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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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"Was, was? Mit auf dem Kongreß?"

"Versteht sich. Und warum nicht?"

"Auf dem Kongreß also."

Und da habe der König von Preußen (denn Kolter sei ein geborner Preuße gewesen) zum Kaiser von Rußland gesagt: "Höre, Bruderherz, was Du von Deinem Stiglischeck auch sagen magst, Kolter ist doch besser, Parole d'honneur, Kolter ist der erste Springer der Welt, und was ihm auch passiren mag, er wird sich immer zu helfen wissen." Und als nun der Kaiser von Rußland das bestritten, da hätten sie gewettet, und wäre bloß die Bedingung gewesen, daß nichts vorher gesagt werden solle. Das hätten sie denn auch gehalten. Und als nun Kolter halb schon das zwischen zwei Thürmen ausgespannte Seil hinter sich gehabt habe, da sei mit einem Male, von der andern Seite her, ein andrer Seiltänzer auf ihn losgekommen, das sei Stiglischeck gewesen, und keine Minute mehr, so hätten sie sich gegenüber gestanden, und der Russe, was ihm auch Keiner verdenken könne, habe bloß gesagt: "Alles perdu, Bruder: Du verloren, ich verloren." Aber Kolter habe bloß gelacht und ihm was ins Ohr geflüstert, einige sagen einen frommen Spruch, andre aber sagen, es sei was Unanständiges gewesen, und sei dann mit großer Anstrengung und Geschicklichkeit zehn Schritte rückwärts gegangen, während der Andre sich niedergeduckt habe. Und nun habe Kolter einen Anlauf genommen und sei mit eins, zwei, drei über den Andern weggesprungen. Da sei denn furchtbares Beifallklatschen gewesen und Einige hätten laut geweint und immer wieder und wieder gesagt, "das sei mehr als Napoleon". Und der Kaiser von Rußland habe seine Wette verloren und auch wirklich bezahlt.

"Wird er wohl, wird er wohl," sagte Kunicke. "Der Russe bezahlt immer. Hat's ja ... Bravo, Hradscheck; bravo!"

So war Hradscheck mit Beifall belohnt worden und hatte von Viertelstunde zu Viertelstunde noch vieles Andre zum Besten gegeben, bis endlich um elf die Stammgäste das Haus verließen.



Ede war schon zu Bett geschickt und in dem weiten Hause herrschte Todesstille. Hradscheck schritt auf und ab in seiner Stube, mußte sich aber setzen, denn der Aufregungen dieses Tages waren doch so viele gewesen, daß er sich, trotz fester Nerven, einer Ohnmacht nahe fühlte. So lang er drüben Geschichten erzählt hatte, munterer und heiterer, so wenigstens schien es, als je zuvor, war kein Tropfen Wein über seine Lippen gekommen, jetzt aber nahm er Kognak und Wasser und fühlte, wie Kraft und Entschlossenheit ihm rasch wiederkehrten. Er ging auf das Schubfach zu, drin er das Kapselchen versteckt hatte, zog gleich danach seine Schuhe aus und pulverte von dem Farrnkrautsamen hinein.

"So!"

Und nun stand er wieder in seinen Schuhen und lachte.

"Will doch mal die Probe machen! Wenn ich jetzt unsichtbar bin, muß ich mich auch selber nicht sehen können."

Und das Licht zur Hand nehmend, trat er vor den schmalen Trumeau mit dem weißlackirten und mit dünnen Goldlinien eingefaßten Rahmen und sah hinein und nickte seinem Spiegelbilde zu. "Guten Tag, Abel Hradscheck. Wahrhaftig, wenn alles soviel hilft, wie der Farrnkrautsamen, so werd' ich nicht weit kommen und bloß noch das angenehme Gefühl haben, ein Narr gewesen zu sein und ein Dummkopf, den ein altes Weib genasführt hat. Die verdammte Hexe! Warum lebt sie? Wäre sie weg, so hätt' ich längst Ruh' und brauchte diesen Unsinn nicht. Und brauchte nicht ..." Ein Grusel überlief ihn, denn das Furchtbare, was er vorhatte, stand mit einem Male wieder vor seiner Seele. Rasch aber bezwang er sich. "Eins kommt aus dem Andern. Wer A sagt, muß B sagen."

