zeit und die lange Reihe der Toaste mit dem Jubelhymnus abschloß:
Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einem Störe, Es lebe Lehrer Klingestein, der Cantor der Cantöre.
4. In Käthner Post's Garten.
Es war inzwischen Nachmittag geworden und wir schickten uns zur Weiterfahrt an. Noch viel war zu sehen: Die Dörfer Burg und Leipe, und in der Nähe des ersteren ein Stück Hügel- land, darauf das Schloß des letzten Wendenkönigs gestanden haben soll.
Die Kanäle vor und neben uns wurden immer flacher und seichter, endlich saßen wir fest. "Es geht nicht", murmelte Boot- führer Birkig. "Es muß gehn", erwiderte der Cantor wie Blücher auf dem Marsche nach Waterloo. Und siehe da, es ging.
Aber nicht auf lange, die Richtung war uns verloren ge- gangen, und wir wären mit unserem "frisch Wasser unterm Kiel" um nichts gebessert gewesen, wenn nicht der Cantor -- unser Columbus jetzt -- unerschütterlich gegen Westen gezeigt und einer beinah meuternden Mannschaft gegenüber auf seinem Willen be- standen hätte. Zwar war es zunächst ein allerschlimmster Platz, an den wir gelangten, ein Wasser-Kreuzweg von dem aus Kanälchen und kleine Flußarme nach den verschiedensten Seiten hin abzweigten, aber dieser Moment äußerster Noth und Verwirrung bezeichnete doch auch zugleich den Moment unserer Rettung. Just an der Stelle wo zwei Flußarme fast in spitzem Winkel einander be- rührten, stand ein Bauern- oder Käthnerhaus, dessen weißge- tünchtes Fachwerk aus Geisblatt und Fischernetzen freundlich hervorblickte, während sich uns in Front des Hauses, in einem halb ans Ufer gezogenen Kahn, ein streng und doch zugleich auch freundlich aussehender Mann präsentirte, der, von eben diesem Kahn aus, dem Treiben seiner im Flusse badenden und nach allen Seiten hin jubelnd umherplätschernden Kinder zusah. Es
zeit und die lange Reihe der Toaſte mit dem Jubelhymnus abſchloß:
Die Leber iſt von einem Hecht und nicht von einem Störe, Es lebe Lehrer Klingeſtein, der Cantor der Cantöre.
4. In Käthner Poſt’s Garten.
Es war inzwiſchen Nachmittag geworden und wir ſchickten uns zur Weiterfahrt an. Noch viel war zu ſehen: Die Dörfer Burg und Leipe, und in der Nähe des erſteren ein Stück Hügel- land, darauf das Schloß des letzten Wendenkönigs geſtanden haben ſoll.
Die Kanäle vor und neben uns wurden immer flacher und ſeichter, endlich ſaßen wir feſt. „Es geht nicht“, murmelte Boot- führer Birkig. „Es muß gehn“, erwiderte der Cantor wie Blücher auf dem Marſche nach Waterloo. Und ſiehe da, es ging.
Aber nicht auf lange, die Richtung war uns verloren ge- gangen, und wir wären mit unſerem „friſch Waſſer unterm Kiel“ um nichts gebeſſert geweſen, wenn nicht der Cantor — unſer Columbus jetzt — unerſchütterlich gegen Weſten gezeigt und einer beinah meuternden Mannſchaft gegenüber auf ſeinem Willen be- ſtanden hätte. Zwar war es zunächſt ein allerſchlimmſter Platz, an den wir gelangten, ein Waſſer-Kreuzweg von dem aus Kanälchen und kleine Flußarme nach den verſchiedenſten Seiten hin abzweigten, aber dieſer Moment äußerſter Noth und Verwirrung bezeichnete doch auch zugleich den Moment unſerer Rettung. Juſt an der Stelle wo zwei Flußarme faſt in ſpitzem Winkel einander be- rührten, ſtand ein Bauern- oder Käthnerhaus, deſſen weißge- tünchtes Fachwerk aus Geisblatt und Fiſchernetzen freundlich hervorblickte, während ſich uns in Front des Hauſes, in einem halb ans Ufer gezogenen Kahn, ein ſtreng und doch zugleich auch freundlich ausſehender Mann präſentirte, der, von eben dieſem Kahn aus, dem Treiben ſeiner im Fluſſe badenden und nach allen Seiten hin jubelnd umherplätſchernden Kinder zuſah. Es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0027"n="11"/>
zeit und die lange Reihe der Toaſte mit dem Jubelhymnus<lb/>
