Es ist also gewiß daß man der Unterdrückung der Kräfte aus dieser Ursache, keineswegs durch die Verminderung der Blutmasse abhelfen kann. Im Gegentheil wird man in kurzer Zeit einen verwickelten Zustand von Entkräftung zu wege bringen; je mehr man die Gefäße entleert, desto heftiger wird die in- nere Gährung und desto kraftloser der Widerstand und die Gegenwirkung der Gefäße. Man zieht nothwen- dig den wahren Mangel an Lebenskraft zu, ohne der Unterdrückung zu steuern. Bey diesen Umständen stirbt der Kranke mit allen Zeichen einer Vollblütig- keit, obschon in seinem Leichname alle Gefäße an Blut verarmt oder leer gefunden werden. Helmont erzählt ein sehr auffallendes Beyspiel: Im Jahr 1641 den 8ten November wurde die Leiche des Kardinals Prinz Ferdinand, des Königs von Spanien Bruders, ge- öfnet. Er hatte durch neun und achtzig Tage das dreytägige Fieber, woran er im zwey und dreysigsten Jahre seines Alters starb. Aus dem Herzen, der Leber und den Lungen zusammengenommen floß kaum ein Löffelvoll Blut in die Brusthöle, die Leber war ganz blutleer, und das Herz welk wie ein Beutel. Man hatte ihn durch Aderlassen, Purgiermittel und Blutigel so sehr erschöpft, und dennoch hörte das Fieber nicht auf.
Lieutaud sagt, die Blutgefäße werden manch- mal so leer gefunden, daß der Kopf, die Brust, der Unterleib ganz trocken sind, und nur von Luft strozen; in den kleinen Gefäßen seye gar kein Blut, und die
großen
§. 74.
Es iſt alſo gewiß daß man der Unterdruͤckung der Kraͤfte aus dieſer Urſache, keineswegs durch die Verminderung der Blutmaſſe abhelfen kann. Im Gegentheil wird man in kurzer Zeit einen verwickelten Zuſtand von Entkraͤftung zu wege bringen; je mehr man die Gefaͤße entleert, deſto heftiger wird die in- nere Gaͤhrung und deſto kraftloſer der Widerſtand und die Gegenwirkung der Gefaͤße. Man zieht nothwen- dig den wahren Mangel an Lebenskraft zu, ohne der Unterdruͤckung zu ſteuern. Bey dieſen Umſtaͤnden ſtirbt der Kranke mit allen Zeichen einer Vollbluͤtig- keit, obſchon in ſeinem Leichname alle Gefaͤße an Blut verarmt oder leer gefunden werden. Helmont erzaͤhlt ein ſehr auffallendes Beyſpiel: Im Jahr 1641 den 8ten November wurde die Leiche des Kardinals Prinz Ferdinand, des Koͤnigs von Spanien Bruders, ge- oͤfnet. Er hatte durch neun und achtzig Tage das dreytaͤgige Fieber, woran er im zwey und dreyſigſten Jahre ſeines Alters ſtarb. Aus dem Herzen, der Leber und den Lungen zuſammengenommen floß kaum ein Loͤffelvoll Blut in die Bruſthoͤle, die Leber war ganz blutleer, und das Herz welk wie ein Beutel. Man hatte ihn durch Aderlaſſen, Purgiermittel und Blutigel ſo ſehr erſchoͤpft, und dennoch hoͤrte das Fieber nicht auf.