Und als er so gesprochen und sich wieder zurecht gerückt hatte, ging er auf einen kleinen Eckschrank zu und nahm ein Laternchen heraus, das er sich schon vorher durch Ueberkleben mit Papier in eine Art Blendlaterne umgewandelt hatte. Die Alte drüben sollte den Lichtschimmer nicht wieder sehn und ihn nicht zum wievielsten Male mit ihrem "ick weet nich, Hradscheck, wihr et in de Stuw or wihr et in'n Keller" in Wuth und Verzweiflung bringen. Und nun zündete er das Licht an, knipste die Laternenthür wieder zu und trat rasch entschlossen auf den Flur hinaus. Was er brauchte, darunter auch ein Stück alter Teppich, aus langen Tuchstreifen geflochten, lag längst unten in Bereitschaft.

"Vorwärts, Hradscheck!"

Und zwischen den großen Oelfässern hin ging er bis an den Kellereingang, hob die Fallthür auf und stieg langsam und vorsichtig die Stufen hinunter. Als er aber unten war, sah er, daß die Laterne, trotz der angebrachten Verblendung, viel zuviel Licht gab und nach oben hin, wie aus einem Schlot, einen hellen Schein warf. Das durfte nicht sein, und so stieg er die Treppe wieder hinauf, blieb aber in halber Höhe stehn und griff bloß nach einem ihm in aller Bequemlichkeit zur Hand liegenden Brett, das hier an das nächstliegende Oelfaß herangeschoben war, um die ganze Reihe der Fässer am Rollen zu verhindern. Es war nur schmal und kaum mannsbreit, aber gerade breit genug, um unten das Kellerfenster zu schließen.

"Nun mag sie sich drüben die Augen auskucken. Meinetwegen. Durch ein Brett wird sie ja wohl nicht sehn können. Ein Brett ist besser als Farrnkrautsamen ..."

Und damit schloß er die Fallthür und stieg wieder die Stufen hinunter.



19.

Ede war früh auf und bediente seine Kunden. Dann und wann sah er auch nach der kleinen, im Nebenzimmer hängenden Uhr, die schon auf ein Viertel nach acht zeigte.

"Wo der Alte nur bleibt?"

Ede durfte die Frage schon thun, denn für gewöhnlich erschien Hradscheck mit dem Glockenschlage sieben, wünschte guten Morgen und öffnete die nach der Küche führende kleine Thür, was für die Köchin allemal das Zeichen war, daß sie den Kaffee bringen solle. Heut aber ließ sich kein Hradscheck sehn, und als es nah an neun heran war, steckte statt seiner nur Male den Kopf in den Laden hinein und sagte:

"Wo he man bliewt, Ede?"

"Weet nich."

"Jck will geihn un en beten an sine Dhör bullern."

"Joa, dat dhu man."

Und wirklich, Male ging, um ihn zu wecken. Aber sie kam in großer Aufregung wieder. "He is nich doa, nich in de Vör- un ook nich in de Hinner-Stuw. Allens open un keene Dhör to."

"Un sien Bett?" fragte Ede.

"Allens glatt un ungeknüllt. He's goar nich in 'west.

Ede kam nun auch in Unruhe. Was war zu thun? Er, wie Male, hatten ein unbestimmtes Gefühl, daß etwas ganz Absonderliches geschehen sein müsse, worin sie sich durch den schließlich ebenfalls erscheinenden Jakob nur noch bestärkt sahen. Nach einigem Berathen kam man überein, daß Jakob zu Kunicke hinübergehn und wegen des Abends vorher anfragen solle; Kunicke müss' es wissen, der sei immer der Letzte. Male dagegen solle rasch nach dem Krug laufen, wo Gendarm Geelhaar um diese Stunde zu frühstücken und der alten Krügerschen, die manchen Sturm erlebt hatte, schöne Dinge zu sagen pflegte. Das geschah denn auch alles, und keine Viertelstunde, so sah man Geelhaar die Dorfstraße herunter kommen, mit ihm Schulze Woytasch, der sich, einer abzuhaltenden Versammlung halber, zufällig ebenfalls im Kruge befunden hatte. Vor Hradscheck's Thür trafen beide mit Kunicke zusammen. Man begrüßte sich stumm und überschritt mit einer gewissen Feierlichkeit die Schwelle.

