§. 28. In Rücksicht des eingepflanzten Bemühens zu gewissen der Natur gemäßen Handlungen.
Hieraus erklärt sich schon das meiste, was das eingepflanzte Bemühen der Thiere zu gewissen der Na- tur gemäßen Handlungen, als den 4ten Vorzug, be- trift. Es ist richtig, daß den Thieren, da ihre man- gelhafte Vernunft nicht zureichend gewesen wäre, ihre Wege vorgezeichnet sind. So selten sie sich irren kön- nen, so selten können sie auch andere Anstalten oder eine andere Zeit wählen. Alles, was ihnen noch ei- nigermaßen überlassen worden ist, besteht in der sehr eingeschränkten Fähigkeit, gewisse zufällige Hindernis- se zu heben, z. B. daß die Spinne die zerrissenen Stellen ihres Netzes ausbessert, und die Biene ein Aas, so sie nicht wegschleppen kann, mit Wachs über- rüncht.
Ob dieses eingepflanzte Bemühen aber ein Vor- zug heißen könne, und in wiefern der Mensch nicht anderst von der Natur ist behandelt worden, werden folgende Betrachtungen zeigen:
Wenn es uns zukäme, über den Plan der Schöpfung zu vernünfteln, so würde ich es für sehr wahrscheinlich halten, daß jener der Erdorganisationen nach zwey Hauptgesetzen ausgeführt worden sey: ver- mög dem ersten musten alle möglichen Organisationen, und alle möglichen daraus entspringenden Arten des Daseyns und des Lebens zur Wirklichkeit gebracht werden. Das zweyte ist nothwendig mit dem ersten
ver-
§. 28. In Ruͤckſicht des eingepflanzten Bemuͤhens zu gewiſſen der Natur gemaͤßen Handlungen.
Hieraus erklaͤrt ſich ſchon das meiſte, was das eingepflanzte Bemuͤhen der Thiere zu gewiſſen der Na- tur gemaͤßen Handlungen, als den 4ten Vorzug, be- trift. Es iſt richtig, daß den Thieren, da ihre man- gelhafte Vernunft nicht zureichend geweſen waͤre, ihre Wege vorgezeichnet ſind. So ſelten ſie ſich irren koͤn- nen, ſo ſelten koͤnnen ſie auch andere Anſtalten oder eine andere Zeit waͤhlen. Alles, was ihnen noch ei- nigermaßen uͤberlaſſen worden iſt, beſteht in der ſehr eingeſchraͤnkten Faͤhigkeit, gewiſſe zufaͤllige Hinderniſ- ſe zu heben, z. B. daß die Spinne die zerriſſenen Stellen ihres Netzes ausbeſſert, und die Biene ein Aas, ſo ſie nicht wegſchleppen kann, mit Wachs uͤber- ruͤncht.
Ob dieſes eingepflanzte Bemuͤhen aber ein Vor- zug heißen koͤnne, und in wiefern der Menſch nicht anderſt von der Natur iſt behandelt worden, werden folgende Betrachtungen zeigen:
Wenn es uns zukaͤme, uͤber den Plan der Schoͤpfung zu vernuͤnfteln, ſo wuͤrde ich es fuͤr ſehr wahrſcheinlich halten, daß jener der Erdorganiſationen nach zwey Hauptgeſetzen ausgefuͤhrt worden ſey: ver- moͤg dem erſten muſten alle moͤglichen Organiſationen, und alle moͤglichen daraus entſpringenden Arten des Daſeyns und des Lebens zur Wirklichkeit gebracht werden. Das zweyte iſt nothwendig mit dem erſten
ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0120"n="101"/><divn="3"><head>§. 28.<lb/><hirendition="#b">In Ruͤckſicht des eingepflanzten Bemuͤhens zu<lb/>
gewiſſen der Natur gemaͤßen Handlungen.</hi></head><lb/><p>Hieraus erklaͤrt ſich ſchon das meiſte, was das<lb/>
