Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieß ist das Wichtigste von Bachs Werken für den Gesang. Für die kleinere, der geselligen Unterhaltung gewidmete Kunst hat er nichts, wenigstens gewiß nicht viel gethan, ein so geselliger und freundlicher Mann er auch sonst war. So soll er z.B. nie ein Lied gemacht haben. Dazu bedurfte es aber auch seiner nicht. Diese kleinen lieblichen Kunstblümchen werden deswegen doch nie ausgehen; die Natur treibt sie allenfalls auch ohne besondere Pflege von selbst hervor.



VII.

Es giebt manche gute Componisten und geschickte Virtuosen für alle Instrumente, welche nicht im Stande sind, das, was sie wissen oder können, andere zu lehren. Sie haben mit der Uebung, durch welche ihre natürlichen Anlagen entwickelt wurden, entweder nicht hinlängliche Aufmerksamkeit verbunden, oder sie sind durch guten Unterricht auf dem geradesten Wege zu einem gewissen Ziel geführt worden, und haben das Nachdenken über die Ursachen, warum etwas so und nicht anders gemacht werden müsse, ihren Lehrern überlassen. Wenn solche Künstler wirklich gut unterrichtet sind, so kann ihre Ausübung für Anfänger lehrreich werden, aber unterrichten können sie eigentlich nicht. Der mühsame Weg des Selbstunterrichts, auf welchem sich der Lehrling tausendmahl verirrt, ehe er das Ziel entdeckt oder erreicht, ist vielleicht der einzige, der einen vollkommen guten Lehrer hervor bringen kann. Die öftern fruchtlosen Versuche und Verirrungen machen nach und nach mit dem ganzen Kunstgebieth bekannt, und jedes Hinderniß des Fortkommens wird entdeckt und vermeiden gelernt. Freylich ist dieser Weg der längere; wer aber Kraft in sich hat, wird ihn dennoch vollenden, und zum Lohn seiner Anstrengungen sein Ziel auf einem desto anmuthigern Weg finden lernen. Alle diejenigen, welche je eine eigene Schule in der Musik gestiftet haben, sind auf solchen beschwerlichen Wegen dazu gelangt. Der von ihnen entdeckte neue, anmuthigere Weg war das, was ihre Schule von andern Schulen unterschied.

Eben so ist es mit der Bachischen Schule beschaffen. Ihr Urheber irrte lange umher, mußte erst ein Alter von mehr als 30 Jahren erreichen, und durch stete Anstrengungen an Kräften immer mehr wachsen, ehe er alle Schwierigkeiten und Hindernisse

Dieß ist das Wichtigste von Bachs Werken für den Gesang. Für die kleinere, der geselligen Unterhaltung gewidmete Kunst hat er nichts, wenigstens gewiß nicht viel gethan, ein so geselliger und freundlicher Mann er auch sonst war. So soll er z.B. nie ein Lied gemacht haben. Dazu bedurfte es aber auch seiner nicht. Diese kleinen lieblichen Kunstblümchen werden deswegen doch nie ausgehen; die Natur treibt sie allenfalls auch ohne besondere Pflege von selbst hervor.



VII.

Es giebt manche gute Componisten und geschickte Virtuosen für alle Instrumente, welche nicht im Stande sind, das, was sie wissen oder können, andere zu lehren. Sie haben mit der Uebung, durch welche ihre natürlichen Anlagen entwickelt wurden, entweder nicht hinlängliche Aufmerksamkeit verbunden, oder sie sind durch guten Unterricht auf dem geradesten Wege zu einem gewissen Ziel geführt worden, und haben das Nachdenken über die Ursachen, warum etwas so und nicht anders gemacht werden müsse, ihren Lehrern überlassen. Wenn solche Künstler wirklich gut unterrichtet sind, so kann ihre Ausübung für Anfänger lehrreich werden, aber unterrichten können sie eigentlich nicht. Der mühsame Weg des Selbstunterrichts, auf welchem sich der Lehrling tausendmahl verirrt, ehe er das Ziel entdeckt oder erreicht, ist vielleicht der einzige, der einen vollkommen guten Lehrer hervor bringen kann. Die öftern fruchtlosen Versuche und Verirrungen machen nach und nach mit dem ganzen Kunstgebieth bekannt, und jedes Hinderniß des Fortkommens wird entdeckt und vermeiden gelernt. Freylich ist dieser Weg der längere; wer aber Kraft in sich hat, wird ihn dennoch vollenden, und zum Lohn seiner Anstrengungen sein Ziel auf einem desto anmuthigern Weg finden lernen. Alle diejenigen, welche je eine eigene Schule in der Musik gestiftet haben, sind auf solchen beschwerlichen Wegen dazu gelangt. Der von ihnen entdeckte neue, anmuthigere Weg war das, was ihre Schule von andern Schulen unterschied.

