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Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50.

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Über Sinn und Bedeutung.
ihn nur begleitet *). So könnte man vielleicht finden, daß in
dem Satze
"Napoleon, der die Gefahr für seine rechte Flanke erkannte,
führte selbst seine Garden gegen die feindliche Stellung"

nicht nur die beiden oben angegebenen Gedanken ausgedrückt wären,
sondern auch der, daß die Erkenntnis der Gefahr der Grund war,
weshalb er die Garden gegen die feindliche Stellung führte. Man
kann in der That zweifelhaft sein, ob dieser Gedanke nur leicht
angeregt, oder ob er wirklich ausgedrückt wird. Man lege sich die
Frage vor, ob unser Satz falsch wäre, wenn Napoleons Entschluß
schon vor der Wahrnehmung der Gefahr gefaßt wäre. Könnte
unser Satz trotzdem wahr sein, so wäre unser Nebengedanke nicht
als Theil des Sinnes unsers Satzes aufzufassen. Wahrscheinlich
wird man sich dafür entscheiden. Im andern Falle würde die
Sachlage recht verwickelt: wir hätten dann mehr einfache Gedanken
als Sätze. Wenn wir nun auch den Satz
"Napoleon erkannte die Gefahr für seine rechte Flanke"
durch einen andern desselben Wahrheitswerthes ersetzten, z. B. durch
"Napoleon war schon über 45 Jahre alt,"
so würde damit nicht nur unser erster, sondern auch unser dritter
Gedanke geändert und damit könnte auch dessen Wahrheitswerth
ein anderer werden -- dann nämlich, wenn sein Alter nicht Grund
des Entschlusses war, die Garden gegen den Feind zu führen.
Hieraus ist zu sehn, weshalb in solchen Fällen nicht immer Sätze
von demselben Wahrheitswerthe für einander eintreten können.
Der Satz drückt dann eben vermöge seiner Verbindung mit einem
andern mehr aus, als für sich allein.

Betrachten wir nun Fälle, wo solches regelmäßig vorkommt.
In dem Satze
"Bebel wähnt, daß durch die Rückgabe Elsaß-Lothringens
Frankreichs Rachegelüste beschwichtigt werden können"

sind zwei Gedanken ausgedrückt, von denen aber nicht der eine
dem Haupt-, der andere dem Nebensatze angehört, nämlich

1) Bebel glaubt, daß durch die Rückgabe Elsaß-Lothringens
Frankreichs Rachegelüste beschwichtigt werden können;

*) Für die Frage, ob eine Behauptung eine Lüge, ein Eid ein Meineid
sei, kann dies von Wichtigkeit werden.

Über Sinn und Bedeutung.
ihn nur begleitet *). So könnte man vielleicht finden, daß in
dem Satze
„Napoleon, der die Gefahr für ſeine rechte Flanke erkannte,
führte ſelbſt ſeine Garden gegen die feindliche Stellung“

nicht nur die beiden oben angegebenen Gedanken ausgedrückt wären,
ſondern auch der, daß die Erkenntnis der Gefahr der Grund war,
weshalb er die Garden gegen die feindliche Stellung führte. Man
kann in der That zweifelhaft ſein, ob dieſer Gedanke nur leicht
angeregt, oder ob er wirklich ausgedrückt wird. Man lege ſich die
Frage vor, ob unſer Satz falſch wäre, wenn Napoleons Entſchluß
ſchon vor der Wahrnehmung der Gefahr gefaßt wäre. Könnte
unſer Satz trotzdem wahr ſein, ſo wäre unſer Nebengedanke nicht
als Theil des Sinnes unſers Satzes aufzufaſſen. Wahrſcheinlich
wird man ſich dafür entſcheiden. Im andern Falle würde die
Sachlage recht verwickelt: wir hätten dann mehr einfache Gedanken
als Sätze. Wenn wir nun auch den Satz
„Napoleon erkannte die Gefahr für ſeine rechte Flanke“
durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzten, z. B. durch
„Napoleon war ſchon über 45 Jahre alt,“
ſo würde damit nicht nur unſer erſter, ſondern auch unſer dritter
Gedanke geändert und damit könnte auch deſſen Wahrheitswerth
ein anderer werden — dann nämlich, wenn ſein Alter nicht Grund
des Entſchluſſes war, die Garden gegen den Feind zu führen.
Hieraus iſt zu ſehn, weshalb in ſolchen Fällen nicht immer Sätze
von demſelben Wahrheitswerthe für einander eintreten können.
Der Satz drückt dann eben vermöge ſeiner Verbindung mit einem
andern mehr aus, als für ſich allein.

