Eben diejenigen, vielleicht nicht einmal allzeit schwächern Veränderungen des Körpers, welche aus den wirklichen Eindrücken der Gegenstände auf die Sinne entstehen, werden auch durch die bloße Ein- bildung dieser Gegenstände erregt. Ein Mann ver- langte von seinem Arzte gewisse Pillen, um sich von seinen Magenschmerzen zu befreyen. Andere und zu dieser Absicht bequemere Mittel wollte er durchaus nicht nehmen. Der Arzt stellte sich also, als ob er ihm willfahren wollte. Er machte aus frischem Bro- de Pillen, übergüldete sie, und gab sie ihm. Den andern Tag kam der Kranke gesund wieder, und rühm- te die Pillen außerordentlich, sie hätten ihm Oeff- nung und auch Erbrechen verursacht. -- Swieten erzählt von einem, welcher einigemal eine eckelhafte Laxanz eingenommen hatte. Dieser bekam bey Er- blickung des Geschirres, woraus er sie getrunken hat- te, einen Schauder mit Eckel und wirklichem Abwei- chen. In meinen zehnten Jahre muste ich einmal eine mir höchst widrige Arzney nehmen; alle Jahre kam ich auf 14 Tage an diesen Ort, und noch nach dem 8ten Jahre konnte ich nie auf den dritten Ort gehen, ohne Maul und Nase von der verwünschten Arzney voll zu haben. Der Geruch eines bloßen Holzdekokts macht mir augenblicklich Kneipen im Leibe -- denke ich mir aber dabey: es ist nichts als Holz, so kann ich den Dampf ohne alle Folge lange Zeit einziehen. -- Eine Frau, welche lange am viertägigen Fieber
gele-
§. 46.
Eben diejenigen, vielleicht nicht einmal allzeit ſchwaͤchern Veraͤnderungen des Koͤrpers, welche aus den wirklichen Eindruͤcken der Gegenſtaͤnde auf die Sinne entſtehen, werden auch durch die bloße Ein- bildung dieſer Gegenſtaͤnde erregt. Ein Mann ver- langte von ſeinem Arzte gewiſſe Pillen, um ſich von ſeinen Magenſchmerzen zu befreyen. Andere und zu dieſer Abſicht bequemere Mittel wollte er durchaus nicht nehmen. Der Arzt ſtellte ſich alſo, als ob er ihm willfahren wollte. Er machte aus friſchem Bro- de Pillen, uͤberguͤldete ſie, und gab ſie ihm. Den andern Tag kam der Kranke geſund wieder, und ruͤhm- te die Pillen außerordentlich, ſie haͤtten ihm Oeff- nung und auch Erbrechen verurſacht. — Swieten erzaͤhlt von einem, welcher einigemal eine eckelhafte Laxanz eingenommen hatte. Dieſer bekam bey Er- blickung des Geſchirres, woraus er ſie getrunken hat- te, einen Schauder mit Eckel und wirklichem Abwei- chen. In meinen zehnten Jahre muſte ich einmal eine mir hoͤchſt widrige Arzney nehmen; alle Jahre kam ich auf 14 Tage an dieſen Ort, und noch nach dem 8ten Jahre konnte ich nie auf den dritten Ort gehen, ohne Maul und Naſe von der verwuͤnſchten Arzney voll zu haben. Der Geruch eines bloßen Holzdekokts macht mir augenblicklich Kneipen im Leibe — denke ich mir aber dabey: es iſt nichts als Holz, ſo kann ich den Dampf ohne alle Folge lange Zeit einziehen. — Eine Frau, welche lange am viertaͤgigen Fieber
gele-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0219"n="200"/><divn="4"><head>§. 46.</head><lb/><p>Eben diejenigen, vielleicht nicht einmal allzeit<lb/>ſchwaͤchern Veraͤnderungen des Koͤrpers, welche aus<lb/>
den wirklichen Eindruͤcken der Gegenſtaͤnde auf die<lb/>