Drin im Hause hatte sich mittlerweile die Scene verändert.

Ede, der noch eine Zeit lang in allen Ecken und Winkeln umhergesucht hatte, stand jetzt, als die Gruppe sich näherte, mitten auf dem Flur und wies auf ein großes Oelfaß, das um ein Geringes vorgerollt war, nur zwei Fingerbreit, nur bis an den großen Eisenring, aber doch gerade weit genug, um die Fallthür zu schließen.

"Doa sitt he in," schrie der Junge.

"Schrei nicht so!" fuhr ihn Schulze Woytasch an. Und Kunicke setzte mit mehr Derbheit, aber auch mit größerer Gemüthlichkeit hinzu: "Halt's Maul, Junge."

Dieser jedoch war nicht zur Ruh zu bringen, und sein bischen Schläfenhaar immer mehr in die Höh schiebend, fuhr er in demselben Weinertone fort: "Jck weet allens. Dat's de Spök. De Spök hett noah em grappscht. Un denn wull he 'rut un kunn nich."

Um diese Zeit war auch Eccelius aus der Pfarre herüber gekommen, leichenblaß und so von Ahnungen geängstigt, daß er, als man das Faß jetzt zurückgeschoben und die Fallthür geöffnet hatte,

„Was, was? Mit auf dem Kongreß?“

„Versteht sich. Und warum nicht?“

„Auf dem Kongreß also.“

Und da habe der König von Preußen (denn Kolter sei ein geborner Preuße gewesen) zum Kaiser von Rußland gesagt: „Höre, Bruderherz, was Du von Deinem Stiglischeck auch sagen magst, Kolter ist doch besser, Parole d’honneur, Kolter ist der erste Springer der Welt, und was ihm auch passiren mag, er wird sich immer zu helfen wissen.“ Und als nun der Kaiser von Rußland das bestritten, da hätten sie gewettet, und wäre bloß die Bedingung gewesen, daß nichts vorher gesagt werden solle. Das hätten sie denn auch gehalten. Und als nun Kolter halb schon das zwischen zwei Thürmen ausgespannte Seil hinter sich gehabt habe, da sei mit einem Male, von der andern Seite her, ein andrer Seiltänzer auf ihn losgekommen, das sei Stiglischeck gewesen, und keine Minute mehr, so hätten sie sich gegenüber gestanden, und der Russe, was ihm auch Keiner verdenken könne, habe bloß gesagt: „Alles perdu, Bruder: Du verloren, ich verloren.“ Aber Kolter habe bloß gelacht und ihm was ins Ohr geflüstert, einige sagen einen frommen Spruch, andre aber sagen, es sei was Unanständiges gewesen, und sei dann mit großer Anstrengung und Geschicklichkeit zehn Schritte rückwärts gegangen, während der Andre sich niedergeduckt habe. Und nun habe Kolter einen Anlauf genommen und sei mit eins, zwei, drei über den Andern weggesprungen. Da sei denn furchtbares Beifallklatschen gewesen und Einige hätten laut geweint und immer wieder und wieder gesagt, „das sei mehr als Napoleon“. Und der Kaiser von Rußland habe seine Wette verloren und auch wirklich bezahlt.

„Wird er wohl, wird er wohl,“ sagte Kunicke. „Der Russe bezahlt immer. Hat’s ja … Bravo, Hradscheck; bravo!“

So war Hradscheck mit Beifall belohnt worden und hatte von Viertelstunde zu Viertelstunde noch vieles Andre zum Besten gegeben, bis endlich um elf die Stammgäste das Haus verließen.



Ede war schon zu Bett geschickt und in dem weiten Hause herrschte Todesstille. Hradscheck schritt auf und ab in seiner Stube, mußte sich aber setzen, denn der Aufregungen dieses Tages waren doch so viele gewesen, daß er sich, trotz fester Nerven, einer Ohnmacht nahe fühlte. So lang er drüben Geschichten erzählt hatte, munterer und heiterer, so wenigstens schien es, als je zuvor, war kein Tropfen Wein über seine Lippen gekommen, jetzt aber nahm er Kognak und Wasser und fühlte, wie Kraft und Entschlossenheit ihm rasch wiederkehrten. Er ging auf das Schubfach zu, drin er das Kapselchen versteckt hatte, zog gleich danach seine Schuhe aus und pulverte von dem Farrnkrautsamen hinein.

