oder Krocket gespielt hatte, war ihr's ganz aus dem Sinn gekommen, überhaupt verheiratet zu sein. Das waren dann glückliche Viertelstunden gewesen. Am liebsten aber hatte sie wie früher auf dem durch die Luft fliegenden Schaukelbrett gestanden, und in dem Gefühle: ,jetzt stürz' ich', etwas eigentümlich prickeln¬ des, einen Schauer süßer Gefahr empfunden. Sprang sie dann schließlich von der Schaukel ab, so be¬ gleitete sie die beiden Mädchen bis an die Bank vor dem Schulhause und erzählte, wenn sie da saßen, dem alsbald hinzukommenden alten Jahnke von ihrem Leben in Kessin, das halb hanseatisch und halb skandinavisch und jedenfalls sehr anders als in Schwantikow und Hohen-Cremmen sei.
Das waren so die täglichen kleinen Zerstreuungen, an die sich gelegentlich auch Fahrten in das sommer¬ liche Luch schlossen, meist im Jagdwagen; allem voran aber standen für Effi doch die Plaudereien, die sie beinahe jeden Morgen mit der Mama hatte. Sie saßen dann oben in der luftigen, großen Stube, Roswitha wiegte das Kind und sang in einem thüringischen Platt allerlei Wiegenlieder, die niemand recht verstand, vielleicht sie selber nicht; Effi und Frau von Briest aber rückten ans offene Fenster und sahen, während sie sprachen, auf den Park hin¬ unter, auf die Sonnenuhr oder auf die Libellen, die
Effi Brieſt
oder Krocket geſpielt hatte, war ihr's ganz aus dem Sinn gekommen, überhaupt verheiratet zu ſein. Das waren dann glückliche Viertelſtunden geweſen. Am liebſten aber hatte ſie wie früher auf dem durch die Luft fliegenden Schaukelbrett geſtanden, und in dem Gefühle: ,jetzt ſtürz' ich', etwas eigentümlich prickeln¬ des, einen Schauer ſüßer Gefahr empfunden. Sprang ſie dann ſchließlich von der Schaukel ab, ſo be¬ gleitete ſie die beiden Mädchen bis an die Bank vor dem Schulhauſe und erzählte, wenn ſie da ſaßen, dem alsbald hinzukommenden alten Jahnke von ihrem Leben in Keſſin, das halb hanſeatiſch und halb ſkandinaviſch und jedenfalls ſehr anders als in Schwantikow und Hohen-Cremmen ſei.
Das waren ſo die täglichen kleinen Zerſtreuungen, an die ſich gelegentlich auch Fahrten in das ſommer¬ liche Luch ſchloſſen, meiſt im Jagdwagen; allem voran aber ſtanden für Effi doch die Plaudereien, die ſie beinahe jeden Morgen mit der Mama hatte. Sie ſaßen dann oben in der luftigen, großen Stube, Roswitha wiegte das Kind und ſang in einem thüringiſchen Platt allerlei Wiegenlieder, die niemand recht verſtand, vielleicht ſie ſelber nicht; Effi und Frau von Brieſt aber rückten ans offene Fenſter und ſahen, während ſie ſprachen, auf den Park hin¬ unter, auf die Sonnenuhr oder auf die Libellen, die
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0212"n="203"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> oder Krocket geſpielt hatte, war ihr's ganz aus dem<lb/>
Sinn gekommen, überhaupt verheiratet zu ſein. Das<lb/>
waren dann glückliche Viertelſtunden geweſen. Am<lb/>
liebſten aber hatte ſie wie früher auf dem durch die<lb/>
Luft fliegenden Schaukelbrett geſtanden, und in dem<lb/>
Gefühle: ,jetzt ſtürz' ich', etwas eigentümlich prickeln¬<lb/>
des, einen Schauer ſüßer Gefahr empfunden. Sprang<lb/>ſie dann ſchließlich von der Schaukel ab, ſo be¬<lb/>
gleitete ſie die beiden Mädchen bis an die Bank vor<lb/>
dem Schulhauſe und erzählte, wenn ſie da ſaßen,<lb/>
dem alsbald hinzukommenden alten Jahnke von ihrem<lb/>
Leben in Keſſin, das halb hanſeatiſch und halb<lb/>ſkandinaviſch und jedenfalls ſehr anders als in<lb/>
Schwantikow und Hohen-Cremmen ſei.</p><lb/><p>Das waren ſo die täglichen kleinen Zerſtreuungen,<lb/>
an die ſich gelegentlich auch Fahrten in das ſommer¬<lb/>
liche Luch ſchloſſen, meiſt im Jagdwagen; allem<lb/>
voran aber ſtanden für Effi doch die Plaudereien,<lb/>
die ſie beinahe jeden Morgen mit der Mama hatte.<lb/>
Sie ſaßen dann oben in der luftigen, großen Stube,<lb/>
Roswitha wiegte das Kind und ſang in einem<lb/>
thüringiſchen Platt allerlei Wiegenlieder, die niemand<lb/>
recht verſtand, vielleicht ſie ſelber nicht; Effi und<lb/>
Frau von Brieſt aber rückten ans offene Fenſter<lb/>
und ſahen, während ſie ſprachen, auf den Park hin¬<lb/>
unter, auf die Sonnenuhr oder auf die Libellen, die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[203/0212]
Effi Brieſt
oder Krocket geſpielt hatte, war ihr's ganz aus dem
Sinn gekommen, überhaupt verheiratet zu ſein. Das
waren dann glückliche Viertelſtunden geweſen. Am
liebſten aber hatte ſie wie früher auf dem durch die
Luft fliegenden Schaukelbrett geſtanden, und in dem
Gefühle: ,jetzt ſtürz' ich', etwas eigentümlich prickeln¬
des, einen Schauer ſüßer Gefahr empfunden. Sprang
ſie dann ſchließlich von der Schaukel ab, ſo be¬
gleitete ſie die beiden Mädchen bis an die Bank vor
dem Schulhauſe und erzählte, wenn ſie da ſaßen,
dem alsbald hinzukommenden alten Jahnke von ihrem
Leben in Keſſin, das halb hanſeatiſch und halb
ſkandinaviſch und jedenfalls ſehr anders als in
Schwantikow und Hohen-Cremmen ſei.
Das waren ſo die täglichen kleinen Zerſtreuungen,
an die ſich gelegentlich auch Fahrten in das ſommer¬
liche Luch ſchloſſen, meiſt im Jagdwagen; allem
voran aber ſtanden für Effi doch die Plaudereien,
die ſie beinahe jeden Morgen mit der Mama hatte.
Sie ſaßen dann oben in der luftigen, großen Stube,
Roswitha wiegte das Kind und ſang in einem
thüringiſchen Platt allerlei Wiegenlieder, die niemand
recht verſtand, vielleicht ſie ſelber nicht; Effi und
Frau von Brieſt aber rückten ans offene Fenſter
und ſahen, während ſie ſprachen, auf den Park hin¬
unter, auf die Sonnenuhr oder auf die Libellen, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/212>, abgerufen am 26.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.