Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.VIII. Außer den großen Verdiensten, welche Bach in der Kunst als vollendeter Spieler, Componist und Musiklehrer hatte, besaß er auch das Verdienst, ein vorzüglich guter Hausvater, Freund und Staatsbürger zu seyn. Die Tugenden des Hausvaters bewies er durch seine Sorgfalt für die Bildung seiner Kinder, und die übrigen durch gewissenhafte Erfüllung gesellschaftlicher und bürgerlicher Pflichten. Sein Umgang war Jedermann angenehm. Wer nur irgend ein Kunstliebhaber war, er mochte fremd oder einheimisch seyn, konnte sein Haus besuchen, und sicher seyn, eine freundliche Aufnahme zu finden. Diese geselligen Tugenden mit seinem großen Kunstruf vereint, waren auch Ursache, daß sein Haus fast nie von Besuchen leer wurde. Als Künstler war er außerordentlich bescheiden. Bey dem großen Uebergewicht, welches er über seine Kunstverwandte hatte, und gewiß fühlen mußte, bey der Bewunderung und Ehrerbiethung, die ihm täglich als so hervorragendem Künstler bewiesen wurde, hat man doch kein Beyspiel, daß er je irgend einen Anspruch darauf gebaut hätte. Wenn er bisweilen gefragt wurde, wie er es denn angefangen habe, der Kunst in einem so hohen Grade mächtig zu werden, antwortete er gewöhnlich: Ich habe fleißig seyn müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es eben so weit bringen können. Auf seine größern angebohrnen Gaben schien er nichts zu rechnen. Alle seine Urtheile über andere Künstler und ihre Werke waren freundlich und billig. Es mußte ihm nothwendig manches Kunstwerk klein vorkommen, da er sich ausschließend fast immer mit der höhern, größern Kunst beschäftigte; dennoch hat er sich nie erlaubt, ein hartes Urtheil darüber zu äußern, es müßte denn gegen einen seiner Schüler gewesen seyn, welchen er reine, strenge Wahrheit schuldig zu seyn glaubte. Noch weniger hat er sich je durch das Gefühl seiner Kraft und Uebermacht verleiten lassen, ein herausfordernder musikalischer Renomist zu werden, wie dieß so häufig der Fall bey Spielern ist, die sich für stark halten, wenn sie einen schwächern vor sich zu sehen glauben. Seine Bescheidenheit ging hierin so weit, daß er selbst von dem musikalischen Wettstreit, welchen er gegen Marchand bestehen sollte, nie freywillig sprach, ob er gleich hier nicht Ausforderer, sondern der Aufgeforderte war. Die vielen zum Theil abentheuerlichen Fechterstreiche, die ihm nachgesagt werden, z.B. daß er bisweilen, als ein armer Dorffschulmeister gekleidet, in eine Kirche VIII. Außer den großen Verdiensten, welche Bach in der Kunst als vollendeter Spieler, Componist und Musiklehrer hatte, besaß er auch das Verdienst, ein vorzüglich guter Hausvater, Freund und Staatsbürger zu seyn. Die Tugenden des Hausvaters bewies er durch seine Sorgfalt für die Bildung seiner Kinder, und die übrigen durch gewissenhafte Erfüllung gesellschaftlicher und bürgerlicher Pflichten. Sein Umgang war Jedermann angenehm. Wer nur irgend ein Kunstliebhaber war, er mochte fremd oder einheimisch seyn, konnte sein Haus besuchen, und sicher seyn, eine freundliche Aufnahme zu finden. Diese geselligen Tugenden mit seinem großen Kunstruf vereint, waren auch Ursache, daß sein Haus fast nie von Besuchen leer wurde. Als Künstler war er außerordentlich bescheiden. Bey dem großen Uebergewicht, welches er über seine Kunstverwandte hatte, und gewiß fühlen mußte, bey der Bewunderung und Ehrerbiethung, die ihm täglich als so hervorragendem Künstler bewiesen wurde, hat man doch kein Beyspiel, daß er je irgend einen Anspruch darauf gebaut hätte. Wenn er bisweilen gefragt wurde, wie er es denn angefangen habe, der Kunst in einem so hohen Grade mächtig zu werden, antwortete er gewöhnlich: Ich habe fleißig seyn müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es eben so weit bringen können. Auf seine größern angebohrnen Gaben schien er nichts zu rechnen. Alle seine Urtheile über andere Künstler und ihre Werke waren freundlich und billig. Es mußte ihm nothwendig manches Kunstwerk klein vorkommen, da er sich ausschließend fast immer mit der höhern, größern Kunst beschäftigte; dennoch hat er sich nie erlaubt, ein hartes Urtheil darüber zu äußern, es müßte denn gegen einen seiner Schüler gewesen seyn, welchen er reine, strenge Wahrheit schuldig zu seyn glaubte. Noch weniger hat er sich je durch das Gefühl seiner Kraft und Uebermacht verleiten lassen, ein herausfordernder musikalischer Renomist zu werden, wie dieß so häufig der Fall bey Spielern ist, die sich für stark halten, wenn sie einen schwächern vor sich zu sehen glauben. Seine Bescheidenheit ging hierin so weit, daß er selbst von dem musikalischen Wettstreit, welchen er gegen Marchand bestehen sollte, nie freywillig sprach, ob er gleich hier nicht Ausforderer, sondern der Aufgeforderte war. Die vielen zum Theil abentheuerlichen Fechterstreiche, die ihm nachgesagt werden, z.B. daß er bisweilen, als ein armer Dorffschulmeister gekleidet, in eine Kirche <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0055" n="45"/> <div n="1"> <head>VIII.