„So!“

Und nun stand er wieder in seinen Schuhen und lachte.

„Will doch mal die Probe machen! Wenn ich jetzt unsichtbar bin, muß ich mich auch selber nicht sehen können.“

Und das Licht zur Hand nehmend, trat er vor den schmalen Trumeau mit dem weißlackirten und mit dünnen Goldlinien eingefaßten Rahmen und sah hinein und nickte seinem Spiegelbilde zu. „Guten Tag, Abel Hradscheck. Wahrhaftig, wenn alles soviel hilft, wie der Farrnkrautsamen, so werd’ ich nicht weit kommen und bloß noch das angenehme Gefühl haben, ein Narr gewesen zu sein und ein Dummkopf, den ein altes Weib genasführt hat. Die verdammte Hexe! Warum lebt sie? Wäre sie weg, so hätt’ ich längst Ruh’ und brauchte diesen Unsinn nicht. Und brauchte nicht …“ Ein Grusel überlief ihn, denn das Furchtbare, was er vorhatte, stand mit einem Male wieder vor seiner Seele. Rasch aber bezwang er sich. „Eins kommt aus dem Andern. Wer A sagt, muß B sagen.“

Und als er so gesprochen und sich wieder zurecht gerückt hatte, ging er auf einen kleinen Eckschrank zu und nahm ein Laternchen heraus, das er sich schon vorher durch Ueberkleben mit Papier in eine Art Blendlaterne umgewandelt hatte. Die Alte drüben sollte den Lichtschimmer nicht wieder sehn und ihn nicht zum wievielsten Male mit ihrem „ick weet nich, Hradscheck, wihr et in de Stuw or wihr et in’n Keller“ in Wuth und Verzweiflung bringen. Und nun zündete er das Licht an, knipste die Laternenthür wieder zu und trat rasch entschlossen auf den Flur hinaus. Was er brauchte, darunter auch ein Stück alter Teppich, aus langen Tuchstreifen geflochten, lag längst unten in Bereitschaft.

„Vorwärts, Hradscheck!“

Und zwischen den großen Oelfässern hin ging er bis an den Kellereingang, hob die Fallthür auf und stieg langsam und vorsichtig die Stufen hinunter. Als er aber unten war, sah er, daß die Laterne, trotz der angebrachten Verblendung, viel zuviel Licht gab und nach oben hin, wie aus einem Schlot, einen hellen Schein warf. Das durfte nicht sein, und so stieg er die Treppe wieder hinauf, blieb aber in halber Höhe stehn und griff bloß nach einem ihm in aller Bequemlichkeit zur Hand liegenden Brett, das hier an das nächstliegende Oelfaß herangeschoben war, um die ganze Reihe der Fässer am Rollen zu verhindern. Es war nur schmal und kaum mannsbreit, aber gerade breit genug, um unten das Kellerfenster zu schließen.

„Nun mag sie sich drüben die Augen auskucken. Meinetwegen. Durch ein Brett wird sie ja wohl nicht sehn können. Ein Brett ist besser als Farrnkrautsamen …“

Und damit schloß er die Fallthür und stieg wieder die Stufen hinunter.



19.

Ede war früh auf und bediente seine Kunden. Dann und wann sah er auch nach der kleinen, im Nebenzimmer hängenden Uhr, die schon auf ein Viertel nach acht zeigte.

„Wo der Alte nur bleibt?“

Ede durfte die Frage schon thun, denn für gewöhnlich erschien Hradscheck mit dem Glockenschlage sieben, wünschte guten Morgen und öffnete die nach der Küche führende kleine Thür, was für die Köchin allemal das Zeichen war, daß sie den Kaffee bringen solle. Heut aber ließ sich kein Hradscheck sehn, und als es nah an neun heran war, steckte statt seiner nur Male den Kopf in den Laden hinein und sagte:

„Wo he man bliewt, Ede?“

„Weet nich.“

„Jck will geihn un en beten an sine Dhör bullern.“

„Joa, dat dhu man.“

Und wirklich, Male ging, um ihn zu wecken. Aber sie kam in großer Aufregung wieder. „He is nich doa, nich in de Vör- un ook nich in de Hinner-Stuw. Allens open un keene Dhör to.“

„Un sien Bett?“ fragte Ede.

