Der Ruppiner See, der genau die Form eines halben Mondes hat, scheidet sich seinen Ufern nach in zwei sehr verschiedene Hälften. Die nördliche Hälfte ist sandig und unfruchtbar, und, die hübsch gelegenen Städte Alt- und Neu-Ruppin abgerechnet, ohne allen malerischen Reiz; die Südhälfte aber ist theils angebaut, theils bewaldet und seit alten Zeiten her von vier hübschen Dörfern ein- gefaßt. Das eine dieser Dörfer, Treskow geheißen, war bis vor Kurzem ein altes Kämmerei-Gut der Stadt Ruppin; die drei an- dern sind Rittergüter. Ihre Namen sind: Gnewkow, Carwe und Wustrau. Das erstere tritt aus dem Schilf- und Wald-Ufer am deutlichsten hervor und ist mit seinem Kirchthurm und Bauern- häusern eine besondere Zierde des See's. Es gehörte seit Jahr- hunderten der Familie von Woldeck. Jetzt ist es in andere Hände übergegangen. Der letzte v. Woldeck, der das Erbe seiner Väter inne hatte, war ein Lebemann und passionirter Tourist. Seine Excentricitäten hatten ihn in der Umgegend zu einer volksthüm- lichen Figur gemacht; er hieß kurzweg "der Seebaron." Das Wort war gut gewählt. Er hatte mit den alten "Seekönigen" den Wanderzug und die Abenteuer gemein.
Carwe gehört den Knesebeck's; Wustrau ist berühmt ge- worden als Wohnsitz des alten Zieten. Sein Sohn, der letzte Zieten, starb hier 1854 in hohem Alter.
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Wuſtrau.
Da liegen wir zwei Beide Bis zum Appell im Grab.
Der Ruppiner See, der genau die Form eines halben Mondes hat, ſcheidet ſich ſeinen Ufern nach in zwei ſehr verſchiedene Hälften. Die nördliche Hälfte iſt ſandig und unfruchtbar, und, die hübſch gelegenen Städte Alt- und Neu-Ruppin abgerechnet, ohne allen maleriſchen Reiz; die Südhälfte aber iſt theils angebaut, theils bewaldet und ſeit alten Zeiten her von vier hübſchen Dörfern ein- gefaßt. Das eine dieſer Dörfer, Treskow geheißen, war bis vor Kurzem ein altes Kämmerei-Gut der Stadt Ruppin; die drei an- dern ſind Rittergüter. Ihre Namen ſind: Gnewkow, Carwe und Wuſtrau. Das erſtere tritt aus dem Schilf- und Wald-Ufer am deutlichſten hervor und iſt mit ſeinem Kirchthurm und Bauern- häuſern eine beſondere Zierde des See’s. Es gehörte ſeit Jahr- hunderten der Familie von Woldeck. Jetzt iſt es in andere Hände übergegangen. Der letzte v. Woldeck, der das Erbe ſeiner Väter inne hatte, war ein Lebemann und paſſionirter Touriſt. Seine Excentricitäten hatten ihn in der Umgegend zu einer volksthüm- lichen Figur gemacht; er hieß kurzweg „der Seebaron.“ Das Wort war gut gewählt. Er hatte mit den alten „Seekönigen“ den Wanderzug und die Abenteuer gemein.
Carwe gehört den Kneſebeck’s; Wuſtrau iſt berühmt ge- worden als Wohnſitz des alten Zieten. Sein Sohn, der letzte Zieten, ſtarb hier 1854 in hohem Alter.
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Wuſtrau.
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Bis zum Appell im Grab.
Der Ruppiner See, der genau die Form eines halben Mondes
hat, ſcheidet ſich ſeinen Ufern nach in zwei ſehr verſchiedene Hälften.
Die nördliche Hälfte iſt ſandig und unfruchtbar, und, die hübſch
gelegenen Städte Alt- und Neu-Ruppin abgerechnet, ohne allen
maleriſchen Reiz; die Südhälfte aber iſt theils angebaut, theils
bewaldet und ſeit alten Zeiten her von vier hübſchen Dörfern ein-
gefaßt. Das eine dieſer Dörfer, Treskow geheißen, war bis vor
Kurzem ein altes Kämmerei-Gut der Stadt Ruppin; die drei an-
dern ſind Rittergüter. Ihre Namen ſind: Gnewkow, Carwe
und Wuſtrau. Das erſtere tritt aus dem Schilf- und Wald-Ufer
am deutlichſten hervor und iſt mit ſeinem Kirchthurm und Bauern-
häuſern eine beſondere Zierde des See’s. Es gehörte ſeit Jahr-
hunderten der Familie von Woldeck. Jetzt iſt es in andere Hände
übergegangen. Der letzte v. Woldeck, der das Erbe ſeiner Väter
inne hatte, war ein Lebemann und paſſionirter Touriſt. Seine
Excentricitäten hatten ihn in der Umgegend zu einer volksthüm-
lichen Figur gemacht; er hieß kurzweg „der Seebaron.“ Das
Wort war gut gewählt. Er hatte mit den alten „Seekönigen“ den
Wanderzug und die Abenteuer gemein.
Carwe gehört den Kneſebeck’s; Wuſtrau iſt berühmt ge-
worden als Wohnſitz des alten Zieten. Sein Sohn, der letzte
Zieten, ſtarb hier 1854 in hohem Alter.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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