Sie spinnen, Haben Linnen, Sie regeln Den Fluß und das Wehr, Und mit Schiffen und Segeln Sind sie zu Hause auf offnem Meer.
Die Frage ist oft aufgeworfen worden, ob die Wenden wirk- lich auf einer viel niedrigeren Stufe als die vordringenden Deutschen gestanden hätten, und diese Frage ist nicht immer mit einem bestimmten "Ja" beantwortet worden. Sehr wahr- scheinlich war die Superiorität der Deutschen, die man schließ- lich wird zugeben müssen, weniger groß, als deutscherseits vielfach behauptet worden ist.
Die Wenden, um mit ihrer Wohnung zu beginnen, hausten keineswegs (wie ein mir vorliegender Stich sie darstellt) in ver- pallisadirten Erdhöhlen, um sich gleichzeitig gegen Wetter und Wölfe zu schützen; sie hatten Bauten mannigfacher Art, die mehr oder weniger wirklichen Häusern entsprachen. Daß von ihren Gebäuden, öffentlichen und privaten, kein einziges bestimmt nachweisbar auf uns gekommen ist, könnte dafür sprechen, daß diese Bauten von einer inferioren Beschaffenheit gewesen wären; wir dürfen aber nicht vergessen, daß die siegreichen Deutschen natürlich alle hervorragenden Gebäude (die sämmtlich Tempel oder Vesten waren), sei es aus Rache oder sei es zu eigner Sicherheit, zerstörten, während die schlichten Häuser und Hütten
2. Lebensweiſe. Sitten. Tracht.
Sie ſpinnen, Haben Linnen, Sie regeln Den Fluß und das Wehr, Und mit Schiffen und Segeln Sind ſie zu Hauſe auf offnem Meer.
Die Frage iſt oft aufgeworfen worden, ob die Wenden wirk- lich auf einer viel niedrigeren Stufe als die vordringenden Deutſchen geſtanden hätten, und dieſe Frage iſt nicht immer mit einem beſtimmten „Ja“ beantwortet worden. Sehr wahr- ſcheinlich war die Superiorität der Deutſchen, die man ſchließ- lich wird zugeben müſſen, weniger groß, als deutſcherſeits vielfach behauptet worden iſt.
Die Wenden, um mit ihrer Wohnung zu beginnen, hauſten keineswegs (wie ein mir vorliegender Stich ſie darſtellt) in ver- palliſadirten Erdhöhlen, um ſich gleichzeitig gegen Wetter und Wölfe zu ſchützen; ſie hatten Bauten mannigfacher Art, die mehr oder weniger wirklichen Häuſern entſprachen. Daß von ihren Gebäuden, öffentlichen und privaten, kein einziges beſtimmt nachweisbar auf uns gekommen iſt, könnte dafür ſprechen, daß dieſe Bauten von einer inferioren Beſchaffenheit geweſen wären; wir dürfen aber nicht vergeſſen, daß die ſiegreichen Deutſchen natürlich alle hervorragenden Gebäude (die ſämmtlich Tempel oder Veſten waren), ſei es aus Rache oder ſei es zu eigner Sicherheit, zerſtörten, während die ſchlichten Häuſer und Hütten
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0031"n="[13]"/><divn="2"><head>2.<lb/><hirendition="#g">Lebensweiſe. Sitten. Tracht</hi>.</head><lb/><lgtype="poem"><l>Sie ſpinnen,</l><lb/><l>Haben Linnen,</l><lb/><l>Sie regeln</l><lb/><l>Den Fluß und das Wehr,</l><lb/><l>Und mit Schiffen und Segeln</l><lb/><l>Sind ſie zu Hauſe auf offnem Meer.</l></lg><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie Frage iſt oft aufgeworfen worden, ob die Wenden wirk-<lb/>
lich auf einer viel niedrigeren Stufe als die vordringenden<lb/>
Deutſchen geſtanden hätten, und dieſe Frage iſt nicht immer<lb/>
mit einem beſtimmten „Ja“ beantwortet worden. Sehr wahr-<lb/>ſcheinlich war die Superiorität der Deutſchen, die man ſchließ-<lb/>
lich wird zugeben müſſen, <hirendition="#g">weniger</hi> groß, als deutſcherſeits<lb/>
vielfach behauptet worden iſt.</p><lb/><p>Die Wenden, um mit ihrer Wohnung zu beginnen, hauſten<lb/>
keineswegs (wie ein mir vorliegender Stich ſie darſtellt) in ver-<lb/>
palliſadirten Erdhöhlen, um ſich gleichzeitig gegen Wetter und<lb/>
Wölfe zu ſchützen; ſie hatten Bauten mannigfacher Art, die<lb/>
mehr oder weniger wirklichen Häuſern entſprachen. Daß von<lb/>
ihren Gebäuden, öffentlichen und privaten, kein einziges beſtimmt<lb/>
nachweisbar auf uns gekommen iſt, könnte dafür ſprechen, daß<lb/>
dieſe Bauten von einer inferioren Beſchaffenheit geweſen wären;<lb/>
wir dürfen aber nicht vergeſſen, daß die ſiegreichen Deutſchen<lb/>
natürlich alle hervorragenden Gebäude (die ſämmtlich Tempel<lb/>
oder Veſten waren), ſei es aus Rache oder ſei es zu eigner<lb/>
Sicherheit, zerſtörten, während die ſchlichten Häuſer und Hütten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[13]/0031]
2.
Lebensweiſe. Sitten. Tracht.
Sie ſpinnen,
Haben Linnen,
Sie regeln
Den Fluß und das Wehr,
Und mit Schiffen und Segeln
Sind ſie zu Hauſe auf offnem Meer.
Die Frage iſt oft aufgeworfen worden, ob die Wenden wirk-
lich auf einer viel niedrigeren Stufe als die vordringenden
Deutſchen geſtanden hätten, und dieſe Frage iſt nicht immer
mit einem beſtimmten „Ja“ beantwortet worden. Sehr wahr-
ſcheinlich war die Superiorität der Deutſchen, die man ſchließ-
lich wird zugeben müſſen, weniger groß, als deutſcherſeits
vielfach behauptet worden iſt.
Die Wenden, um mit ihrer Wohnung zu beginnen, hauſten
keineswegs (wie ein mir vorliegender Stich ſie darſtellt) in ver-
palliſadirten Erdhöhlen, um ſich gleichzeitig gegen Wetter und
Wölfe zu ſchützen; ſie hatten Bauten mannigfacher Art, die
mehr oder weniger wirklichen Häuſern entſprachen. Daß von
ihren Gebäuden, öffentlichen und privaten, kein einziges beſtimmt
nachweisbar auf uns gekommen iſt, könnte dafür ſprechen, daß
dieſe Bauten von einer inferioren Beſchaffenheit geweſen wären;
wir dürfen aber nicht vergeſſen, daß die ſiegreichen Deutſchen
natürlich alle hervorragenden Gebäude (die ſämmtlich Tempel
oder Veſten waren), ſei es aus Rache oder ſei es zu eigner
Sicherheit, zerſtörten, während die ſchlichten Häuſer und Hütten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. [13]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/31>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.