„Allens glatt un ungeknüllt. He’s goar nich in ’west.

Ede kam nun auch in Unruhe. Was war zu thun? Er, wie Male, hatten ein unbestimmtes Gefühl, daß etwas ganz Absonderliches geschehen sein müsse, worin sie sich durch den schließlich ebenfalls erscheinenden Jakob nur noch bestärkt sahen. Nach einigem Berathen kam man überein, daß Jakob zu Kunicke hinübergehn und wegen des Abends vorher anfragen solle; Kunicke müss’ es wissen, der sei immer der Letzte. Male dagegen solle rasch nach dem Krug laufen, wo Gendarm Geelhaar um diese Stunde zu frühstücken und der alten Krügerschen, die manchen Sturm erlebt hatte, schöne Dinge zu sagen pflegte. Das geschah denn auch alles, und keine Viertelstunde, so sah man Geelhaar die Dorfstraße herunter kommen, mit ihm Schulze Woytasch, der sich, einer abzuhaltenden Versammlung halber, zufällig ebenfalls im Kruge befunden hatte. Vor Hradscheck’s Thür trafen beide mit Kunicke zusammen. Man begrüßte sich stumm und überschritt mit einer gewissen Feierlichkeit die Schwelle.

Drin im Hause hatte sich mittlerweile die Scene verändert.

Ede, der noch eine Zeit lang in allen Ecken und Winkeln umhergesucht hatte, stand jetzt, als die Gruppe sich näherte, mitten auf dem Flur und wies auf ein großes Oelfaß, das um ein Geringes vorgerollt war, nur zwei Fingerbreit, nur bis an den großen Eisenring, aber doch gerade weit genug, um die Fallthür zu schließen.

„Doa sitt he in,“ schrie der Junge.

„Schrei nicht so!“ fuhr ihn Schulze Woytasch an. Und Kunicke setzte mit mehr Derbheit, aber auch mit größerer Gemüthlichkeit hinzu: „Halt’s Maul, Junge.“

Dieser jedoch war nicht zur Ruh zu bringen, und sein bischen Schläfenhaar immer mehr in die Höh schiebend, fuhr er in demselben Weinertone fort: „Jck weet allens. Dat’s de Spök. De Spök hett noah em grappscht. Un denn wull he ’rut un kunn nich.“

Um diese Zeit war auch Eccelius aus der Pfarre herüber gekommen, leichenblaß und so von Ahnungen geängstigt, daß er, als man das Faß jetzt zurückgeschoben und die Fallthür geöffnet hatte,

