Schmecken, Riechen; so ist uns kein einziger Sinn an- gebohren.
§. 33.
Außer den bisherigen Meinungen von den Kunst- fertigkeiten verdient unter den Alten vorzüglich noch des Galenus seine gehört zu werden. "Alle körper- lichen Glieder, sagt er, sind der Seele nützlich, als deren Werkzeuge der Körper ist. Daher sind die Glied- maßen der Thiere sehr von einander unterschieden, weil die Seelen selbst verschiedener Arten sind; und ei- nes jeden Körper ist zu den Neigungen und Fähigkei- ten der Seele eingerichtet. Der Löwe hat als ein muthiges und freches Thier (jetzt beschreibt man ihn feig und nur im Hunger verwegen) starke Zähne und Klauen, der Stier hat seine Hörner, der Eber hat seine Hauer von der Natur zu Waffen bekommen. Hingegen haben Hirsche und Hasen, als furchtsame Thiere, zwar einen zur Flucht geschickten Leib, aber sie sind wehr- und waffenlos. Kein furchtsames Thier ist von der Natur mit Waffen versehen, noch irgend ein freches und streitbares Thier von denselben entblö- set. Dem Menschen aber hat sie, weil er weise ist, und allein unter allen Thieren des Erdbodens etwas Göttliches an sich hat, statt aller Wehre und Waffen Hände gegeben: Ein Werkzeug, das zu allen Kün- sten nöthig und im Krieg und Frieden dienlich ist. Daher brauchet er keinen Huf, kein Horn oder einen Zahn, sondern kann sich mit der Hand Schuhe, Pan- zer, Spieß, Pfeile, Häuser und Mauren bereiten,
Kleider
Schmecken, Riechen; ſo iſt uns kein einziger Sinn an- gebohren.
§. 33.
Außer den bisherigen Meinungen von den Kunſt- fertigkeiten verdient unter den Alten vorzuͤglich noch des Galenus ſeine gehoͤrt zu werden. “Alle koͤrper- lichen Glieder, ſagt er, ſind der Seele nuͤtzlich, als deren Werkzeuge der Koͤrper iſt. Daher ſind die Glied- maßen der Thiere ſehr von einander unterſchieden, weil die Seelen ſelbſt verſchiedener Arten ſind; und ei- nes jeden Koͤrper iſt zu den Neigungen und Faͤhigkei- ten der Seele eingerichtet. Der Loͤwe hat als ein muthiges und freches Thier (jetzt beſchreibt man ihn feig und nur im Hunger verwegen) ſtarke Zaͤhne und Klauen, der Stier hat ſeine Hoͤrner, der Eber hat ſeine Hauer von der Natur zu Waffen bekommen. Hingegen haben Hirſche und Haſen, als furchtſame Thiere, zwar einen zur Flucht geſchickten Leib, aber ſie ſind wehr- und waffenlos. Kein furchtſames Thier iſt von der Natur mit Waffen verſehen, noch irgend ein freches und ſtreitbares Thier von denſelben entbloͤ- ſet. Dem Menſchen aber hat ſie, weil er weiſe iſt, und allein unter allen Thieren des Erdbodens etwas Goͤttliches an ſich hat, ſtatt aller Wehre und Waffen Haͤnde gegeben: Ein Werkzeug, das zu allen Kuͤn- ſten noͤthig und im Krieg und Frieden dienlich iſt. Daher brauchet er keinen Huf, kein Horn oder einen Zahn, ſondern kann ſich mit der Hand Schuhe, Pan- zer, Spieß, Pfeile, Haͤuſer und Mauren bereiten,
Kleider
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Schmecken, Riechen; ſo iſt uns kein einziger Sinn an-
gebohren.
§. 33.
Außer den bisherigen Meinungen von den Kunſt-
fertigkeiten verdient unter den Alten vorzuͤglich noch
des Galenus ſeine gehoͤrt zu werden. “Alle koͤrper-
lichen Glieder, ſagt er, ſind der Seele nuͤtzlich, als
deren Werkzeuge der Koͤrper iſt. Daher ſind die Glied-
maßen der Thiere ſehr von einander unterſchieden,
weil die Seelen ſelbſt verſchiedener Arten ſind; und ei-
nes jeden Koͤrper iſt zu den Neigungen und Faͤhigkei-
ten der Seele eingerichtet. Der Loͤwe hat als ein
muthiges und freches Thier (jetzt beſchreibt man ihn
feig und nur im Hunger verwegen) ſtarke Zaͤhne und
Klauen, der Stier hat ſeine Hoͤrner, der Eber hat
ſeine Hauer von der Natur zu Waffen bekommen.
Hingegen haben Hirſche und Haſen, als furchtſame
Thiere, zwar einen zur Flucht geſchickten Leib, aber
ſie ſind wehr- und waffenlos. Kein furchtſames Thier
iſt von der Natur mit Waffen verſehen, noch irgend
ein freches und ſtreitbares Thier von denſelben entbloͤ-
ſet. Dem Menſchen aber hat ſie, weil er weiſe iſt,
und allein unter allen Thieren des Erdbodens etwas
Goͤttliches an ſich hat, ſtatt aller Wehre und Waffen
Haͤnde gegeben: Ein Werkzeug, das zu allen Kuͤn-
ſten noͤthig und im Krieg und Frieden dienlich iſt.
Daher brauchet er keinen Huf, kein Horn oder einen
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/149>, abgerufen am 13.11.2024.
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