Eben so ist es mit der Bachischen Schule beschaffen. Ihr Urheber irrte lange umher, mußte erst ein Alter von mehr als 30 Jahren erreichen, und durch stete Anstrengungen an Kräften immer mehr wachsen, ehe er alle Schwierigkeiten und Hindernisse

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0047" n="37"/>
        <p>Dieß ist das Wichtigste von <hi rendition="#g">Bachs</hi> Werken für den Gesang. Für die kleinere, der geselligen Unterhaltung gewidmete Kunst hat er nichts, wenigstens gewiß nicht viel gethan, ein so geselliger und freundlicher Mann er auch sonst war. So soll er z.B. nie ein Lied gemacht haben. Dazu bedurfte es aber auch seiner nicht. Diese kleinen lieblichen Kunstblümchen werden deswegen doch nie ausgehen; die Natur treibt sie allenfalls auch ohne besondere Pflege von selbst hervor.</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
      <div n="1">
        <head>VII.</head><lb/>
        <p>Es giebt manche gute Componisten und geschickte Virtuosen für alle Instrumente, welche nicht im Stande sind, das, was sie wissen oder können, andere zu lehren. Sie haben mit der Uebung, durch welche ihre natürlichen Anlagen entwickelt wurden, entweder nicht hinlängliche Aufmerksamkeit verbunden, oder sie sind durch guten Unterricht auf dem geradesten Wege zu einem gewissen Ziel geführt worden, und haben das Nachdenken über die Ursachen, warum etwas so und nicht anders gemacht werden müsse, ihren Lehrern überlassen. Wenn solche Künstler wirklich gut unterrichtet sind, so kann ihre Ausübung für Anfänger lehrreich werden, aber unterrichten können sie eigentlich nicht. Der mühsame Weg des Selbstunterrichts, auf welchem sich der Lehrling tausendmahl verirrt, ehe er das Ziel entdeckt oder erreicht, ist vielleicht der einzige, der einen vollkommen guten Lehrer hervor bringen kann. Die öftern fruchtlosen Versuche und Verirrungen machen nach und nach mit dem ganzen Kunstgebieth bekannt, und jedes Hinderniß des Fortkommens wird entdeckt und vermeiden gelernt. Freylich ist dieser Weg der längere; wer aber Kraft in sich hat, wird ihn dennoch vollenden, und zum Lohn seiner Anstrengungen sein Ziel auf einem desto anmuthigern Weg finden lernen. Alle diejenigen, welche je eine eigene Schule in der Musik gestiftet haben, sind auf solchen beschwerlichen Wegen dazu gelangt. Der von ihnen entdeckte neue, anmuthigere Weg war das, was ihre Schule von andern Schulen unterschied.</p>
        <p>Eben so ist es mit der Bachischen Schule beschaffen. Ihr Urheber irrte lange umher, mußte erst ein Alter von mehr als 30 Jahren erreichen, und durch stete Anstrengungen an Kräften immer mehr wachsen, ehe er alle Schwierigkeiten und Hindernisse
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0047] Dieß ist das Wichtigste von Bachs Werken für den Gesang. Für die kleinere, der geselligen Unterhaltung gewidmete Kunst hat er nichts, wenigstens gewiß nicht viel gethan, ein so geselliger und freundlicher Mann er auch sonst war. So soll er z.B. nie ein Lied gemacht haben. Dazu bedurfte es aber auch seiner nicht. Diese kleinen lieblichen Kunstblümchen werden deswegen doch nie ausgehen; die Natur treibt sie allenfalls auch ohne besondere Pflege von selbst hervor. VII. Es giebt manche gute Componisten und geschickte Virtuosen für alle Instrumente, welche nicht im Stande sind, das, was sie wissen oder können, andere zu lehren. Sie haben mit der Uebung, durch welche ihre natürlichen Anlagen entwickelt wurden, entweder nicht hinlängliche Aufmerksamkeit verbunden, oder sie sind durch guten Unterricht auf dem geradesten Wege zu einem gewissen Ziel geführt worden, und haben das Nachdenken über die Ursachen, warum etwas so und nicht anders gemacht werden müsse, ihren Lehrern überlassen. Wenn solche Künstler wirklich gut unterrichtet sind, so kann ihre Ausübung für Anfänger lehrreich werden, aber unterrichten können sie eigentlich nicht. Der mühsame Weg des Selbstunterrichts, auf welchem sich der Lehrling tausendmahl verirrt, ehe er das Ziel entdeckt oder erreicht, ist vielleicht der einzige, der einen vollkommen guten Lehrer hervor bringen kann. Die öftern fruchtlosen Versuche und Verirrungen machen nach und nach mit dem ganzen Kunstgebieth bekannt, und jedes Hinderniß des Fortkommens wird entdeckt und vermeiden gelernt. Freylich ist dieser Weg der längere; wer aber Kraft in sich hat, wird ihn dennoch vollenden, und zum Lohn seiner Anstrengungen sein Ziel auf einem desto anmuthigern Weg finden lernen. Alle diejenigen, welche je eine eigene Schule in der Musik gestiftet haben, sind auf solchen beschwerlichen Wegen dazu gelangt. Der von ihnen entdeckte neue, anmuthigere Weg war das, was ihre Schule von andern Schulen unterschied. Eben so ist es mit der Bachischen Schule beschaffen. Ihr Urheber irrte lange umher, mußte erst ein Alter von mehr als 30 Jahren erreichen, und durch stete Anstrengungen an Kräften immer mehr wachsen, ehe er alle Schwierigkeiten und Hindernisse

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-04T13:34:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T13:34:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T13:34:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/47
Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/47>, abgerufen am 21.11.2024.