In trotzigem Muth, Gastfrei und gut, Haben für ihre Götter und Sitten Sie wie die Märtyrer gelitten.
Nachdem wir bis hierher die äußere Erscheinung betont und die Frage zu beantworten gesucht haben: wie sahen die alten Wenden aus? wie wohnten sie? wie beschäftigten und wie kleideten sie sich, wenden wir uns in Folgendem mehr ihrem geistigen Leben zu, der Frage: wie war ihr Charakter, ihre geistige Begabung, ihr Rechtssinn, ihre Religiosität.
Die Wenden haben uns leider kein einziges Schriftstück (wahrscheinlich hatten sie nichts derart) hinterlassen, das uns als Anhaltepunkt dienen könnte, um danach die Schilderungen, die uns ihre bittern Feinde, die Deutschen, von ihnen entworfen haben, nöthigenfalls zu corrigiren. Wir hören eben nur eine Partei sprechen, dennoch sind auch diese Schilderungen ihrer Gegner nicht eigentlich dazu angethan, uns mit Abneigung gegen den Charakter der Wenden zu erfüllen. Wir begegnen mehr liebenswürdigen als häßlichen Zügen, und wo wir diese häß- lichen Züge treffen, ist es gemeinhin unschwer zu erkennen, woraus diese Häßlichkeiten hervorgingen. Meist waren es Re- pressalien, Regungen der Menschennatur überhaupt, nicht einer spezifisch bösen Menschennatur.
Zwei Tugenden werden den Wenden von allen deutschen Chronikenschreibern jener Epoche (Widukin, Thietmar, Adam von
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3. Charakter. Begabung. Cultus.
In trotzigem Muth, Gaſtfrei und gut, Haben für ihre Götter und Sitten Sie wie die Märtyrer gelitten.
Nachdem wir bis hierher die äußere Erſcheinung betont und die Frage zu beantworten geſucht haben: wie ſahen die alten Wenden aus? wie wohnten ſie? wie beſchäftigten und wie kleideten ſie ſich, wenden wir uns in Folgendem mehr ihrem geiſtigen Leben zu, der Frage: wie war ihr Charakter, ihre geiſtige Begabung, ihr Rechtsſinn, ihre Religioſität.
Die Wenden haben uns leider kein einziges Schriftſtück (wahrſcheinlich hatten ſie nichts derart) hinterlaſſen, das uns als Anhaltepunkt dienen könnte, um danach die Schilderungen, die uns ihre bittern Feinde, die Deutſchen, von ihnen entworfen haben, nöthigenfalls zu corrigiren. Wir hören eben nur eine Partei ſprechen, dennoch ſind auch dieſe Schilderungen ihrer Gegner nicht eigentlich dazu angethan, uns mit Abneigung gegen den Charakter der Wenden zu erfüllen. Wir begegnen mehr liebenswürdigen als häßlichen Zügen, und wo wir dieſe häß- lichen Züge treffen, iſt es gemeinhin unſchwer zu erkennen, woraus dieſe Häßlichkeiten hervorgingen. Meiſt waren es Re- preſſalien, Regungen der Menſchennatur überhaupt, nicht einer ſpezifiſch böſen Menſchennatur.
Zwei Tugenden werden den Wenden von allen deutſchen Chronikenſchreibern jener Epoche (Widukin, Thietmar, Adam von
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3.
Charakter. Begabung. Cultus.
In trotzigem Muth,
Gaſtfrei und gut,
Haben für ihre Götter und Sitten
Sie wie die Märtyrer gelitten.
Nachdem wir bis hierher die äußere Erſcheinung betont
und die Frage zu beantworten geſucht haben: wie ſahen die alten
Wenden aus? wie wohnten ſie? wie beſchäftigten und wie
kleideten ſie ſich, wenden wir uns in Folgendem mehr ihrem
geiſtigen Leben zu, der Frage: wie war ihr Charakter, ihre
geiſtige Begabung, ihr Rechtsſinn, ihre Religioſität.
Die Wenden haben uns leider kein einziges Schriftſtück
(wahrſcheinlich hatten ſie nichts derart) hinterlaſſen, das uns als
Anhaltepunkt dienen könnte, um danach die Schilderungen, die
uns ihre bittern Feinde, die Deutſchen, von ihnen entworfen
haben, nöthigenfalls zu corrigiren. Wir hören eben nur eine
Partei ſprechen, dennoch ſind auch dieſe Schilderungen ihrer
Gegner nicht eigentlich dazu angethan, uns mit Abneigung gegen
den Charakter der Wenden zu erfüllen. Wir begegnen mehr
liebenswürdigen als häßlichen Zügen, und wo wir dieſe häß-
lichen Züge treffen, iſt es gemeinhin unſchwer zu erkennen,
woraus dieſe Häßlichkeiten hervorgingen. Meiſt waren es Re-
preſſalien, Regungen der Menſchennatur überhaupt, nicht einer
ſpezifiſch böſen Menſchennatur.
Zwei Tugenden werden den Wenden von allen deutſchen
Chronikenſchreibern jener Epoche (Widukin, Thietmar, Adam von
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. [19]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/37>, abgerufen am 21.11.2024.
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