Betreffs der Temperatur, bei welcher das Beizen vorzunehmen ist, ist ebensowenig etwas Einheitliches zu melden. Wolle kann anhaltend, selbst mehrere Stunden, kochen; Baumwolle kann kalt gebeizt werden; bei Seide genügt eine Temperatur zwischen 30 und 60° R.
Die Dauer der Einwirkung der Beizflüssigkeit ist gleichfalls noch durch keine Gesetzmäßigkeit geregelt. Mir will es scheinen, als ob die Dauer der Einwirkung auf die Faser eine zu kurze sei. In diesem Falle würde "Beizen" und "Durchtränken" wohl gleichbedeutend sein, und es erscheint fraglich, ob der oben beschriebene chemische Prozeß in so verhältnismäßig kurzer Zeit sich abspie- len kann, mindestens, ob er sich vollständig abspielen kann. Insonderheit bei jener als "Klotzen" bekannten Methode des Beizens ist eine chemische Wir- kung so gut wie ausgeschlossen, und das Färben von geklotztem Gewebe ist dann als ein mechanischer Färbeprozeß zu betrachten.
§ 38. Die Beziehungen zwischen Beizen und Farbstoff.
Diese sind weit klarer und bekannter, als die zu den Fasern. Der Grund ist darin zu suchen, daß wir über ihre Natur und ihren chemischen Charakter viel genaueres wissen, als über den der Fasern. Wenn wir auch wissen, daß die Wolle in der Hauptsache aus Keratin, die Seide aus Fibroin, die Baumwolle aus Cellulose besteht, so ist mit dieser Kenntnis nicht viel gewonnen. Wie sich dagegen die Beizen und die Farbstoffe zu einander ver- halten, das ist außerhalb der Fasern experimentell festgestellt. Und hier wissen wir, daß jedem Farbstoffe durchschnittlich nur eine Beize entspricht, daß es jedoch auch Farbstoffe gibt, welche mit verschiedenen Beizen verschie- den gefärbte Farblacke geben. Die Zahl der letztern Farbstoffe ist eine be- schränkte; dieselben sind zunächst keine substantiven, direkten; eine etwaige direkte Färbung ohne Beize ist unscheinbar. Diese eigentümlichen Farbstoffe, welche in gewissem Sinne nicht viel mehr als Chromogene sind, nennt Hummel "polygenetische Farbstoffe" und bezeichnet sie als "färbende Grundstoffe, welche fähig sind, mehrere Farben hervorzubringen, je nach den Mitteln, die man zur Erzeugung der letzteren anwendet". Ein solcher Farbstoff ist z. B. das Hämatein, welches je nach der angewandten Beize graue, blaue, purpurrote und schwarze Färbungen liefert; ein anderer solcher Farbstoff ist das Alizarin, welches je nach der Beize türkischrote, olivenfarbene, violette oder schwarzblaue Farben liefert.
Gewöhnlich aber zeigt ein adjektiver, d. h. ein nur mit Hilfe von Beizen zu verwendender Farbstoff nur eine Farbe, selbst bei Verwendung verschie- dener Beizen, und die damit erzielten Färbungen unterscheiden sich höchstens in der Nüance.
Eine einheitliche Methode zur Befestigung von Farbstoffen auf der Faser ist noch nicht gefunden, wird auch nicht leicht gefunden werden, da die chemisch verschiedene Natur der einzelnen Farbstoffe, Beizen und Gespinnst- fasern fast in jedem Falle ein anderes Verfahren nötig machen. Immerhin sind die Versuche, solche einheitliche Methoden zu finden, nicht ganz ohne Erfolg geblieben und haben doch bis zu einem gewissen Grade zur Ent- deckung von Klassenverwandtschaften geführt, welche, da sie mit den im ersten Teile dieses Handbuchs § 63 genannten eng zusammenfallen, zugleich beweisen, daß hier ein innerer Zusammenhang besteht. Zu dieser Ueberzeugung gelangt man auf experimentellem Wege. Versucht man z. B., welche Farbstoffe sich
Betreffs der Temperatur, bei welcher das Beizen vorzunehmen iſt, iſt ebenſowenig etwas Einheitliches zu melden. Wolle kann anhaltend, ſelbſt mehrere Stunden, kochen; Baumwolle kann kalt gebeizt werden; bei Seide genügt eine Temperatur zwiſchen 30 und 60° R.
