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Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50.

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G. Frege:
aber dieselbe Vorstellung können sie nicht haben. Si duo idem
faciunt, non est idem
. Wenn zwei sich dasselbe vorstellen
so hat jeder doch seine eigene Vorstellung. Es ist zwar zuweilen
möglich, Unterschiede der Vorstellungen, ja der Empfindungen ver¬
schiedener Menschen festzustellen; aber eine genaue Vergleichung ist
nicht möglich, weil wir diese Vorstellungen nicht in demselben Be¬
wußtsein zusammen haben können.

Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand selbst,
den wir damit bezeichen; die Vorstellung, welche wir dabei haben,
ist ganz subjectiv; dazwischen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr
subjectiv wie die Vorstellung, aber doch auch nicht der Gegenstand
selbst ist. Folgendes Gleichniß ist vielleicht geeignet, diese Ver¬
hältnisse zu verdeutlichen. Jemand betrachtet den Mond durch ein
Fernrohr. Ich vergleiche den Mond selbst mit der Bedeutung;
er ist der Gegenstand der Beobachtung, die vermittelt wird durch
das reelle Bild, welches vom Objectivglase im Innern des Fern¬
rohrs entworfen wird, und durch das Netzhautbild des Betrach¬
tenden. Jenes vergleiche ich mit dem Sinne, dieses mit der Vor¬
stellung oder Anschauung. Das Bild im Fernrohre ist zwar nur
einseitig; es ist abhängig vom Standorte; aber es ist doch objectiv,
insofern es mehreren Beobachtern dienen kann. Es ließe sich allen¬
falls einrichten, daß gleichzeitig Mehrere es benutzten. Von den
Netzhautbildern aber würde jeder doch sein eignes haben. Selbst
eine geometrische Congruenz würde wegen der verschiedenen Bildung
der Augen kaum zu erreichen sein, ein wirkliches Zusammenfallen
aber wäre ausgeschlossen. Dies Gleichnis ließe sich vielleicht noch
weiter ausführen, indem man annähme, das Netzhautbild des A
könnte dem B sichtbar gemacht werden; oder auch A selbst könnte
in einem Spiegel sein eignes Netzhautbild sehen. Hiermit wäre
vielleicht zu zeigen, wie eine Vorstellung zwar selbst zum Gegen¬
stande genommen werden kann, als solche aber doch dem
Betrachter nicht das ist, was sie unmittelbar dem Vor¬
stellenden ist. Doch würde, dies zu verfolgen, wohl zu weit ab¬
führen.

Wir können nun drei Stufen der Verschiedenheit von Wörtern,
Ausdrücken und ganzen Sätzen erkennen. Entweder betrifft der
Unterschied höchstens die Vorstellungen, oder den Sinn aber nicht
die Bedeutung, oder endlich auch die Bedeutung. In Bezug auf

G. Frege:
aber dieſelbe Vorſtellung können ſie nicht haben. Si duo idem
faciunt, non est idem
. Wenn zwei ſich daſſelbe vorſtellen
ſo hat jeder doch ſeine eigene Vorſtellung. Es iſt zwar zuweilen
möglich, Unterſchiede der Vorſtellungen, ja der Empfindungen ver¬
ſchiedener Menſchen feſtzuſtellen; aber eine genaue Vergleichung iſt
nicht möglich, weil wir dieſe Vorſtellungen nicht in demſelben Be¬
wußtſein zuſammen haben können.

Die Bedeutung eines Eigennamens iſt der Gegenſtand ſelbſt,
den wir damit bezeichen; die Vorſtellung, welche wir dabei haben,
iſt ganz ſubjectiv; dazwiſchen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr
ſubjectiv wie die Vorſtellung, aber doch auch nicht der Gegenſtand
ſelbſt iſt. Folgendes Gleichniß iſt vielleicht geeignet, dieſe Ver¬
hältniſſe zu verdeutlichen. Jemand betrachtet den Mond durch ein
Fernrohr. Ich vergleiche den Mond ſelbſt mit der Bedeutung;
er iſt der Gegenſtand der Beobachtung, die vermittelt wird durch
das reelle Bild, welches vom Objectivglaſe im Innern des Fern¬
rohrs entworfen wird, und durch das Netzhautbild des Betrach¬
tenden. Jenes vergleiche ich mit dem Sinne, dieſes mit der Vor¬
ſtellung oder Anſchauung. Das Bild im Fernrohre iſt zwar nur
einſeitig; es iſt abhängig vom Standorte; aber es iſt doch objectiv,
inſofern es mehreren Beobachtern dienen kann. Es ließe ſich allen¬
falls einrichten, daß gleichzeitig Mehrere es benutzten. Von den
Netzhautbildern aber würde jeder doch ſein eignes haben. Selbſt
eine geometriſche Congruenz würde wegen der verſchiedenen Bildung
der Augen kaum zu erreichen ſein, ein wirkliches Zuſammenfallen
aber wäre ausgeſchloſſen. Dies Gleichnis ließe ſich vielleicht noch
weiter ausführen, indem man annähme, das Netzhautbild des A
könnte dem B ſichtbar gemacht werden; oder auch A ſelbſt könnte
in einem Spiegel ſein eignes Netzhautbild ſehen. Hiermit wäre
vielleicht zu zeigen, wie eine Vorſtellung zwar ſelbſt zum Gegen¬
ſtande genommen werden kann, als ſolche aber doch dem
Betrachter nicht das iſt, was ſie unmittelbar dem Vor¬
ſtellenden iſt. Doch würde, dies zu verfolgen, wohl zu weit ab¬
führen.

