§ 36. Die Beziehungen der Farbstoffe zu den in der Färberei verwendeten Fasern.
Kehren wir zu dem im vorigen § vorgeführten Experiment zurück, oder wiederholen wir das gleichzeitige Eintauchen verschiedener Fasern in die Lösungen anderer Farbstoffe, so werden wir bald finden, daß es nur eine geringe Zahl von Farbstoffen gibt, welche zu allen Fasern Verwandtschaft zeigen. Durchgehends aber werden wir finden, daß zu den meisten der bis jetzt bekannten Farbstoffe -- und zwar sowohl natürlicher und künstlicher -- die Wolle und Seide (und die Federn) eine größere Affinität besitzen, als Baumwolle, Leinen, Nessel etc. Der bei weitem größere Teil aller Farbstoffe läßt sich auf irgend eine Weise auf den tierischen Gespinnstfasern färben, während die auch auf Pflanzenfasern verwendbare Zahl eine geringere ist; eine große Zahl dieser Farbstoffe läßt sich auf Wolle und Seide direkt ohne Beize färben, auf vegetabilischen Fasern hingegen nur nach vorhergegangenem Beizen. Von substantiven Farbstoffen (§ 23) für Baumwolle kannte man bis vor wenig Jahren nur den Farbstoff des Safflors und den der Cur- cumawurzel, wozu dann noch das Kanarin kam. Erst mit der im Jahre 1884 erfolgten Entdeckung der Benzidinfarben, als deren erste Chrysamin und Congo bekannt wurden, beginnt für die pflanzlichen Gewebefasern eine vorteilhaftere Gestaltung des bisherigen Verhältnisses. Nachdem sich inzwischen die sämtlichen vom Benzidin, Tolidin und Stilben sich ableitenden Farbstoffe als Baumwolle direkt färbend erwiesen haben, ist auch an substantiven Farbstoffen für Baumwolle, Leinen, Chinagras, Ramie und Nessel kein solcher Mangel mehr, als bis vor wenigen Jahren.
Dadurch scheiden sich die gesamten künstlichen wie natürlichen Farbstoffe gewissermaßen in zwei große Klassen hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit:
Farbstoffe, welche sich zum Färben tierischer Fasern eignen, gemeinhin Wollfarbstoffe genannt, und
Farbstoffe, welche sich zum Färben pflanzlicher Fasern eignen; letztere werden gemeinhin als Baumwollfarbstoffe bezeichnet.
Daß die Grenze zwischen beiden keine scharfe ist, noch sein kann, geht schon aus dem oben Gesagten hervor, daß manche Wollfarbstoffe auch Baum- wolle zu färben vermögen, nachdem diese zuvor gebeizt wurde. Auch sind die Wollfarbstoffe unter sich ebenso wenig gleichwertig, wie die Baumwoll- farbstoffe.
Da sich Wolle und Seide gegen die Farbstoffe im allgemeinen gleich verhalten, so werden die Wollfarbstoffe in gewissem Sinne auch als Seiden- farbstoffe zu betrachten sein; aus dem gleichen Grunde werden dann die Baumwollfarbstoffe auch als Leinen- oder Chinagrasfarbstoffe aufzufassen sein.
Jedenfalls geht aus dem Gesagten zweifellos hervor, daß von den zur Zeit etwa wirklich in der Praxis angewendeten 350 Farbstoffen für eine jede Faser nur eine bestimmte und beschränkte Anzahl von Farbstoffen verwendbar ist und daß es daher wichtig ist, vor Beginn des Färbens sich über die Verwendung des betreffenden Farbstoffes klar zu werden. Es ist durchaus nicht gleichgültig, mit welchem Farbstoff man färbt. Bei der endgültigen Wahl wird dem Färber gemeinhin eine Direktive gegeben, indem ihm ein Muster gegeben wird, welchem die zu färbende Faser ent-
§ 36. Die Beziehungen der Farbſtoffe zu den in der Färberei verwendeten Faſern.