Die Dauer der Einwirkung der Beizflüſſigkeit iſt gleichfalls noch durch keine Geſetzmäßigkeit geregelt. Mir will es ſcheinen, als ob die Dauer der Einwirkung auf die Faſer eine zu kurze ſei. In dieſem Falle würde „Beizen“ und „Durchtränken“ wohl gleichbedeutend ſein, und es erſcheint fraglich, ob der oben beſchriebene chemiſche Prozeß in ſo verhältnismäßig kurzer Zeit ſich abſpie- len kann, mindeſtens, ob er ſich vollſtändig abſpielen kann. Inſonderheit bei jener als „Klotzen“ bekannten Methode des Beizens iſt eine chemiſche Wir- kung ſo gut wie ausgeſchloſſen, und das Färben von geklotztem Gewebe iſt dann als ein mechaniſcher Färbeprozeß zu betrachten.
§ 38. Die Beziehungen zwiſchen Beizen und Farbſtoff.
Dieſe ſind weit klarer und bekannter, als die zu den Faſern. Der Grund iſt darin zu ſuchen, daß wir über ihre Natur und ihren chemiſchen Charakter viel genaueres wiſſen, als über den der Faſern. Wenn wir auch wiſſen, daß die Wolle in der Hauptſache aus Keratin, die Seide aus Fibroin, die Baumwolle aus Celluloſe beſteht, ſo iſt mit dieſer Kenntnis nicht viel gewonnen. Wie ſich dagegen die Beizen und die Farbſtoffe zu einander ver- halten, das iſt außerhalb der Faſern experimentell feſtgeſtellt. Und hier wiſſen wir, daß jedem Farbſtoffe durchſchnittlich nur eine Beize entſpricht, daß es jedoch auch Farbſtoffe gibt, welche mit verſchiedenen Beizen verſchie- den gefärbte Farblacke geben. Die Zahl der letztern Farbſtoffe iſt eine be- ſchränkte; dieſelben ſind zunächſt keine ſubſtantiven, direkten; eine etwaige direkte Färbung ohne Beize iſt unſcheinbar. Dieſe eigentümlichen Farbſtoffe, welche in gewiſſem Sinne nicht viel mehr als Chromogene ſind, nennt Hummel „polygenetiſche Farbſtoffe“ und bezeichnet ſie als „färbende Grundſtoffe, welche fähig ſind, mehrere Farben hervorzubringen, je nach den Mitteln, die man zur Erzeugung der letzteren anwendet“. Ein ſolcher Farbſtoff iſt z. B. das Hämateïn, welches je nach der angewandten Beize graue, blaue, purpurrote und ſchwarze Färbungen liefert; ein anderer ſolcher Farbſtoff iſt das Alizarin, welches je nach der Beize türkiſchrote, olivenfarbene, violette oder ſchwarzblaue Farben liefert.
Gewöhnlich aber zeigt ein adjektiver, d. h. ein nur mit Hilfe von Beizen zu verwendender Farbſtoff nur eine Farbe, ſelbſt bei Verwendung verſchie- dener Beizen, und die damit erzielten Färbungen unterſcheiden ſich höchſtens in der Nüance.
Eine einheitliche Methode zur Befeſtigung von Farbſtoffen auf der Faſer iſt noch nicht gefunden, wird auch nicht leicht gefunden werden, da die chemiſch verſchiedene Natur der einzelnen Farbſtoffe, Beizen und Geſpinnſt- faſern faſt in jedem Falle ein anderes Verfahren nötig machen. Immerhin ſind die Verſuche, ſolche einheitliche Methoden zu finden, nicht ganz ohne Erfolg geblieben und haben doch bis zu einem gewiſſen Grade zur Ent- deckung von Klaſſenverwandtſchaften geführt, welche, da ſie mit den im erſten Teile dieſes Handbuchs § 63 genannten eng zuſammenfallen, zugleich beweiſen, daß hier ein innerer Zuſammenhang beſteht. Zu dieſer Ueberzeugung gelangt man auf experimentellem Wege. Verſucht man z. B., welche Farbſtoffe ſich
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Betreffs der Temperatur, bei welcher das Beizen vorzunehmen iſt,
iſt ebenſowenig etwas Einheitliches zu melden. Wolle kann anhaltend, ſelbſt
mehrere Stunden, kochen; Baumwolle kann kalt gebeizt werden; bei Seide
genügt eine Temperatur zwiſchen 30 und 60° R.
