Man sieht noch am zerhaunen Stumpf, Wie mächtig war die Eiche. Uhland.
Diese Erzählung konnte nicht umhin uns leise daran zu mahnen, daß wir noch einen Theil unserer Wanderung vor uns hätten, ein letztes Drittel, einen Schlußabschnitt, den es auf alle Fälle gut sei hinter sich zu haben, um so mehr als das sich ansammelnde, grelldurchleuchtete Gewölk am Himmel das Einbrechen eines Brieselang-Gewitters nicht geradezu unwahr- scheinlich machte.
Ein Wind machte sich auf, das Gewölk zerstreute sich wie- der, die Schwüle ließ nach; so ging es vorwärts. Als wir den entgegengesetzten Waldrand nahezu erreicht hatten, nahm unser Führer die Tete und brach mit dem Kommando "halb rechts" in das Unterholz der Butenhaide ein. Es schien undurchdring- liches Gestrüpp, bald aber lichtete sich's wieder und in eine breite, durch den Forst gehauene Avenue tretend, hatten wir die Königs- eiche auf etwa 300 Schritt vor uns. Wir ließen sie zunächst als ein Ganzes auf uns wirken. Sie steht da, wie ein Riesen- Skelett, mit gen Himmel gehobenen Händen. Die Avenue hat ganz den Charakter eines feierlichen Aufgangs, einer Trauer- Allee, die zu einem Denkmal oder Mausoleum führt. Erst ein Weißbuchen-, dann immer schmaler werdend ein Weißdorn- Spalier, bis die Avenue in einen tannenumstellten Kreis mün- det, aus dessen Mitte die "Königs-Eiche" aufsteigt.
Sie führt ihren Namen mit Recht. Es ist ein majestäti- scher Baum, 8 Fuß Durchmesser, 80 bis 100 Fuß hoch; man
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3. Die Königseiche.
Man ſieht noch am zerhaunen Stumpf, Wie mächtig war die Eiche. Uhland.
Dieſe Erzählung konnte nicht umhin uns leiſe daran zu mahnen, daß wir noch einen Theil unſerer Wanderung vor uns hätten, ein letztes Drittel, einen Schlußabſchnitt, den es auf alle Fälle gut ſei hinter ſich zu haben, um ſo mehr als das ſich anſammelnde, grelldurchleuchtete Gewölk am Himmel das Einbrechen eines Brieſelang-Gewitters nicht geradezu unwahr- ſcheinlich machte.
Ein Wind machte ſich auf, das Gewölk zerſtreute ſich wie- der, die Schwüle ließ nach; ſo ging es vorwärts. Als wir den entgegengeſetzten Waldrand nahezu erreicht hatten, nahm unſer Führer die Tete und brach mit dem Kommando „halb rechts“ in das Unterholz der Butenhaide ein. Es ſchien undurchdring- liches Geſtrüpp, bald aber lichtete ſich’s wieder und in eine breite, durch den Forſt gehauene Avenue tretend, hatten wir die Königs- eiche auf etwa 300 Schritt vor uns. Wir ließen ſie zunächſt als ein Ganzes auf uns wirken. Sie ſteht da, wie ein Rieſen- Skelett, mit gen Himmel gehobenen Händen. Die Avenue hat ganz den Charakter eines feierlichen Aufgangs, einer Trauer- Allee, die zu einem Denkmal oder Mauſoleum führt. Erſt ein Weißbuchen-, dann immer ſchmaler werdend ein Weißdorn- Spalier, bis die Avenue in einen tannenumſtellten Kreis mün- det, aus deſſen Mitte die „Königs-Eiche“ aufſteigt.
Sie führt ihren Namen mit Recht. Es iſt ein majeſtäti- ſcher Baum, 8 Fuß Durchmeſſer, 80 bis 100 Fuß hoch; man
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[[51]/0069]
3.
Die Königseiche.
Man ſieht noch am zerhaunen Stumpf,
Wie mächtig war die Eiche.
Uhland.
Dieſe Erzählung konnte nicht umhin uns leiſe daran zu mahnen,
daß wir noch einen Theil unſerer Wanderung vor uns hätten,
ein letztes Drittel, einen Schlußabſchnitt, den es auf alle
Fälle gut ſei hinter ſich zu haben, um ſo mehr als das
ſich anſammelnde, grelldurchleuchtete Gewölk am Himmel das
Einbrechen eines Brieſelang-Gewitters nicht geradezu unwahr-
ſcheinlich machte.
Ein Wind machte ſich auf, das Gewölk zerſtreute ſich wie-
der, die Schwüle ließ nach; ſo ging es vorwärts. Als wir den
entgegengeſetzten Waldrand nahezu erreicht hatten, nahm unſer
Führer die Tete und brach mit dem Kommando „halb rechts“
in das Unterholz der Butenhaide ein. Es ſchien undurchdring-
liches Geſtrüpp, bald aber lichtete ſich’s wieder und in eine breite,
durch den Forſt gehauene Avenue tretend, hatten wir die Königs-
eiche auf etwa 300 Schritt vor uns. Wir ließen ſie zunächſt
als ein Ganzes auf uns wirken. Sie ſteht da, wie ein Rieſen-
Skelett, mit gen Himmel gehobenen Händen. Die Avenue hat
ganz den Charakter eines feierlichen Aufgangs, einer Trauer-
Allee, die zu einem Denkmal oder Mauſoleum führt. Erſt ein
Weißbuchen-, dann immer ſchmaler werdend ein Weißdorn-
Spalier, bis die Avenue in einen tannenumſtellten Kreis mün-
det, aus deſſen Mitte die „Königs-Eiche“ aufſteigt.
Sie führt ihren Namen mit Recht. Es iſt ein majeſtäti-
ſcher Baum, 8 Fuß Durchmeſſer, 80 bis 100 Fuß hoch; man
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. [51]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/69>, abgerufen am 21.11.2024.
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