Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 45. Die Gesetzgebung.
1. Die Gesetzgebung.
a) Verschiedenheit der Gesetze.
§. 45.

Als Gesetzgeber offenbart der Staat seinen Willen
in der Form abstracter Normen.1 Das Bedürfniss sol-
cher Normen besteht für sehr verschiedenartige Interes-
sen des Staatslebens. Vor Allem bedarf es einer festen
gesetzlichen Bestimmung des Staatsrechts selbst --
Grundgesetze, Verfassungsgesetze, Gesetze über den
Staatsdienst, Gemeindeordnungen u. s. w.; sodann for-
dert das öffentliche Interesse, dass die wichtigsten Zweige
der Verwaltung in der Form der Gesetzgebung re-
gulirt und gemäss der fortschreitenden Entwickelung
socialer und öconomischer Verhältnisse immer von Neuem

1 Heutzutage, da der Staat nach Ueberwindung seiner privat-
rechtlichen Periode in Deutschland zur vollen politischen Existenz
gelangt ist, kann das Recht der Gesetzgebung als der mächtigsten
Form staatlicher Herrschaft nur noch ihm und keinem Berechtig-
ten unter ihm zustehen. Ein Gesetzgebungsrecht von Gemeinden,
Corporationen und Einzelnen ist nur denkbar in einer Zeit, in der
der Staatsbegriff noch nicht zu seiner vollen Entwickelung gekom-
men ist, in welcher die einzelnen Elemente des Volks noch in einem
sehr lockeren Verbande stehen und die unausgebildete Landes-
hoheit die Erfüllung eines Theils der Staatsaufgaben noch den nur
halb ihrer Herrschaft unterworfenen Körpern überlassen muss. Das
Recht der Corporationen und Einzelnen, ihre inneren Verhältnisse
sachgemäss durch feste und dauernde Bestimmungen zu regeln,
besteht nun zwar auch heutzutage, aber es wird nicht mehr in der
Form der Gesetzgebung, sondern in der Form des Rechts-
geschäfts
vollzogen, das sich lediglich in der Anwendung be-
stehender Rechtsinstitute und Rechtssätze darstellt. Nur diesen
Begriff der Autonomie vermag ich für das heutige Recht anzuer-
kennen, und glaube diess in meinen Abhandlungen darüber be-
gründet zu haben. Siehe die Jahrbücher für die Dogmatik des
römischen und deutschen Rechts III., pag. 447.
§. 45. Die Gesetzgebung.
1. Die Gesetzgebung.
a) Verschiedenheit der Gesetze.
§. 45.

Als Gesetzgeber offenbart der Staat seinen Willen
in der Form abstracter Normen.1 Das Bedürfniss sol-
cher Normen besteht für sehr verschiedenartige Interes-
sen des Staatslebens. Vor Allem bedarf es einer festen
gesetzlichen Bestimmung des Staatsrechts selbst —
Grundgesetze, Verfassungsgesetze, Gesetze über den
Staatsdienst, Gemeindeordnungen u. s. w.; sodann for-
dert das öffentliche Interesse, dass die wichtigsten Zweige
der Verwaltung in der Form der Gesetzgebung re-
gulirt und gemäss der fortschreitenden Entwickelung
socialer und öconomischer Verhältnisse immer von Neuem