Die Dauer der Einwirkung der Beizflüſſigkeit iſt gleichfalls noch durch
keine Geſetzmäßigkeit geregelt. Mir will es ſcheinen, als ob die Dauer der
Einwirkung auf die Faſer eine zu kurze ſei. In dieſem Falle würde „Beizen“
und „Durchtränken“ wohl gleichbedeutend ſein, und es erſcheint fraglich, ob der
oben beſchriebene chemiſche Prozeß in ſo verhältnismäßig kurzer Zeit ſich abſpie-
len kann, mindeſtens, ob er ſich vollſtändig abſpielen kann. Inſonderheit bei
jener als „Klotzen“ bekannten Methode des Beizens iſt eine chemiſche Wir-
kung ſo gut wie ausgeſchloſſen, und das Färben von geklotztem Gewebe iſt
dann als ein mechaniſcher Färbeprozeß zu betrachten.
§ 38. Die Beziehungen zwiſchen Beizen und Farbſtoff.
Dieſe ſind weit klarer und bekannter, als die zu den Faſern. Der
Grund iſt darin zu ſuchen, daß wir über ihre Natur und ihren chemiſchen
Charakter viel genaueres wiſſen, als über den der Faſern. Wenn wir auch
wiſſen, daß die Wolle in der Hauptſache aus Keratin, die Seide aus Fibroin,
die Baumwolle aus Celluloſe beſteht, ſo iſt mit dieſer Kenntnis nicht viel
gewonnen. Wie ſich dagegen die Beizen und die Farbſtoffe zu einander ver-
halten, das iſt außerhalb der Faſern experimentell feſtgeſtellt. Und hier
wiſſen wir, daß jedem Farbſtoffe durchſchnittlich nur eine Beize entſpricht,
daß es jedoch auch Farbſtoffe gibt, welche mit verſchiedenen Beizen verſchie-
den gefärbte Farblacke geben. Die Zahl der letztern Farbſtoffe iſt eine be-
ſchränkte; dieſelben ſind zunächſt keine ſubſtantiven, direkten; eine etwaige
direkte Färbung ohne Beize iſt unſcheinbar. Dieſe eigentümlichen Farbſtoffe,
welche in gewiſſem Sinne nicht viel mehr als Chromogene ſind, nennt Hummel
„polygenetiſche Farbſtoffe“ und bezeichnet ſie als „färbende Grundſtoffe,
welche fähig ſind, mehrere Farben hervorzubringen, je nach den Mitteln,
die man zur Erzeugung der letzteren anwendet“. Ein ſolcher Farbſtoff iſt
z. B. das Hämateïn, welches je nach der angewandten Beize graue, blaue,
purpurrote und ſchwarze Färbungen liefert; ein anderer ſolcher Farbſtoff iſt
das Alizarin, welches je nach der Beize türkiſchrote, olivenfarbene, violette
oder ſchwarzblaue Farben liefert.
Gewöhnlich aber zeigt ein adjektiver, d. h. ein nur mit Hilfe von Beizen
zu verwendender Farbſtoff nur eine Farbe, ſelbſt bei Verwendung verſchie-
dener Beizen, und die damit erzielten Färbungen unterſcheiden ſich höchſtens
in der Nüance.
Eine einheitliche Methode zur Befeſtigung von Farbſtoffen auf der
Faſer iſt noch nicht gefunden, wird auch nicht leicht gefunden werden, da die
chemiſch verſchiedene Natur der einzelnen Farbſtoffe, Beizen und Geſpinnſt-
faſern faſt in jedem Falle ein anderes Verfahren nötig machen. Immerhin
ſind die Verſuche, ſolche einheitliche Methoden zu finden, nicht ganz ohne
Erfolg geblieben und haben doch bis zu einem gewiſſen Grade zur Ent-
deckung von Klaſſenverwandtſchaften geführt, welche, da ſie mit den im erſten
Teile dieſes Handbuchs § 63 genannten eng zuſammenfallen, zugleich beweiſen,
daß hier ein innerer Zuſammenhang beſteht. Zu dieſer Ueberzeugung gelangt
man auf experimentellem Wege. Verſucht man z. B., welche Farbſtoffe ſich
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Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/546>, abgerufen am 21.11.2024.
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