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[667/0037] „Was, was? Mit auf dem Kongreß?“ „Versteht sich. Und warum nicht?“ „Auf dem Kongreß also.“ Und da habe der König von Preußen (denn Kolter sei ein geborner Preuße gewesen) zum Kaiser von Rußland gesagt: „Höre, Bruderherz, was Du von Deinem Stiglischeck auch sagen magst, Kolter ist doch besser, Parole d’honneur, Kolter ist der erste Springer der Welt, und was ihm auch passiren mag, er wird sich immer zu helfen wissen.“ Und als nun der Kaiser von Rußland das bestritten, da hätten sie gewettet, und wäre bloß die Bedingung gewesen, daß nichts vorher gesagt werden solle. Das hätten sie denn auch gehalten. Und als nun Kolter halb schon das zwischen zwei Thürmen ausgespannte Seil hinter sich gehabt habe, da sei mit einem Male, von der andern Seite her, ein andrer Seiltänzer auf ihn losgekommen, das sei Stiglischeck gewesen, und keine Minute mehr, so hätten sie sich gegenüber gestanden, und der Russe, was ihm auch Keiner verdenken könne, habe bloß gesagt: „Alles perdu, Bruder: Du verloren, ich verloren.“ Aber Kolter habe bloß gelacht und ihm was ins Ohr geflüstert, einige sagen einen frommen Spruch, andre aber sagen, es sei was Unanständiges gewesen, und sei dann mit großer Anstrengung und Geschicklichkeit zehn Schritte rückwärts gegangen, während der Andre sich niedergeduckt habe. Und nun habe Kolter einen Anlauf genommen und sei mit eins, zwei, drei über den Andern weggesprungen. Da sei denn furchtbares Beifallklatschen gewesen und Einige hätten laut geweint und immer wieder und wieder gesagt, „das sei mehr als Napoleon“. Und der Kaiser von Rußland habe seine Wette verloren und auch wirklich bezahlt. „Wird er wohl, wird er wohl,“ sagte Kunicke. „Der Russe bezahlt immer. Hat’s ja … Bravo, Hradscheck; bravo!“ So war Hradscheck mit Beifall belohnt worden und hatte von Viertelstunde zu Viertelstunde noch vieles Andre zum Besten gegeben, bis endlich um elf die Stammgäste das Haus verließen. Ede war schon zu Bett geschickt und in dem weiten Hause herrschte Todesstille. Hradscheck schritt auf und ab in seiner Stube, mußte sich aber setzen, denn der Aufregungen dieses Tages waren doch so viele gewesen, daß er sich, trotz fester Nerven, einer Ohnmacht nahe fühlte. So lang er drüben Geschichten erzählt hatte, munterer und heiterer, so wenigstens schien es, als je zuvor, war kein Tropfen Wein über seine Lippen gekommen, jetzt aber nahm er Kognak und Wasser und fühlte, wie Kraft und Entschlossenheit ihm rasch wiederkehrten. Er ging auf das Schubfach zu, drin er das Kapselchen versteckt hatte, zog gleich danach seine Schuhe aus und pulverte von dem Farrnkrautsamen hinein. „So!“ Und nun stand er wieder in seinen Schuhen und lachte. „Will doch mal die Probe machen! Wenn ich jetzt unsichtbar bin, muß ich mich auch selber nicht sehen können.“ Und das Licht zur Hand nehmend, trat er vor den schmalen Trumeau mit dem weißlackirten und mit dünnen Goldlinien eingefaßten Rahmen und sah hinein und nickte seinem Spiegelbilde zu. „Guten Tag, Abel Hradscheck. Wahrhaftig, wenn alles soviel hilft, wie der Farrnkrautsamen, so werd’ ich nicht weit kommen und bloß noch das angenehme Gefühl haben, ein Narr gewesen zu sein und ein Dummkopf, den ein altes Weib genasführt hat. Die verdammte Hexe! Warum lebt sie? Wäre sie weg, so hätt’ ich längst Ruh’ und brauchte diesen Unsinn nicht. Und brauchte nicht …“ Ein Grusel überlief ihn, denn das Furchtbare, was er vorhatte, stand mit einem Male wieder vor seiner Seele. Rasch aber bezwang er sich. „Eins kommt aus dem Andern. Wer A sagt, muß B sagen.“ Und als er so gesprochen und sich wieder zurecht gerückt hatte, ging er auf einen kleinen Eckschrank zu und nahm ein Laternchen heraus, das er sich schon vorher durch Ueberkleben mit Papier in eine Art Blendlaterne umgewandelt hatte. Die Alte drüben sollte den Lichtschimmer nicht wieder sehn und ihn nicht zum wievielsten Male mit ihrem „ick weet nich, Hradscheck, wihr et in de Stuw or wihr et in’n Keller“ in Wuth und Verzweiflung bringen. Und nun zündete er das Licht an, knipste die Laternenthür wieder zu und trat rasch entschlossen auf den Flur hinaus. Was er brauchte, darunter auch ein Stück alter Teppich, aus langen Tuchstreifen geflochten, lag längst unten in Bereitschaft. „Vorwärts, Hradscheck!