abſchloß:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Die Leber iſt von einem Hecht und nicht von einem Störe,</l><lb/><l>Es lebe Lehrer Klingeſtein, der Cantor der Cantöre.</l></lg></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head>4.<lb/><hirendition="#g">In Käthner Poſt’s Garten</hi>.</head><lb/><p>Es war inzwiſchen Nachmittag geworden und wir ſchickten<lb/>
uns zur Weiterfahrt an. Noch viel war zu ſehen: Die Dörfer<lb/>
Burg und Leipe, und in der Nähe des erſteren ein Stück Hügel-<lb/>
land, darauf das Schloß des letzten Wendenkönigs geſtanden<lb/>
haben ſoll.</p><lb/><p>Die Kanäle vor und neben uns wurden immer flacher und<lb/>ſeichter, endlich ſaßen wir feſt. „Es geht nicht“, murmelte Boot-<lb/>
führer Birkig. „Es <hirendition="#g">muß</hi> gehn“, erwiderte der Cantor wie Blücher<lb/>
auf dem Marſche nach Waterloo. Und ſiehe da, es ging.</p><lb/><p>Aber nicht auf lange, die Richtung war uns verloren ge-<lb/>
gangen, und wir wären mit unſerem „friſch Waſſer unterm Kiel“<lb/>
um nichts gebeſſert geweſen, wenn nicht der Cantor — unſer<lb/>
Columbus jetzt — unerſchütterlich gegen Weſten gezeigt und einer<lb/>
beinah meuternden Mannſchaft gegenüber auf ſeinem Willen be-<lb/>ſtanden hätte. Zwar war es zunächſt ein allerſchlimmſter Platz,<lb/>
an den wir gelangten, ein Waſſer-Kreuzweg von dem aus Kanälchen<lb/>
und kleine Flußarme nach den verſchiedenſten Seiten hin abzweigten,<lb/>
aber dieſer Moment äußerſter Noth und Verwirrung bezeichnete<lb/>
doch auch zugleich den Moment unſerer Rettung. Juſt an der<lb/>
Stelle wo zwei Flußarme faſt in ſpitzem Winkel einander be-<lb/>
rührten, ſtand ein Bauern- oder Käthnerhaus, deſſen weißge-<lb/>
tünchtes Fachwerk aus Geisblatt und Fiſchernetzen freundlich<lb/>
hervorblickte, während ſich uns in Front des Hauſes, in einem<lb/>
halb ans Ufer gezogenen Kahn, ein ſtreng und doch zugleich auch<lb/>
freundlich ausſehender Mann präſentirte, der, von eben dieſem<lb/>
Kahn aus, dem Treiben ſeiner im Fluſſe badenden und nach<lb/>
allen Seiten hin jubelnd umherplätſchernden Kinder zuſah. Es<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[11/0027]
zeit und die lange Reihe der Toaſte mit dem Jubelhymnus
abſchloß:
Die Leber iſt von einem Hecht und nicht von einem Störe,
Es lebe Lehrer Klingeſtein, der Cantor der Cantöre.
4.
In Käthner Poſt’s Garten.
Es war inzwiſchen Nachmittag geworden und wir ſchickten
uns zur Weiterfahrt an. Noch viel war zu ſehen: Die Dörfer
Burg und Leipe, und in der Nähe des erſteren ein Stück Hügel-
land, darauf das Schloß des letzten Wendenkönigs geſtanden
haben ſoll.
Die Kanäle vor und neben uns wurden immer flacher und
ſeichter, endlich ſaßen wir feſt. „Es geht nicht“, murmelte Boot-
führer Birkig. „Es muß gehn“, erwiderte der Cantor wie Blücher
auf dem Marſche nach Waterloo. Und ſiehe da, es ging.
Aber nicht auf lange, die Richtung war uns verloren ge-
gangen, und wir wären mit unſerem „friſch Waſſer unterm Kiel“
um nichts gebeſſert geweſen, wenn nicht der Cantor — unſer
Columbus jetzt — unerſchütterlich gegen Weſten gezeigt und einer
beinah meuternden Mannſchaft gegenüber auf ſeinem Willen be-
ſtanden hätte. Zwar war es zunächſt ein allerſchlimmſter Platz,
an den wir gelangten, ein Waſſer-Kreuzweg von dem aus Kanälchen
und kleine Flußarme nach den verſchiedenſten Seiten hin abzweigten,
aber dieſer Moment äußerſter Noth und Verwirrung bezeichnete
doch auch zugleich den Moment unſerer Rettung. Juſt an der
Stelle wo zwei Flußarme faſt in ſpitzem Winkel einander be-
rührten, ſtand ein Bauern- oder Käthnerhaus, deſſen weißge-
tünchtes Fachwerk aus Geisblatt und Fiſchernetzen freundlich
hervorblickte, während ſich uns in Front des Hauſes, in einem
halb ans Ufer gezogenen Kahn, ein ſtreng und doch zugleich auch
freundlich ausſehender Mann präſentirte, der, von eben dieſem
Kahn aus, dem Treiben ſeiner im Fluſſe badenden und nach
allen Seiten hin jubelnd umherplätſchernden Kinder zuſah. Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/27>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.