§. 26. In Rücksicht der innern Empfindung von sei- ner Natur und seinen Kräften.
Der dritte Vorzug, die innere Empfindung ih- rer und ihres Körpers Natur und Kräfte verdient eben- falls eine nähere Berichtigung. Wenn er nur so ver- standen wird, daß die Thiere ein dunkles Bewustseyn ihres Daseyns, und eine Behaglichkeit bey ihrer Be- schaffenheit, ihren Neigungen, und ihrer angewiese- nen Lebensart empfinden, so sind wir einig: denn nur darauf kann sich die Selbstliebe, der Trieb der Selbst- erhaltung, der Grundtrieb aller übrigen Handlungen gründen. "Ueberall liegen Vorbilde der menschlichen Handlungsweisen, in denen das Thier geübt wird; und sie, da wir ihre Nervengebäude, ihren uns ähnlichen Bau, ihre uns ähnlichen Bedürfnisse und Lebensart vor uns sehen, sie dennoch als Maschinen betrachten zu wollen, ist eine Sünde wider die Natur, wie ir- gend Eine."*) Allein Reimarus scheint diese innere Empfindung über alle Wahrscheinlichkeit ausdehnen zu wollen. Zum Gegensatz führt er zuerst die innere Em- pfindung an, sofern sie auch der Mensch von dem Zu- stande seines Körpers hat.
"Wir Menschen, sagt er, haben auch einiges inneres Gefühl von dem Zustande unsers Körpers: z. B. Wenn der Magen leer ist und Speise verlangt, oder wenn er satt ist, wenn der Auswurf der Natur von Speise und Getränke oder Winden uns drängen;
Wenn
*) Herder.
§. 26. In Ruͤckſicht der innern Empfindung von ſei- ner Natur und ſeinen Kraͤften.
Der dritte Vorzug, die innere Empfindung ih- rer und ihres Koͤrpers Natur und Kraͤfte verdient eben- falls eine naͤhere Berichtigung. Wenn er nur ſo ver- ſtanden wird, daß die Thiere ein dunkles Bewuſtſeyn ihres Daſeyns, und eine Behaglichkeit bey ihrer Be- ſchaffenheit, ihren Neigungen, und ihrer angewieſe- nen Lebensart empfinden, ſo ſind wir einig: denn nur darauf kann ſich die Selbſtliebe, der Trieb der Selbſt- erhaltung, der Grundtrieb aller uͤbrigen Handlungen gruͤnden. 〟Ueberall liegen Vorbilde der menſchlichen Handlungsweiſen, in denen das Thier geuͤbt wird; und ſie, da wir ihre Nervengebaͤude, ihren uns aͤhnlichen Bau, ihre uns aͤhnlichen Beduͤrfniſſe und Lebensart vor uns ſehen, ſie dennoch als Maſchinen betrachten zu wollen, iſt eine Suͤnde wider die Natur, wie ir- gend Eine.〟*) Allein Reimarus ſcheint dieſe innere Empfindung uͤber alle Wahrſcheinlichkeit ausdehnen zu wollen. Zum Gegenſatz fuͤhrt er zuerſt die innere Em- pfindung an, ſofern ſie auch der Menſch von dem Zu- ſtande ſeines Koͤrpers hat.