1 Heutzutage, da der Staat nach Ueberwindung seiner privat-
rechtlichen Periode in Deutschland zur vollen politischen Existenz
gelangt ist, kann das Recht der Gesetzgebung als der mächtigsten
Form staatlicher Herrschaft nur noch ihm und keinem Berechtig-
ten unter ihm zustehen. Ein Gesetzgebungsrecht von Gemeinden,
Corporationen und Einzelnen ist nur denkbar in einer Zeit, in der
der Staatsbegriff noch nicht zu seiner vollen Entwickelung gekom-
men ist, in welcher die einzelnen Elemente des Volks noch in einem
sehr lockeren Verbande stehen und die unausgebildete Landes-
hoheit die Erfüllung eines Theils der Staatsaufgaben noch den nur
halb ihrer Herrschaft unterworfenen Körpern überlassen muss. Das
Recht der Corporationen und Einzelnen, ihre inneren Verhältnisse
sachgemäss durch feste und dauernde Bestimmungen zu regeln,
besteht nun zwar auch heutzutage, aber es wird nicht mehr in der
Form der Gesetzgebung, sondern in der Form des Rechts-
geschäfts
vollzogen, das sich lediglich in der Anwendung be-
stehender Rechtsinstitute und Rechtssätze darstellt. Nur diesen
Begriff der Autonomie vermag ich für das heutige Recht anzuer-
kennen, und glaube diess in meinen Abhandlungen darüber be-
gründet zu haben. Siehe die Jahrbücher für die Dogmatik des
römischen und deutschen Rechts III., pag. 447.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0155" n="137"/>
        <fw place="top" type="header">§. 45. Die Gesetzgebung.</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>1. <hi rendition="#g">Die Gesetzgebung</hi>.</head><lb/>
          <div n="3">
            <head>a) Verschiedenheit der Gesetze.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 45.</head><lb/>
              <p>Als Gesetzgeber offenbart der Staat seinen Willen<lb/>
in der Form abstracter Normen.<note place="foot" n="1">Heutzutage, da der Staat nach Ueberwindung seiner privat-<lb/>
rechtlichen Periode in Deutschland zur vollen politischen Existenz<lb/>
gelangt ist, kann das Recht der Gesetzgebung als der mächtigsten<lb/>
Form staatlicher Herrschaft nur noch ihm und keinem Berechtig-<lb/>
ten unter ihm zustehen. Ein Gesetzgebungsrecht von Gemeinden,<lb/>
Corporationen und Einzelnen ist nur denkbar in einer Zeit, in der<lb/>
der Staatsbegriff noch nicht zu seiner vollen Entwickelung gekom-<lb/>
men ist, in welcher die einzelnen Elemente des Volks noch in einem<lb/>
sehr lockeren Verbande stehen und die unausgebildete Landes-<lb/>
hoheit die Erfüllung eines Theils der Staatsaufgaben noch den nur<lb/>
halb ihrer Herrschaft unterworfenen Körpern überlassen muss. Das<lb/>
Recht der Corporationen und Einzelnen, ihre inneren Verhältnisse<lb/>
sachgemäss durch feste und dauernde Bestimmungen zu regeln,<lb/>
besteht nun zwar auch heutzutage, aber es wird nicht mehr in der<lb/>
Form der <hi rendition="#g">Gesetzgebung,</hi> sondern in der Form des <hi rendition="#g">Rechts-<lb/>
geschäfts</hi> vollzogen, das sich lediglich in der Anwendung be-<lb/>
stehender Rechtsinstitute und Rechtssätze darstellt. Nur diesen<lb/>
Begriff der Autonomie vermag ich für das heutige Recht anzuer-<lb/>
kennen, und glaube diess in meinen Abhandlungen darüber be-<lb/>
gründet zu haben. Siehe die Jahrbücher für die Dogmatik des<lb/>
römischen und deutschen Rechts III., pag. 447.</note> Das Bedürfniss sol-<lb/>
cher Normen besteht für sehr verschiedenartige Interes-<lb/>
sen des Staatslebens. Vor Allem bedarf es einer festen<lb/>
gesetzlichen Bestimmung des <hi rendition="#g">Staatsrechts</hi> selbst &#x2014;<lb/>
Grundgesetze, Verfassungsgesetze, Gesetze über den<lb/>
Staatsdienst, Gemeindeordnungen u. s. w.; sodann for-<lb/>
dert das öffentliche Interesse, dass die wichtigsten Zweige<lb/>
der <hi rendition="#g">Verwaltung</hi> in der Form der Gesetzgebung re-<lb/>
gulirt und gemäss der fortschreitenden Entwickelung<lb/>
socialer und öconomischer Verhältnisse immer von Neuem<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0155] §. 45. Die Gesetzgebung. 1. Die Gesetzgebung. a) Verschiedenheit der Gesetze. §. 45. Als Gesetzgeber offenbart der Staat seinen Willen in der Form abstracter Normen. 1 Das Bedürfniss sol- cher Normen besteht für sehr verschiedenartige Interes- sen des Staatslebens. Vor Allem bedarf es einer festen gesetzlichen Bestimmung des Staatsrechts selbst — Grundgesetze, Verfassungsgesetze, Gesetze über den Staatsdienst, Gemeindeordnungen u. s. w.; sodann for- dert das öffentliche Interesse, dass die wichtigsten Zweige der Verwaltung in der Form der Gesetzgebung re- gulirt und gemäss der fortschreitenden Entwickelung socialer und öconomischer Verhältnisse immer von Neuem 1 Heutzutage, da der Staat nach Ueberwindung seiner privat- rechtlichen Periode in Deutschland zur vollen politischen Existenz gelangt ist, kann das Recht der Gesetzgebung als der mächtigsten Form staatlicher Herrschaft nur noch ihm und keinem Berechtig- ten unter ihm zustehen. Ein Gesetzgebungsrecht von Gemeinden, Corporationen und Einzelnen ist nur denkbar in einer Zeit, in der der Staatsbegriff noch nicht zu seiner vollen Entwickelung gekom- men ist, in welcher die einzelnen Elemente des Volks noch in einem sehr lockeren Verbande stehen und die unausgebildete Landes- hoheit die Erfüllung eines Theils der Staatsaufgaben noch den nur halb ihrer Herrschaft unterworfenen Körpern überlassen muss. Das Recht der Corporationen und Einzelnen, ihre inneren Verhältnisse sachgemäss durch feste und dauernde Bestimmungen zu regeln, besteht nun zwar auch heutzutage, aber es wird nicht mehr in der Form der Gesetzgebung, sondern in der Form des Rechts- geschäfts vollzogen, das sich lediglich in der Anwendung be- stehender Rechtsinstitute und Rechtssätze darstellt. Nur diesen Begriff der Autonomie vermag ich für das heutige Recht anzuer- kennen, und glaube diess in meinen Abhandlungen darüber be- gründet zu haben. Siehe die Jahrbücher für die Dogmatik des römischen und deutschen Rechts III., pag. 447.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/155
Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/155>, abgerufen am 21.11.2024.