Lieutaud ſagt, die Blutgefaͤße werden manch- mal ſo leer gefunden, daß der Kopf, die Bruſt, der Unterleib ganz trocken ſind, und nur von Luft ſtrozen; in den kleinen Gefaͤßen ſeye gar kein Blut, und die
großen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0504"n="485"/><divn="4"><head>§. 74.</head><lb/><p>Es iſt alſo gewiß daß man der Unterdruͤckung<lb/>
der Kraͤfte aus dieſer Urſache, keineswegs durch die<lb/>
Verminderung der Blutmaſſe abhelfen kann. Im<lb/>
Gegentheil wird man in kurzer Zeit einen verwickelten<lb/>
Zuſtand von Entkraͤftung zu wege bringen; je mehr<lb/>
man die Gefaͤße entleert, deſto heftiger wird die in-<lb/>
nere Gaͤhrung und deſto kraftloſer der Widerſtand und<lb/>
die Gegenwirkung der Gefaͤße. Man zieht nothwen-<lb/>
dig den wahren Mangel an Lebenskraft zu, ohne der<lb/>
Unterdruͤckung zu ſteuern. Bey dieſen Umſtaͤnden<lb/>ſtirbt der Kranke mit allen Zeichen einer Vollbluͤtig-<lb/>
keit, obſchon in ſeinem Leichname alle Gefaͤße an Blut<lb/>
verarmt oder leer gefunden werden. <hirendition="#fr">Helmont</hi> erzaͤhlt<lb/>
ein ſehr auffallendes Beyſpiel: Im Jahr 1641 den<lb/>
8ten November wurde die Leiche des Kardinals Prinz<lb/>
Ferdinand, des Koͤnigs von Spanien Bruders, ge-<lb/>
oͤfnet. Er hatte durch neun und achtzig Tage das<lb/>
dreytaͤgige Fieber, woran er im zwey und dreyſigſten<lb/>
Jahre ſeines Alters ſtarb. Aus dem Herzen, der<lb/>
Leber und den Lungen zuſammengenommen floß kaum<lb/>
ein Loͤffelvoll Blut in die Bruſthoͤle, die Leber war<lb/>
ganz blutleer, und das Herz welk wie ein Beutel.<lb/>
Man hatte ihn durch Aderlaſſen, Purgiermittel und<lb/>
Blutigel ſo ſehr erſchoͤpft, und dennoch hoͤrte das<lb/>
Fieber nicht auf.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Lieutaud</hi>ſagt, die Blutgefaͤße werden manch-<lb/>
mal ſo leer gefunden, daß der Kopf, die Bruſt, der<lb/>
Unterleib ganz trocken ſind, und nur von Luft ſtrozen;<lb/>
in den kleinen Gefaͤßen ſeye gar kein Blut, und die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">großen</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[485/0504]
§. 74.
Es iſt alſo gewiß daß man der Unterdruͤckung
der Kraͤfte aus dieſer Urſache, keineswegs durch die
Verminderung der Blutmaſſe abhelfen kann. Im
Gegentheil wird man in kurzer Zeit einen verwickelten
Zuſtand von Entkraͤftung zu wege bringen; je mehr
man die Gefaͤße entleert, deſto heftiger wird die in-
nere Gaͤhrung und deſto kraftloſer der Widerſtand und
die Gegenwirkung der Gefaͤße. Man zieht nothwen-
dig den wahren Mangel an Lebenskraft zu, ohne der
Unterdruͤckung zu ſteuern. Bey dieſen Umſtaͤnden
ſtirbt der Kranke mit allen Zeichen einer Vollbluͤtig-
keit, obſchon in ſeinem Leichname alle Gefaͤße an Blut
verarmt oder leer gefunden werden. Helmont erzaͤhlt
ein ſehr auffallendes Beyſpiel: Im Jahr 1641 den
8ten November wurde die Leiche des Kardinals Prinz
Ferdinand, des Koͤnigs von Spanien Bruders, ge-
oͤfnet. Er hatte durch neun und achtzig Tage das
dreytaͤgige Fieber, woran er im zwey und dreyſigſten
Jahre ſeines Alters ſtarb. Aus dem Herzen, der
Leber und den Lungen zuſammengenommen floß kaum
ein Loͤffelvoll Blut in die Bruſthoͤle, die Leber war
ganz blutleer, und das Herz welk wie ein Beutel.
Man hatte ihn durch Aderlaſſen, Purgiermittel und
Blutigel ſo ſehr erſchoͤpft, und dennoch hoͤrte das
Fieber nicht auf.
Lieutaud ſagt, die Blutgefaͤße werden manch-
mal ſo leer gefunden, daß der Kopf, die Bruſt, der
Unterleib ganz trocken ſind, und nur von Luft ſtrozen;
in den kleinen Gefaͤßen ſeye gar kein Blut, und die
großen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/504>, abgerufen am 13.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.