
rung zustimmenden Ständemitglieder, oder mehrfache Wieder-
holung der Abstimmung.
5 Beschwören des Grundgesetzes durch den Monarchen, die
Stände, Staatsdiener, Staatsbürger, Erstreckung der Competenz
des Staatsgerichtshofs auf den Schutz jedes einzelnen Punktes
der Verfassungsurkunde u. s. w.
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