</head><lb/> <p>Außer den großen Verdiensten, welche <hi rendition="#g">Bach</hi> in der Kunst als vollendeter Spieler, Componist und Musiklehrer hatte, besaß er auch das Verdienst, ein vorzüglich guter Hausvater, Freund und Staatsbürger zu seyn. Die Tugenden des Hausvaters bewies er durch seine Sorgfalt für die Bildung seiner Kinder, und die übrigen durch gewissenhafte Erfüllung gesellschaftlicher und bürgerlicher Pflichten. Sein Umgang war Jedermann angenehm. Wer nur irgend ein Kunstliebhaber war, er mochte fremd oder einheimisch seyn, konnte sein Haus besuchen, und sicher seyn, eine freundliche Aufnahme zu finden. Diese geselligen Tugenden mit seinem großen Kunstruf vereint, waren auch Ursache, daß sein Haus fast nie von Besuchen leer wurde.</p> <p>Als Künstler war er außerordentlich bescheiden. Bey dem großen Uebergewicht, welches er über seine Kunstverwandte hatte, und gewiß fühlen mußte, bey der Bewunderung und Ehrerbiethung, die ihm täglich als so hervorragendem Künstler bewiesen wurde, hat man doch kein Beyspiel, daß er je irgend einen Anspruch darauf gebaut hätte. Wenn er bisweilen gefragt wurde, wie er es denn angefangen habe, der Kunst in einem so hohen Grade mächtig zu werden, antwortete er gewöhnlich: Ich habe fleißig seyn müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es eben so weit bringen können. Auf seine größern angebohrnen Gaben schien er nichts zu rechnen. Alle seine Urtheile über andere Künstler und ihre Werke waren freundlich und billig. Es mußte ihm nothwendig manches Kunstwerk klein vorkommen, da er sich ausschließend fast immer mit der höhern, größern Kunst beschäftigte; dennoch hat er sich nie erlaubt, ein hartes Urtheil darüber zu äußern, es müßte denn gegen einen seiner Schüler gewesen seyn, welchen er reine, strenge Wahrheit schuldig zu seyn glaubte. Noch weniger hat er sich je durch das Gefühl seiner Kraft und Uebermacht verleiten lassen, ein herausfordernder musikalischer Renomist zu werden, wie dieß so häufig der Fall bey Spielern ist, die sich für stark halten, wenn sie einen schwächern vor sich zu sehen glauben. Seine Bescheidenheit ging hierin so weit, daß er selbst von dem musikalischen Wettstreit, welchen er gegen <hi rendition="#g">Marchand</hi> bestehen sollte, nie freywillig sprach, ob er gleich hier nicht Ausforderer, sondern der Aufgeforderte war. 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VIII.
Außer den großen Verdiensten, welche Bach in der Kunst als vollendeter Spieler, Componist und Musiklehrer hatte, besaß er auch das Verdienst, ein vorzüglich guter Hausvater, Freund und Staatsbürger zu seyn. Die Tugenden des Hausvaters bewies er durch seine Sorgfalt für die Bildung seiner Kinder, und die übrigen durch gewissenhafte Erfüllung gesellschaftlicher und bürgerlicher Pflichten. Sein Umgang war Jedermann angenehm. Wer nur irgend ein Kunstliebhaber war, er mochte fremd oder einheimisch seyn, konnte sein Haus besuchen, und sicher seyn, eine freundliche Aufnahme zu finden. Diese geselligen Tugenden mit seinem großen Kunstruf vereint, waren auch Ursache, daß sein Haus fast nie von Besuchen leer wurde.
Als Künstler war er außerordentlich bescheiden. Bey dem großen Uebergewicht, welches er über seine Kunstverwandte hatte, und gewiß fühlen mußte, bey der Bewunderung und Ehrerbiethung, die ihm täglich als so hervorragendem Künstler bewiesen wurde, hat man doch kein Beyspiel, daß er je irgend einen Anspruch darauf gebaut hätte. Wenn er bisweilen gefragt wurde, wie er es denn angefangen habe, der Kunst in einem so hohen Grade mächtig zu werden, antwortete er gewöhnlich: Ich habe fleißig seyn müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es eben so weit bringen können. Auf seine größern angebohrnen Gaben schien er nichts zu rechnen. Alle seine Urtheile über andere Künstler und ihre Werke waren freundlich und billig. Es mußte ihm nothwendig manches Kunstwerk klein vorkommen, da er sich ausschließend fast immer mit der höhern, größern Kunst beschäftigte; dennoch hat er sich nie erlaubt, ein hartes Urtheil darüber zu äußern, es müßte denn gegen einen seiner Schüler gewesen seyn, welchen er reine, strenge Wahrheit schuldig zu seyn glaubte. Noch weniger hat er sich je durch das Gefühl seiner Kraft und Uebermacht verleiten lassen, ein herausfordernder musikalischer Renomist zu werden, wie dieß so häufig der Fall bey Spielern ist, die sich für stark halten, wenn sie einen schwächern vor sich zu sehen glauben. Seine Bescheidenheit ging hierin so weit, daß er selbst von dem musikalischen Wettstreit, welchen er gegen Marchand bestehen sollte, nie freywillig sprach, ob er gleich hier nicht Ausforderer, sondern der Aufgeforderte war. Die vielen zum Theil abentheuerlichen Fechterstreiche, die ihm nachgesagt werden, z.B. daß er bisweilen, als ein armer Dorffschulmeister gekleidet, in eine Kirche
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