Kehren wir zu dem im vorigen § vorgeführten Experiment zurück, oder wiederholen wir das gleichzeitige Eintauchen verſchiedener Faſern in die Löſungen anderer Farbſtoffe, ſo werden wir bald finden, daß es nur eine geringe Zahl von Farbſtoffen gibt, welche zu allen Faſern Verwandtſchaft zeigen. Durchgehends aber werden wir finden, daß zu den meiſten der bis jetzt bekannten Farbſtoffe — und zwar ſowohl natürlicher und künſtlicher — die Wolle und Seide (und die Federn) eine größere Affinität beſitzen, als Baumwolle, Leinen, Neſſel ꝛc. Der bei weitem größere Teil aller Farbſtoffe läßt ſich auf irgend eine Weiſe auf den tieriſchen Geſpinnſtfaſern färben, während die auch auf Pflanzenfaſern verwendbare Zahl eine geringere iſt; eine große Zahl dieſer Farbſtoffe läßt ſich auf Wolle und Seide direkt ohne Beize färben, auf vegetabiliſchen Faſern hingegen nur nach vorhergegangenem Beizen. Von ſubſtantiven Farbſtoffen (§ 23) für Baumwolle kannte man bis vor wenig Jahren nur den Farbſtoff des Safflors und den der Cur- cumawurzel, wozu dann noch das Kanarin kam. Erſt mit der im Jahre 1884 erfolgten Entdeckung der Benzidinfarben, als deren erſte Chryſamin und Congo bekannt wurden, beginnt für die pflanzlichen Gewebefaſern eine vorteilhaftere Geſtaltung des bisherigen Verhältniſſes. Nachdem ſich inzwiſchen die ſämtlichen vom Benzidin, Tolidin und Stilben ſich ableitenden Farbſtoffe als Baumwolle direkt färbend erwieſen haben, iſt auch an ſubſtantiven Farbſtoffen für Baumwolle, Leinen, Chinagras, Ramié und Neſſel kein ſolcher Mangel mehr, als bis vor wenigen Jahren.
Dadurch ſcheiden ſich die geſamten künſtlichen wie natürlichen Farbſtoffe gewiſſermaßen in zwei große Klaſſen hinſichtlich ihrer Verwendbarkeit:
Farbſtoffe, welche ſich zum Färben tieriſcher Faſern eignen, gemeinhin Wollfarbſtoffe genannt, und
Farbſtoffe, welche ſich zum Färben pflanzlicher Faſern eignen; letztere werden gemeinhin als Baumwollfarbſtoffe bezeichnet.
Daß die Grenze zwiſchen beiden keine ſcharfe iſt, noch ſein kann, geht ſchon aus dem oben Geſagten hervor, daß manche Wollfarbſtoffe auch Baum- wolle zu färben vermögen, nachdem dieſe zuvor gebeizt wurde. Auch ſind die Wollfarbſtoffe unter ſich ebenſo wenig gleichwertig, wie die Baumwoll- farbſtoffe.
Da ſich Wolle und Seide gegen die Farbſtoffe im allgemeinen gleich verhalten, ſo werden die Wollfarbſtoffe in gewiſſem Sinne auch als Seiden- farbſtoffe zu betrachten ſein; aus dem gleichen Grunde werden dann die Baumwollfarbſtoffe auch als Leinen- oder Chinagrasfarbſtoffe aufzufaſſen ſein.