Sinne entſtehen, werden auch durch die bloße Ein-<lb/>
bildung dieſer Gegenſtaͤnde erregt. Ein Mann ver-<lb/>
langte von ſeinem Arzte gewiſſe Pillen, um ſich von<lb/>ſeinen Magenſchmerzen zu befreyen. Andere und zu<lb/>
dieſer Abſicht bequemere Mittel wollte er durchaus<lb/>
nicht nehmen. Der Arzt ſtellte ſich alſo, als ob er<lb/>
ihm willfahren wollte. Er machte aus friſchem Bro-<lb/>
de Pillen, uͤberguͤldete ſie, und gab ſie ihm. Den<lb/>
andern Tag kam der Kranke geſund wieder, und ruͤhm-<lb/>
te die Pillen außerordentlich, ſie haͤtten ihm Oeff-<lb/>
nung und auch Erbrechen verurſacht. —<hirendition="#fr">Swieten</hi><lb/>
erzaͤhlt von einem, welcher einigemal eine eckelhafte<lb/>
Laxanz eingenommen hatte. Dieſer bekam bey Er-<lb/>
blickung des Geſchirres, woraus er ſie getrunken hat-<lb/>
te, einen Schauder mit Eckel und wirklichem Abwei-<lb/>
chen. In meinen zehnten Jahre muſte ich einmal eine<lb/>
mir hoͤchſt widrige Arzney nehmen; alle Jahre kam<lb/>
ich auf 14 Tage an dieſen Ort, und noch nach dem<lb/>
8ten Jahre konnte ich nie auf den dritten Ort gehen,<lb/>
ohne Maul und Naſe von der verwuͤnſchten Arzney<lb/>
voll zu haben. Der Geruch eines bloßen Holzdekokts<lb/>
macht mir augenblicklich Kneipen im Leibe — denke<lb/>
ich mir aber dabey: es iſt nichts als Holz, ſo kann<lb/>
ich den Dampf ohne alle Folge lange Zeit einziehen.<lb/>— Eine Frau, welche lange am viertaͤgigen Fieber<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gele-</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[200/0219]
§. 46.
Eben diejenigen, vielleicht nicht einmal allzeit
ſchwaͤchern Veraͤnderungen des Koͤrpers, welche aus
den wirklichen Eindruͤcken der Gegenſtaͤnde auf die
Sinne entſtehen, werden auch durch die bloße Ein-
bildung dieſer Gegenſtaͤnde erregt. Ein Mann ver-
langte von ſeinem Arzte gewiſſe Pillen, um ſich von
ſeinen Magenſchmerzen zu befreyen. Andere und zu
dieſer Abſicht bequemere Mittel wollte er durchaus
nicht nehmen. Der Arzt ſtellte ſich alſo, als ob er
ihm willfahren wollte. Er machte aus friſchem Bro-
de Pillen, uͤberguͤldete ſie, und gab ſie ihm. Den
andern Tag kam der Kranke geſund wieder, und ruͤhm-
te die Pillen außerordentlich, ſie haͤtten ihm Oeff-
nung und auch Erbrechen verurſacht. — Swieten
erzaͤhlt von einem, welcher einigemal eine eckelhafte
Laxanz eingenommen hatte. Dieſer bekam bey Er-
blickung des Geſchirres, woraus er ſie getrunken hat-
te, einen Schauder mit Eckel und wirklichem Abwei-
chen. In meinen zehnten Jahre muſte ich einmal eine
mir hoͤchſt widrige Arzney nehmen; alle Jahre kam
ich auf 14 Tage an dieſen Ort, und noch nach dem
8ten Jahre konnte ich nie auf den dritten Ort gehen,
ohne Maul und Naſe von der verwuͤnſchten Arzney
voll zu haben. Der Geruch eines bloßen Holzdekokts
macht mir augenblicklich Kneipen im Leibe — denke
ich mir aber dabey: es iſt nichts als Holz, ſo kann
ich den Dampf ohne alle Folge lange Zeit einziehen.
— Eine Frau, welche lange am viertaͤgigen Fieber
gele-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/219>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.