“ Und zwischen den großen Oelfässern hin ging er bis an den Kellereingang, hob die Fallthür auf und stieg langsam und vorsichtig die Stufen hinunter. Als er aber unten war, sah er, daß die Laterne, trotz der angebrachten Verblendung, viel zuviel Licht gab und nach oben hin, wie aus einem Schlot, einen hellen Schein warf. Das durfte nicht sein, und so stieg er die Treppe wieder hinauf, blieb aber in halber Höhe stehn und griff bloß nach einem ihm in aller Bequemlichkeit zur Hand liegenden Brett, das hier an das nächstliegende Oelfaß herangeschoben war, um die ganze Reihe der Fässer am Rollen zu verhindern. Es war nur schmal und kaum mannsbreit, aber gerade breit genug, um unten das Kellerfenster zu schließen. „Nun mag sie sich drüben die Augen auskucken. Meinetwegen. Durch ein Brett wird sie ja wohl nicht sehn können. Ein Brett ist besser als Farrnkrautsamen …“ Und damit schloß er die Fallthür und stieg wieder die Stufen hinunter. 19. Ede war früh auf und bediente seine Kunden. Dann und wann sah er auch nach der kleinen, im Nebenzimmer hängenden Uhr, die schon auf ein Viertel nach acht zeigte. „Wo der Alte nur bleibt?“ Ede durfte die Frage schon thun, denn für gewöhnlich erschien Hradscheck mit dem Glockenschlage sieben, wünschte guten Morgen und öffnete die nach der Küche führende kleine Thür, was für die Köchin allemal das Zeichen war, daß sie den Kaffee bringen solle. Heut aber ließ sich kein Hradscheck sehn, und als es nah an neun heran war, steckte statt seiner nur Male den Kopf in den Laden hinein und sagte: „Wo he man bliewt, Ede?“ „Weet nich.“ „Jck will geihn un en beten an sine Dhör bullern.“ „Joa, dat dhu man.“ Und wirklich, Male ging, um ihn zu wecken. Aber sie kam in großer Aufregung wieder. „He is nich doa, nich in de Vör- un ook nich in de Hinner-Stuw. Allens open un keene Dhör to.“ „Un sien Bett?“ fragte Ede. „Allens glatt un ungeknüllt. He’s goar nich in ’west. Ede kam nun auch in Unruhe. Was war zu thun? Er, wie Male, hatten ein unbestimmtes Gefühl, daß etwas ganz Absonderliches geschehen sein müsse, worin sie sich durch den schließlich ebenfalls erscheinenden Jakob nur noch bestärkt sahen. Nach einigem Berathen kam man überein, daß Jakob zu Kunicke hinübergehn und wegen des Abends vorher anfragen solle; Kunicke müss’ es wissen, der sei immer der Letzte. Male dagegen solle rasch nach dem Krug laufen, wo Gendarm Geelhaar um diese Stunde zu frühstücken und der alten Krügerschen, die manchen Sturm erlebt hatte, schöne Dinge zu sagen pflegte. Das geschah denn auch alles, und keine Viertelstunde, so sah man Geelhaar die Dorfstraße herunter kommen, mit ihm Schulze Woytasch, der sich, einer abzuhaltenden Versammlung halber, zufällig ebenfalls im Kruge befunden hatte. Vor Hradscheck’s Thür trafen beide mit Kunicke zusammen. Man begrüßte sich stumm und überschritt mit einer gewissen Feierlichkeit die Schwelle. Drin im Hause hatte sich mittlerweile die Scene verändert. Ede, der noch eine Zeit lang in allen Ecken und Winkeln umhergesucht hatte, stand jetzt, als die Gruppe sich näherte, mitten auf dem Flur und wies auf ein großes Oelfaß, das um ein Geringes vorgerollt war, nur zwei Fingerbreit, nur bis an den großen Eisenring, aber doch gerade weit genug, um die Fallthür zu schließen. „Doa sitt he in,“ schrie der Junge. „Schrei nicht so!“ fuhr ihn Schulze Woytasch an. Und Kunicke setzte mit mehr Derbheit, aber auch mit größerer Gemüthlichkeit hinzu: „Halt’s Maul, Junge.“ Dieser jedoch war nicht zur Ruh zu bringen, und sein bischen Schläfenhaar immer mehr in die Höh schiebend, fuhr er in demselben Weinertone fort: „Jck weet allens. Dat’s de Spök. De Spök hett noah em grappscht. Un denn wull he ’rut un kunn nich.“ Um diese Zeit war auch Eccelius aus der Pfarre herüber gekommen, leichenblaß und so von Ahnungen geängstigt, daß er, als man das Faß jetzt zurückgeschoben und die Fallthür geöffnet hatte,

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Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-12T12:36:22Z)

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Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/37>, abgerufen am 21.11.2024.