Betrachten wir nun Fälle, wo ſolches regelmäßig vorkommt.
In dem Satze
„Bebel wähnt, daß durch die Rückgabe Elſaß-Lothringens
Frankreichs Rachegelüſte beſchwichtigt werden können“

ſind zwei Gedanken ausgedrückt, von denen aber nicht der eine
dem Haupt-, der andere dem Nebenſatze angehört, nämlich

1) Bebel glaubt, daß durch die Rückgabe Elſaß-Lothringens
Frankreichs Rachegelüſte beſchwichtigt werden können;

*) Für die Frage, ob eine Behauptung eine Lüge, ein Eid ein Meineid
ſei, kann dies von Wichtigkeit werden.
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[47/0043] Über Sinn und Bedeutung. ihn nur begleitet *). So könnte man vielleicht finden, daß in dem Satze „Napoleon, der die Gefahr für ſeine rechte Flanke erkannte, führte ſelbſt ſeine Garden gegen die feindliche Stellung“ nicht nur die beiden oben angegebenen Gedanken ausgedrückt wären, ſondern auch der, daß die Erkenntnis der Gefahr der Grund war, weshalb er die Garden gegen die feindliche Stellung führte. Man kann in der That zweifelhaft ſein, ob dieſer Gedanke nur leicht angeregt, oder ob er wirklich ausgedrückt wird. Man lege ſich die Frage vor, ob unſer Satz falſch wäre, wenn Napoleons Entſchluß ſchon vor der Wahrnehmung der Gefahr gefaßt wäre. Könnte unſer Satz trotzdem wahr ſein, ſo wäre unſer Nebengedanke nicht als Theil des Sinnes unſers Satzes aufzufaſſen. Wahrſcheinlich wird man ſich dafür entſcheiden. Im andern Falle würde die Sachlage recht verwickelt: wir hätten dann mehr einfache Gedanken als Sätze. Wenn wir nun auch den Satz „Napoleon erkannte die Gefahr für ſeine rechte Flanke“ durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzten, z. B. durch „Napoleon war ſchon über 45 Jahre alt,“ ſo würde damit nicht nur unſer erſter, ſondern auch unſer dritter Gedanke geändert und damit könnte auch deſſen Wahrheitswerth ein anderer werden — dann nämlich, wenn ſein Alter nicht Grund des Entſchluſſes war, die Garden gegen den Feind zu führen. Hieraus iſt zu ſehn, weshalb in ſolchen Fällen nicht immer Sätze von demſelben Wahrheitswerthe für einander eintreten können. Der Satz drückt dann eben vermöge ſeiner Verbindung mit einem andern mehr aus, als für ſich allein. Betrachten wir nun Fälle, wo ſolches regelmäßig vorkommt. In dem Satze „Bebel wähnt, daß durch die Rückgabe Elſaß-Lothringens Frankreichs Rachegelüſte beſchwichtigt werden können“ ſind zwei Gedanken ausgedrückt, von denen aber nicht der eine dem Haupt-, der andere dem Nebenſatze angehört, nämlich 1) Bebel glaubt, daß durch die Rückgabe Elſaß-Lothringens Frankreichs Rachegelüſte beſchwichtigt werden können; *) Für die Frage, ob eine Behauptung eine Lüge, ein Eid ein Meineid ſei, kann dies von Wichtigkeit werden.

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Zitationshilfe: Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50, hier S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frege_sinn_1892/43>, abgerufen am 27.04.2024.