Wir können nun drei Stufen der Verſchiedenheit von Wörtern,
Ausdrücken und ganzen Sätzen erkennen. Entweder betrifft der
Unterſchied höchſtens die Vorſtellungen, oder den Sinn aber nicht
die Bedeutung, oder endlich auch die Bedeutung. In Bezug auf

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[30/0026] G. Frege: aber dieſelbe Vorſtellung können ſie nicht haben. Si duo idem faciunt, non est idem. Wenn zwei ſich daſſelbe vorſtellen ſo hat jeder doch ſeine eigene Vorſtellung. Es iſt zwar zuweilen möglich, Unterſchiede der Vorſtellungen, ja der Empfindungen ver¬ ſchiedener Menſchen feſtzuſtellen; aber eine genaue Vergleichung iſt nicht möglich, weil wir dieſe Vorſtellungen nicht in demſelben Be¬ wußtſein zuſammen haben können. Die Bedeutung eines Eigennamens iſt der Gegenſtand ſelbſt, den wir damit bezeichen; die Vorſtellung, welche wir dabei haben, iſt ganz ſubjectiv; dazwiſchen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr ſubjectiv wie die Vorſtellung, aber doch auch nicht der Gegenſtand ſelbſt iſt. Folgendes Gleichniß iſt vielleicht geeignet, dieſe Ver¬ hältniſſe zu verdeutlichen. Jemand betrachtet den Mond durch ein Fernrohr. Ich vergleiche den Mond ſelbſt mit der Bedeutung; er iſt der Gegenſtand der Beobachtung, die vermittelt wird durch das reelle Bild, welches vom Objectivglaſe im Innern des Fern¬ rohrs entworfen wird, und durch das Netzhautbild des Betrach¬ tenden. Jenes vergleiche ich mit dem Sinne, dieſes mit der Vor¬ ſtellung oder Anſchauung. Das Bild im Fernrohre iſt zwar nur einſeitig; es iſt abhängig vom Standorte; aber es iſt doch objectiv, inſofern es mehreren Beobachtern dienen kann. Es ließe ſich allen¬ falls einrichten, daß gleichzeitig Mehrere es benutzten. Von den Netzhautbildern aber würde jeder doch ſein eignes haben. Selbſt eine geometriſche Congruenz würde wegen der verſchiedenen Bildung der Augen kaum zu erreichen ſein, ein wirkliches Zuſammenfallen aber wäre ausgeſchloſſen. Dies Gleichnis ließe ſich vielleicht noch weiter ausführen, indem man annähme, das Netzhautbild des A könnte dem B ſichtbar gemacht werden; oder auch A ſelbſt könnte in einem Spiegel ſein eignes Netzhautbild ſehen. Hiermit wäre vielleicht zu zeigen, wie eine Vorſtellung zwar ſelbſt zum Gegen¬ ſtande genommen werden kann, als ſolche aber doch dem Betrachter nicht das iſt, was ſie unmittelbar dem Vor¬ ſtellenden iſt. Doch würde, dies zu verfolgen, wohl zu weit ab¬ führen. Wir können nun drei Stufen der Verſchiedenheit von Wörtern, Ausdrücken und ganzen Sätzen erkennen. Entweder betrifft der Unterſchied höchſtens die Vorſtellungen, oder den Sinn aber nicht die Bedeutung, oder endlich auch die Bedeutung. In Bezug auf

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Zitationshilfe: Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50, hier S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frege_sinn_1892/26>, abgerufen am 26.04.2024.