Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite
Klärchen an die Geschwister.

Kinder, ich bin schon wieder bei Euch in Ge¬
danken, weil ich all' dies Schöne allein nicht ertragen
kann. Papa und Mama halten sehr zusammen, und
wenn Papa seine prachtvollen Erklärungen gibt, und
Mama Alles so genau und schnell begreift, stehe ich
immer ganz verdutzt daneben und merke nun erst
recht, wie dumm ich bin. Ihr drei Aelteren seid
sonst so die Mittelglieder zwischen den Eltern und
mir, und nun fehlt Ihr mir sehr! Ich tröste mich
dann mit Putzi, der auch so wenig weiß, ja fast noch
weniger als ich, und dem man es doch nicht übel
nehmen kann. Gestern waren wir also auf dem herr¬
lichen Schloß Runkelstein, wo die Geschichte von
Tristan und Isolde auf die Wände gemalt ist. Und
seht 'mal, das Alles mit der Restaurirung wußte
Papa ganz genau, ich aber bin gar nicht recht klug
daraus geworden! Isolde erinnerte mich ganz an
Dich, meine süße Irene, eben so schlank und dünn
war sie wie Du und trug auch solchen großen Hut,
wie wir alle drei gern tragen. Aber die Jagd konnte
ich gar nicht verstehen, und die Hunde hatten mit
Putzi nicht die geringste Aehnlichkeit! Aber man
konnte sich doch ganz in die alte Zeit versetzen, wo

Klärchen an die Geſchwiſter.

Kinder, ich bin ſchon wieder bei Euch in Ge¬
danken, weil ich all' dies Schöne allein nicht ertragen
kann. Papa und Mama halten ſehr zuſammen, und
wenn Papa ſeine prachtvollen Erklärungen gibt, und
Mama Alles ſo genau und ſchnell begreift, ſtehe ich
immer ganz verdutzt daneben und merke nun erſt
recht, wie dumm ich bin. Ihr drei Aelteren ſeid
ſonſt ſo die Mittelglieder zwiſchen den Eltern und
mir, und nun fehlt Ihr mir ſehr! Ich tröſte mich
dann mit Putzi, der auch ſo wenig weiß, ja faſt noch
weniger als ich, und dem man es doch nicht übel
nehmen kann. Geſtern waren wir alſo auf dem herr¬
lichen Schloß Runkelſtein, wo die Geſchichte von
Triſtan und Iſolde auf die Wände gemalt iſt. Und
ſeht 'mal, das Alles mit der Reſtaurirung wußte
Papa ganz genau, ich aber bin gar nicht recht klug
daraus geworden! Iſolde erinnerte mich ganz an
Dich, meine ſüße Irene, eben ſo ſchlank und dünn
war ſie wie Du und trug auch ſolchen großen Hut,
wie wir alle drei gern tragen. Aber die Jagd konnte
ich gar nicht verſtehen, und die Hunde hatten mit
Putzi nicht die geringſte Aehnlichkeit! Aber man
konnte ſich doch ganz in die alte Zeit verſetzen, wo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="letter" n="2">
          <pb facs="#f0218" n="202"/>
        </div>
        <div type="letter" n="2">
          <head> <hi rendition="#g">Klärchen an die Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter.</hi><lb/>
          </head>
          <opener>
            <dateline rendition="#right">Bozen, 28. März.<lb/>
7 Uhr Morgens. </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Kinder, ich bin &#x017F;chon wieder bei Euch in Ge¬<lb/>
danken, weil ich all' dies Schöne allein nicht ertragen<lb/>
kann. Papa und Mama halten &#x017F;ehr zu&#x017F;ammen, und<lb/>
wenn Papa &#x017F;eine prachtvollen Erklärungen gibt, und<lb/>
Mama Alles &#x017F;o genau und &#x017F;chnell begreift, &#x017F;tehe ich<lb/>
immer ganz verdutzt daneben und merke nun er&#x017F;t<lb/>
recht, wie dumm ich bin. Ihr drei Aelteren &#x017F;eid<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o die Mittelglieder zwi&#x017F;chen den Eltern und<lb/>
mir, und nun fehlt Ihr mir &#x017F;ehr! Ich trö&#x017F;te mich<lb/>
dann mit Putzi, der auch &#x017F;o wenig weiß, ja fa&#x017F;t noch<lb/>
weniger als ich, und dem man es doch nicht übel<lb/>
nehmen kann. Ge&#x017F;tern waren wir al&#x017F;o auf dem herr¬<lb/>
lichen Schloß Runkel&#x017F;tein, wo die Ge&#x017F;chichte von<lb/>
Tri&#x017F;tan und I&#x017F;olde auf die Wände gemalt i&#x017F;t. Und<lb/>
&#x017F;eht 'mal, das Alles mit der Re&#x017F;taurirung wußte<lb/>
Papa ganz genau, ich aber bin gar nicht recht klug<lb/>
daraus geworden! I&#x017F;olde erinnerte mich ganz an<lb/>
Dich, meine &#x017F;üße Irene, eben &#x017F;o &#x017F;chlank und dünn<lb/>
war &#x017F;ie wie Du und trug auch &#x017F;olchen großen Hut,<lb/>
wie wir alle drei gern tragen. Aber die Jagd konnte<lb/>
ich gar nicht ver&#x017F;tehen, und die Hunde hatten mit<lb/>
Putzi nicht die gering&#x017F;te Aehnlichkeit! Aber man<lb/>
konnte &#x017F;ich doch ganz in die alte Zeit ver&#x017F;etzen, wo<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0218] Klärchen an die Geſchwiſter. Bozen, 28. März. 7 Uhr Morgens. Kinder, ich bin ſchon wieder bei Euch in Ge¬ danken, weil ich all' dies Schöne allein nicht ertragen kann. Papa und Mama halten ſehr zuſammen, und wenn Papa ſeine prachtvollen Erklärungen gibt, und Mama Alles ſo genau und ſchnell begreift, ſtehe ich immer ganz verdutzt daneben und merke nun erſt recht, wie dumm ich bin. Ihr drei Aelteren ſeid ſonſt ſo die Mittelglieder zwiſchen den Eltern und mir, und nun fehlt Ihr mir ſehr! Ich tröſte mich dann mit Putzi, der auch ſo wenig weiß, ja faſt noch weniger als ich, und dem man es doch nicht übel nehmen kann. Geſtern waren wir alſo auf dem herr¬ lichen Schloß Runkelſtein, wo die Geſchichte von Triſtan und Iſolde auf die Wände gemalt iſt. Und ſeht 'mal, das Alles mit der Reſtaurirung wußte Papa ganz genau, ich aber bin gar nicht recht klug daraus geworden! Iſolde erinnerte mich ganz an Dich, meine ſüße Irene, eben ſo ſchlank und dünn war ſie wie Du und trug auch ſolchen großen Hut, wie wir alle drei gern tragen. Aber die Jagd konnte ich gar nicht verſtehen, und die Hunde hatten mit Putzi nicht die geringſte Aehnlichkeit! Aber man konnte ſich doch ganz in die alte Zeit verſetzen, wo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/218
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/218>, abgerufen am 21.11.2024.