eingepflanzte Bemuͤhen der Thiere zu gewiſſen der Na-<lb/>
tur gemaͤßen Handlungen, als den 4ten Vorzug, be-<lb/>
trift. Es iſt richtig, daß den Thieren, da ihre man-<lb/>
gelhafte Vernunft nicht zureichend geweſen waͤre, ihre<lb/>
Wege vorgezeichnet ſind. So ſelten ſie ſich irren koͤn-<lb/>
nen, ſo ſelten koͤnnen ſie auch andere Anſtalten oder<lb/>
eine andere Zeit waͤhlen. Alles, was ihnen noch ei-<lb/>
nigermaßen uͤberlaſſen worden iſt, beſteht in der ſehr<lb/>
eingeſchraͤnkten Faͤhigkeit, gewiſſe zufaͤllige Hinderniſ-<lb/>ſe zu heben, z. B. daß die Spinne die zerriſſenen<lb/>
Stellen ihres Netzes ausbeſſert, und die Biene ein<lb/>
Aas, ſo ſie nicht wegſchleppen kann, mit Wachs uͤber-<lb/>
ruͤncht.</p><lb/><p>Ob dieſes eingepflanzte Bemuͤhen aber ein Vor-<lb/>
zug heißen koͤnne, und in wiefern der Menſch nicht<lb/>
anderſt von der Natur iſt behandelt worden, werden<lb/>
folgende Betrachtungen zeigen:</p><lb/><p>Wenn es uns zukaͤme, uͤber den Plan der<lb/>
Schoͤpfung zu vernuͤnfteln, ſo wuͤrde ich es fuͤr ſehr<lb/>
wahrſcheinlich halten, daß jener der Erdorganiſationen<lb/>
nach zwey Hauptgeſetzen ausgefuͤhrt worden ſey: ver-<lb/>
moͤg dem erſten muſten alle moͤglichen Organiſationen,<lb/>
und alle moͤglichen daraus entſpringenden Arten des<lb/>
Daſeyns und des Lebens zur Wirklichkeit gebracht<lb/>
werden. Das zweyte iſt nothwendig mit dem erſten<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ver-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[101/0120]
§. 28.
In Ruͤckſicht des eingepflanzten Bemuͤhens zu
gewiſſen der Natur gemaͤßen Handlungen.
Hieraus erklaͤrt ſich ſchon das meiſte, was das
eingepflanzte Bemuͤhen der Thiere zu gewiſſen der Na-
tur gemaͤßen Handlungen, als den 4ten Vorzug, be-
trift. Es iſt richtig, daß den Thieren, da ihre man-
gelhafte Vernunft nicht zureichend geweſen waͤre, ihre
Wege vorgezeichnet ſind. So ſelten ſie ſich irren koͤn-
nen, ſo ſelten koͤnnen ſie auch andere Anſtalten oder
eine andere Zeit waͤhlen. Alles, was ihnen noch ei-
nigermaßen uͤberlaſſen worden iſt, beſteht in der ſehr
eingeſchraͤnkten Faͤhigkeit, gewiſſe zufaͤllige Hinderniſ-
ſe zu heben, z. B. daß die Spinne die zerriſſenen
Stellen ihres Netzes ausbeſſert, und die Biene ein
Aas, ſo ſie nicht wegſchleppen kann, mit Wachs uͤber-
ruͤncht.
Ob dieſes eingepflanzte Bemuͤhen aber ein Vor-
zug heißen koͤnne, und in wiefern der Menſch nicht
anderſt von der Natur iſt behandelt worden, werden
folgende Betrachtungen zeigen:
Wenn es uns zukaͤme, uͤber den Plan der
Schoͤpfung zu vernuͤnfteln, ſo wuͤrde ich es fuͤr ſehr
wahrſcheinlich halten, daß jener der Erdorganiſationen
nach zwey Hauptgeſetzen ausgefuͤhrt worden ſey: ver-
moͤg dem erſten muſten alle moͤglichen Organiſationen,
und alle moͤglichen daraus entſpringenden Arten des
Daſeyns und des Lebens zur Wirklichkeit gebracht
werden. Das zweyte iſt nothwendig mit dem erſten
ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/120>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.