“Wir Menſchen, ſagt er, haben auch einiges inneres Gefuͤhl von dem Zuſtande unſers Koͤrpers: z. B. Wenn der Magen leer iſt und Speiſe verlangt, oder wenn er ſatt iſt, wenn der Auswurf der Natur von Speiſe und Getraͤnke oder Winden uns draͤngen;
Wenn
*) Herder.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0106"n="87"/><divn="3"><head>§. 26.<lb/><hirendition="#b">In Ruͤckſicht der innern Empfindung von ſei-<lb/>
ner Natur und ſeinen Kraͤften.</hi></head><lb/><p>Der dritte Vorzug, die innere Empfindung ih-<lb/>
rer und ihres Koͤrpers Natur und Kraͤfte verdient eben-<lb/>
falls eine naͤhere Berichtigung. Wenn er nur ſo ver-<lb/>ſtanden wird, daß die Thiere ein dunkles Bewuſtſeyn<lb/>
ihres Daſeyns, und eine Behaglichkeit bey ihrer Be-<lb/>ſchaffenheit, ihren Neigungen, und ihrer angewieſe-<lb/>
nen Lebensart empfinden, ſo ſind wir einig: denn nur<lb/>
darauf kann ſich die Selbſtliebe, der Trieb der Selbſt-<lb/>
erhaltung, der Grundtrieb aller uͤbrigen Handlungen<lb/>
gruͤnden. 〟Ueberall liegen Vorbilde der menſchlichen<lb/>
Handlungsweiſen, in denen das Thier geuͤbt wird; und<lb/>ſie, da wir ihre Nervengebaͤude, ihren uns aͤhnlichen<lb/>
Bau, ihre uns aͤhnlichen Beduͤrfniſſe und Lebensart<lb/>
vor uns ſehen, ſie dennoch als Maſchinen betrachten<lb/>
zu wollen, iſt eine Suͤnde wider die Natur, wie ir-<lb/>
gend Eine.〟<noteplace="foot"n="*)">Herder.</note> Allein <hirendition="#fr">Reimarus</hi>ſcheint dieſe innere<lb/>
Empfindung uͤber alle Wahrſcheinlichkeit ausdehnen zu<lb/>
wollen. Zum Gegenſatz fuͤhrt er zuerſt die innere <choice><sic>Em-<lb/>
pſindung</sic><corr>Em-<lb/>
pfindung</corr></choice> an, ſofern ſie auch der Menſch von dem Zu-<lb/>ſtande ſeines Koͤrpers hat.</p><lb/><p>“Wir Menſchen, ſagt er, haben auch einiges<lb/>
inneres Gefuͤhl von dem Zuſtande unſers Koͤrpers:<lb/>
z. B. Wenn der Magen leer iſt und Speiſe verlangt,<lb/>
oder wenn er ſatt iſt, wenn der Auswurf der Natur<lb/>
von Speiſe und Getraͤnke oder Winden uns draͤngen;<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Wenn</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[87/0106]
§. 26.
In Ruͤckſicht der innern Empfindung von ſei-
ner Natur und ſeinen Kraͤften.
Der dritte Vorzug, die innere Empfindung ih-
rer und ihres Koͤrpers Natur und Kraͤfte verdient eben-
falls eine naͤhere Berichtigung. Wenn er nur ſo ver-
ſtanden wird, daß die Thiere ein dunkles Bewuſtſeyn
ihres Daſeyns, und eine Behaglichkeit bey ihrer Be-
ſchaffenheit, ihren Neigungen, und ihrer angewieſe-
nen Lebensart empfinden, ſo ſind wir einig: denn nur
darauf kann ſich die Selbſtliebe, der Trieb der Selbſt-
erhaltung, der Grundtrieb aller uͤbrigen Handlungen
gruͤnden. 〟Ueberall liegen Vorbilde der menſchlichen
Handlungsweiſen, in denen das Thier geuͤbt wird; und
ſie, da wir ihre Nervengebaͤude, ihren uns aͤhnlichen
Bau, ihre uns aͤhnlichen Beduͤrfniſſe und Lebensart
vor uns ſehen, ſie dennoch als Maſchinen betrachten
zu wollen, iſt eine Suͤnde wider die Natur, wie ir-
gend Eine.〟 *) Allein Reimarus ſcheint dieſe innere
Empfindung uͤber alle Wahrſcheinlichkeit ausdehnen zu
wollen. Zum Gegenſatz fuͤhrt er zuerſt die innere Em-
pfindung an, ſofern ſie auch der Menſch von dem Zu-
ſtande ſeines Koͤrpers hat.
“Wir Menſchen, ſagt er, haben auch einiges
inneres Gefuͤhl von dem Zuſtande unſers Koͤrpers:
z. B. Wenn der Magen leer iſt und Speiſe verlangt,
oder wenn er ſatt iſt, wenn der Auswurf der Natur
von Speiſe und Getraͤnke oder Winden uns draͤngen;
Wenn
*) Herder.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/106>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.