Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.hörte sie um mich rauschen, denn ich flog. Es war herrlich. Und plötzlich warst Du auch da, und wir flogen zusammen. Du hieltest mich an der Hand fest, und auf einmal wirbelten tausend Feuerfunken um uns. "Aha, jetzt sind wir bei den Asteroiden!" rief ich ganz selig. Dann fühlte ich mich stürzen, reißend schnell. Es war wie Vernichtung. Ich erwachte halb, athemlos und glühend, wußte gar nicht, wo die Thür und wo das Fenster war. "Lisbeth, warum schreist Du so?" rief es kläglich aus dem Nebenzimmer, wo Tante schläft. Aber der Traum geht mir noch immer nach, besonders das Rauschen, es war, als wenn der Wind in die Segel fährt. Ach, wie unrecht ist es, daß wir keine Flügel haben! Deine Lisbeth. Axel Lorenzen an Pastor Markwort. Kopenhagen, 1. November 1892. Lieber Onkel Vormund! Dieser Brief ist mit der Bemerkung "eigenhändig" versehen, ich möchte Dich nämlich gern auf ein paar Augenblicke allein sprechen. Tante muß es natürlich später auch erfahren, aber vorläufig bitte ich um Deine Diskretion. Es handelt sich nämlich um Eure Lisbeth. Das Mädel verkommt ganz bei der Lebensweise, die sie bei Euch führt; sie ist kein solch Hausküken, und man muß etwas für sie thun. Ich möchte Dich daher dringend hörte sie um mich rauschen, denn ich flog. Es war herrlich. Und plötzlich warst Du auch da, und wir flogen zusammen. Du hieltest mich an der Hand fest, und auf einmal wirbelten tausend Feuerfunken um uns. „Aha, jetzt sind wir bei den Asteroiden!“ rief ich ganz selig. Dann fühlte ich mich stürzen, reißend schnell. Es war wie Vernichtung. Ich erwachte halb, athemlos und glühend, wußte gar nicht, wo die Thür und wo das Fenster war. „Lisbeth, warum schreist Du so?“ rief es kläglich aus dem Nebenzimmer, wo Tante schläft. Aber der Traum geht mir noch immer nach, besonders das Rauschen, es war, als wenn der Wind in die Segel fährt. Ach, wie unrecht ist es, daß wir keine Flügel haben! Deine Lisbeth. Axel Lorenzen an Pastor Markwort. Kopenhagen, 1. November 1892. Lieber Onkel Vormund! Dieser Brief ist mit der Bemerkung „eigenhändig“ versehen, ich möchte Dich nämlich gern auf ein paar Augenblicke allein sprechen. Tante muß es natürlich später auch erfahren, aber vorläufig bitte ich um Deine Diskretion. Es handelt sich nämlich um Eure Lisbeth. Das Mädel verkommt ganz bei der Lebensweise, die sie bei Euch führt; sie ist kein solch Hausküken, und man muß etwas für sie thun. Ich möchte Dich daher dringend <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0348" n="340"/> hörte sie um mich rauschen, denn ich flog. Es war herrlich. Und plötzlich warst Du auch da, und wir flogen zusammen. Du hieltest mich an der Hand fest, und auf einmal wirbelten tausend Feuerfunken um uns. „Aha, jetzt sind wir bei den Asteroiden!“ rief ich ganz selig. Dann fühlte ich mich stürzen, reißend schnell. Es war wie Vernichtung. Ich erwachte halb, athemlos und glühend, wußte gar nicht, wo die Thür und wo das Fenster war. „Lisbeth, warum schreist Du so?“ rief es kläglich aus dem Nebenzimmer, wo Tante schläft. Aber der Traum geht mir noch immer nach, besonders das Rauschen, es war, als wenn der Wind in die Segel fährt. Ach, wie unrecht ist es, daß wir keine Flügel haben!</p> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Deine Lisbeth.</hi> </salute> </closer> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="letter" n="2"> <head>Axel Lorenzen an Pastor Markwort.</head> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">Kopenhagen, 1. November 1892.</hi> </dateline> </opener> <p>Lieber Onkel Vormund! Dieser Brief ist mit der Bemerkung „eigenhändig“ versehen, ich möchte Dich nämlich gern auf ein paar Augenblicke allein sprechen. Tante muß es natürlich später auch erfahren, aber vorläufig bitte ich um Deine Diskretion. Es handelt sich nämlich um Eure Lisbeth. Das Mädel verkommt ganz bei der Lebensweise, die sie bei Euch führt; sie ist kein solch Hausküken, und man muß etwas für sie thun. Ich möchte Dich daher dringend </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [340/0348]
hörte sie um mich rauschen, denn ich flog. Es war herrlich. Und plötzlich warst Du auch da, und wir flogen zusammen. Du hieltest mich an der Hand fest, und auf einmal wirbelten tausend Feuerfunken um uns. „Aha, jetzt sind wir bei den Asteroiden!“ rief ich ganz selig. Dann fühlte ich mich stürzen, reißend schnell. Es war wie Vernichtung. Ich erwachte halb, athemlos und glühend, wußte gar nicht, wo die Thür und wo das Fenster war. „Lisbeth, warum schreist Du so?“ rief es kläglich aus dem Nebenzimmer, wo Tante schläft. Aber der Traum geht mir noch immer nach, besonders das Rauschen, es war, als wenn der Wind in die Segel fährt. Ach, wie unrecht ist es, daß wir keine Flügel haben!
Deine Lisbeth.
Axel Lorenzen an Pastor Markwort. Kopenhagen, 1. November 1892. Lieber Onkel Vormund! Dieser Brief ist mit der Bemerkung „eigenhändig“ versehen, ich möchte Dich nämlich gern auf ein paar Augenblicke allein sprechen. Tante muß es natürlich später auch erfahren, aber vorläufig bitte ich um Deine Diskretion. Es handelt sich nämlich um Eure Lisbeth. Das Mädel verkommt ganz bei der Lebensweise, die sie bei Euch führt; sie ist kein solch Hausküken, und man muß etwas für sie thun. Ich möchte Dich daher dringend
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