Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite
EINLEITUNG.

Der Staat.
§. 1.

Im Staate erhält ein Volk die rechtliche Ordnung
seines Gemeinlebens. In ihm kommt es als sittlich ge-
eintes Ganze zur Anerkennung und rechtlichen Geltung.
In ihm sucht und findet es die wesentlichsten Mittel zum
Schutz und zur Förderung seiner Gesammtinteressen.
In ihm erhält es eine Gliederung, welche die Verwerthung
aller seiner sittlichen Kräfte für das Gemeinwohl er-
möglicht. Er ist die Rechtsform für das Gesammtleben
eines Volks, und diese gehört zu den ursprünglichen und
ewigen Typen der sittlichen Ordnung der Menschheit.

Die natürliche Betrachtung des im Staate geein-
ten Volks erzeugt den Eindruck eines Organismus, d. h.
einer Gliederung, welche jedem Theile seine eigenthüm-
liche Stellung zur Mitwirkung für den Gesammtzweck
anweist. Die juristische Betrachtung des Staats aber
ergreift zunächst die Thatsache, dass das Volk in ihm
zum rechtlichen Gesammtbewusstsein und zur Willens-
fähigkeit erhoben wird, m. a. W. dass das Volk in ihm
zur rechtlichen Persönlichkeit gelangt. Der Staat als Be-

v. Gerber, Staatsrecht. 1
EINLEITUNG.

Der Staat.
§. 1.

Im Staate erhält ein Volk die rechtliche Ordnung
seines Gemeinlebens. In ihm kommt es als sittlich ge-
eintes Ganze zur Anerkennung und rechtlichen Geltung.
In ihm sucht und findet es die wesentlichsten Mittel zum
Schutz und zur Förderung seiner Gesammtinteressen.
In ihm erhält es eine Gliederung, welche die Verwerthung
aller seiner sittlichen Kräfte für das Gemeinwohl er-
möglicht. Er ist die Rechtsform für das Gesammtleben
eines Volks, und diese gehört zu den ursprünglichen und
ewigen Typen der sittlichen Ordnung der Menschheit.

Die natürliche Betrachtung des im Staate geein-
ten Volks erzeugt den Eindruck eines Organismus, d. h.
einer Gliederung, welche jedem Theile seine eigenthüm-
liche Stellung zur Mitwirkung für den Gesammtzweck
anweist. Die juristische Betrachtung des Staats aber
ergreift zunächst die Thatsache, dass das Volk in ihm
zum rechtlichen Gesammtbewusstsein und zur Willens-
fähigkeit erhoben wird, m. a. W. dass das Volk in ihm
zur rechtlichen Persönlichkeit gelangt. Der Staat als Be-

v. Gerber, Staatsrecht. 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0019" n="[1]"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#g">EINLEITUNG</hi>.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Der Staat</hi>.</head><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 1.</head><lb/>
            <p>Im Staate erhält ein Volk die rechtliche Ordnung<lb/>
seines Gemeinlebens. In ihm kommt es als sittlich ge-<lb/>
eintes Ganze zur Anerkennung und rechtlichen Geltung.<lb/>
In ihm sucht und findet es die wesentlichsten Mittel zum<lb/>
Schutz und zur Förderung seiner Gesammtinteressen.<lb/>
In ihm erhält es eine Gliederung, welche die Verwerthung<lb/>
aller seiner sittlichen Kräfte für das Gemeinwohl er-<lb/>
möglicht. Er ist die Rechtsform für das Gesammtleben<lb/>
eines Volks, und diese gehört zu den ursprünglichen und<lb/>
ewigen Typen der sittlichen Ordnung der Menschheit.</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#g">natürliche</hi> Betrachtung des im Staate geein-<lb/>
ten Volks erzeugt den Eindruck eines Organismus, d. h.<lb/>
einer Gliederung, welche jedem Theile seine eigenthüm-<lb/>
liche Stellung zur Mitwirkung für den Gesammtzweck<lb/>
anweist. Die <hi rendition="#g">juristische</hi> Betrachtung des Staats aber<lb/>
ergreift zunächst die Thatsache, dass das Volk in ihm<lb/>
zum rechtlichen Gesammtbewusstsein und zur Willens-<lb/>
fähigkeit erhoben wird, m. a. W. dass das Volk in ihm<lb/>
zur rechtlichen Persönlichkeit gelangt. Der Staat als Be-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">v. <hi rendition="#g">Gerber,</hi> Staatsrecht. 1</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0019] EINLEITUNG. Der Staat. §. 1. Im Staate erhält ein Volk die rechtliche Ordnung seines Gemeinlebens. In ihm kommt es als sittlich ge- eintes Ganze zur Anerkennung und rechtlichen Geltung. In ihm sucht und findet es die wesentlichsten Mittel zum Schutz und zur Förderung seiner Gesammtinteressen. In ihm erhält es eine Gliederung, welche die Verwerthung aller seiner sittlichen Kräfte für das Gemeinwohl er- möglicht. Er ist die Rechtsform für das Gesammtleben eines Volks, und diese gehört zu den ursprünglichen und ewigen Typen der sittlichen Ordnung der Menschheit. Die natürliche Betrachtung des im Staate geein- ten Volks erzeugt den Eindruck eines Organismus, d. h. einer Gliederung, welche jedem Theile seine eigenthüm- liche Stellung zur Mitwirkung für den Gesammtzweck anweist. Die juristische Betrachtung des Staats aber ergreift zunächst die Thatsache, dass das Volk in ihm zum rechtlichen Gesammtbewusstsein und zur Willens- fähigkeit erhoben wird, m. a. W. dass das Volk in ihm zur rechtlichen Persönlichkeit gelangt. Der Staat als Be- v. Gerber, Staatsrecht. 1

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/19
Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/19>, abgerufen am 21.12.2024.