Jedenfalls geht aus dem Geſagten zweifellos hervor, daß von den zur Zeit etwa wirklich in der Praxis angewendeten 350 Farbſtoffen für eine jede Faſer nur eine beſtimmte und beſchränkte Anzahl von Farbſtoffen verwendbar iſt und daß es daher wichtig iſt, vor Beginn des Färbens ſich über die Verwendung des betreffenden Farbſtoffes klar zu werden. Es iſt durchaus nicht gleichgültig, mit welchem Farbſtoff man färbt. Bei der endgültigen Wahl wird dem Färber gemeinhin eine Direktive gegeben, indem ihm ein Muſter gegeben wird, welchem die zu färbende Faſer ent-
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§ 36. Die Beziehungen der Farbſtoffe zu den in der Färberei
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Kehren wir zu dem im vorigen § vorgeführten Experiment zurück, oder
wiederholen wir das gleichzeitige Eintauchen verſchiedener Faſern in die
Löſungen anderer Farbſtoffe, ſo werden wir bald finden, daß es nur eine
geringe Zahl von Farbſtoffen gibt, welche zu allen Faſern Verwandtſchaft
zeigen. Durchgehends aber werden wir finden, daß zu den meiſten der bis
jetzt bekannten Farbſtoffe — und zwar ſowohl natürlicher und künſtlicher —
die Wolle und Seide (und die Federn) eine größere Affinität beſitzen, als
Baumwolle, Leinen, Neſſel ꝛc. Der bei weitem größere Teil aller Farbſtoffe
läßt ſich auf irgend eine Weiſe auf den tieriſchen Geſpinnſtfaſern färben,
während die auch auf Pflanzenfaſern verwendbare Zahl eine geringere iſt;
eine große Zahl dieſer Farbſtoffe läßt ſich auf Wolle und Seide direkt ohne
Beize färben, auf vegetabiliſchen Faſern hingegen nur nach vorhergegangenem
Beizen. Von ſubſtantiven Farbſtoffen (§ 23) für Baumwolle kannte man
bis vor wenig Jahren nur den Farbſtoff des Safflors und den der Cur-
cumawurzel, wozu dann noch das Kanarin kam. Erſt mit der im Jahre
1884 erfolgten Entdeckung der Benzidinfarben, als deren erſte Chryſamin
und Congo bekannt wurden, beginnt für die pflanzlichen Gewebefaſern eine
vorteilhaftere Geſtaltung des bisherigen Verhältniſſes. Nachdem ſich inzwiſchen
die ſämtlichen vom Benzidin, Tolidin und Stilben ſich ableitenden Farbſtoffe als
Baumwolle direkt färbend erwieſen haben, iſt auch an ſubſtantiven Farbſtoffen
für Baumwolle, Leinen, Chinagras, Ramié und Neſſel kein ſolcher Mangel
mehr, als bis vor wenigen Jahren.
Dadurch ſcheiden ſich die geſamten künſtlichen wie natürlichen Farbſtoffe
gewiſſermaßen in zwei große Klaſſen hinſichtlich ihrer Verwendbarkeit:
Farbſtoffe, welche ſich zum Färben tieriſcher Faſern eignen, gemeinhin
Wollfarbſtoffe genannt, und
Farbſtoffe, welche ſich zum Färben pflanzlicher Faſern eignen; letztere
werden gemeinhin als Baumwollfarbſtoffe bezeichnet.
Daß die Grenze zwiſchen beiden keine ſcharfe iſt, noch ſein kann, geht
ſchon aus dem oben Geſagten hervor, daß manche Wollfarbſtoffe auch Baum-
wolle zu färben vermögen, nachdem dieſe zuvor gebeizt wurde. Auch ſind
die Wollfarbſtoffe unter ſich ebenſo wenig gleichwertig, wie die Baumwoll-
farbſtoffe.
Da ſich Wolle und Seide gegen die Farbſtoffe im allgemeinen gleich
verhalten, ſo werden die Wollfarbſtoffe in gewiſſem Sinne auch als Seiden-
farbſtoffe zu betrachten ſein; aus dem gleichen Grunde werden dann die
Baumwollfarbſtoffe auch als Leinen- oder Chinagrasfarbſtoffe aufzufaſſen ſein.
Jedenfalls geht aus dem Geſagten zweifellos hervor, daß von den zur
Zeit etwa wirklich in der Praxis angewendeten 350 Farbſtoffen für eine
jede Faſer nur eine beſtimmte und beſchränkte Anzahl von
Farbſtoffen verwendbar iſt und daß es daher wichtig iſt, vor Beginn
des Färbens ſich über die Verwendung des betreffenden Farbſtoffes klar zu
werden. Es iſt durchaus nicht gleichgültig, mit welchem Farbſtoff man färbt.
Bei der endgültigen Wahl wird dem Färber gemeinhin eine Direktive gegeben,
indem ihm ein Muſter gegeben wird, welchem die zu färbende Faſer ent-
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Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/543>, abgerufen am 22.12.2024.
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