Des Andern Th. 21. Cap. von Eigenschafften u. Gefährd des Rehes.
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Schritte kan hören kommen, wenn er aber aufs Blat läufft, und nahe begin- net herbey zu kommen, so wird er con- tinuirlich mit der Zunge leppern und spie- len, als wenn er Saltz genossen hätte. Die alten Böcke werden sehr behutsam kom- men, und nehmen sich mit dem Gesichte sonderlich wohl in Acht. Offtmahls kom- men sie auch als ein Pfeil gefahren, wenn sie nemlich nicht verwöhnet, oder schon vor den Blaten gewesen sind.
§. 4.
Das junge Reh wird von den Alten gesetzt im Majo. Solches liegt im Mutterleibe vom November 22. Wochen. Das Junge wird ein jung Reh genennet, biß es ein Jahr alt, alsdenn heißt es ein Schmahl-Reh, und dann brunfftet es; sie bekommen zu Zeiten zwey biß drey Jun- ge, denn sie müssen ihrer hitzigen Natur wegen eher zukommen, als Tannen-Wild- präth, wenigstens alle Jahre eins, es sey denn, daß ein Reh zu keinem Bock kom- men könte; Doch sind solche capables, zu der Zeit Böcke aufzusuchen, und solten sie des Tages 5. biß 6. Meilen streichen. Wenn solche nun ihres gleichen gefunden, thun sie schön mit dem Bock, caressiren ihn aufs alleräusserste; Gehen sie mit einander ins Geäß, so wahren sie den Bock immer von ferne; So bald sie was sehen, melden sie es dem Bock gleich an, sind auch wohl so kühn, daß sie sehen wollen, was passiret, und kommen mit vollem Halse auf einem loß, indessen retiriret sich der Bock in das Dickigt, das Reh folget ihm alsobald nach, hernach stehen sie beyde und sind froh, daß sie ihrem Feinde entgangen, gehen zusam- men, und lieben einander. Der Bock ist wohl gar so indiscret, thut sich bey dem Reh nieder, das Reh aber stehet bestän- dig Schildwache, biß es durch den Wind nichts mehr merckt, alsdenn thut sichs auch bey dem Bock nieder, doch hat ein ie- des sein a partes Bette.
§. 5.
Ob zwar nicht so gar viel daran gelegen, den Unterschied zwischen der Gefährde eines Bockes und einer Rücke zu wissen, so will ich doch den Liebhabern zu Gefallen aus Curiosität etwas davon melden. Der Reh-Bock hat gemeinig- lich einen stärckern Fuß als die Rücke, ihre Schaalen an den Lauf-Klauen sind ründer, und unten ist der Fuß völler ge- hohlet, als bey den Geissen. Die Schaal- Wände sind bey den Ziegen nicht so di- cke, als bey denen Reh-Böcken, inglei- chen haben sie breitere Aber-Klauen, stär- [Spaltenumbruch]
ckere und mehr einwerts gebogene Schaa- len. Bey den Rücken hingegen sind die Spitzen der Schaalen auswerts gebogen, auch nicht so sehr stumpf und abgenutzt, als bey den Böcken. Die Reh-Böcke, die unter dem vierdten, fünfften und sech- sten Geweyhe sind, geben gar wenige Merckmahle, wenn man sie nicht an dem Gange erkennen kan, und hieraus muß man eben, wie bey dem Hirsch, judi- ciren, indem der Reh-Bock mit den Läufften immer in einer gleichen Distance fort schreitet. Einige sind auch von Na- tur gewissen Hirschen ähnlich, die mit den Hinter-Läufften weit über die fördern hinaus gehen, welche denn groß und lang vom Leibe, von grossem Athem und Stär- cke sind. Diese Kennzeichen aber muß man nahe dabey, und sehr wohl betrach- ten, und lässet sich solches thun, wenn die Fährden nach Beschaffenheit des Erd- reichs gut zu erkennen sind. Weil die Ziegen ordinaire neben den Reh-Böcken lauffen, so ist es schwer, einen Reh-Bock allein den Hunden vorzuantworten. Wenn sie sich aber von einander sondern, kan man sich dieser Kennzeichen bedie- nen, um den Bock von der Rücke zu schei- den, und die Hunde auf ihn zu bringen.
§. 6.
Ebenfalls kan man sie von der Art und Weise, wie sie des Nachts auf das Geäß ziehen, unterscheiden; Hier wird man observiren, wenn sie beyde des Abends aus dem Dickigt aufstehen, daß der Bock zu erst vorgehet, sich auch dem Geäß zu erst nähert, damit er recognosci- re, ob einige Gefahr vorhanden, und er die Rücke davon befreyen könne. Sind sie alle beyde auf dem Geäß, so ist doch der Bock auf der Ebene immer weiter voraus, und wenn sie sich wieder ins Di- ckigt und in ihren Stand begeben, so ge- het er zu letzt. Nach diesen Kennzeichen kan man wohl ein wahrscheinliches Urthel fällen, aber keinen gewissen Anspruch thun, weil sie zu einigen Zeiten sehr fal- liren mögten. Bey der grossen Som- mer-Dürre ist es sehr schwer aus den Ge- fährden zu urtheilen. Einige werden auch überhaupt meynen, es sey unnöthig, auf diese Kennzeichen Acht zu haben, und sich den Kopf darüber zu zerbrechen; doch diese sollen wissen, daß ich vor sie nicht schreibe, sondern vor diejenigen, die Re- nommee im Leibe haben, und wegen ih- rer accuraten Wissenschafft in der Jäge- rey sich gerne Ehre erwerben wollen.
Das
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Des Andern Th. 21. Cap. von Eigenſchafften u. Gefaͤhrd des Rehes.
[Spaltenumbruch]
Schritte kan hoͤren kommen, wenn er aber aufs Blat laͤufft, und nahe begin- net herbey zu kommen, ſo wird er con- tinuirlich mit der Zunge leppern und ſpie- len, als wenn er Saltz genoſſen haͤtte. Die alten Boͤcke werden ſehr behutſam kom- men, und nehmen ſich mit dem Geſichte ſonderlich wohl in Acht. Offtmahls kom- men ſie auch als ein Pfeil gefahren, wenn ſie nemlich nicht verwoͤhnet, oder ſchon vor den Blaten geweſen ſind.
§. 4.
Das junge Reh wird von den Alten geſetzt im Majo. Solches liegt im Mutterleibe vom November 22. Wochen. Das Junge wird ein jung Reh genennet, biß es ein Jahr alt, alsdenn heißt es ein Schmahl-Reh, und dann brunfftet es; ſie bekom̃en zu Zeiten zwey biß drey Jun- ge, denn ſie muͤſſen ihrer hitzigen Natur wegen eher zukom̃en, als Tannen-Wild- praͤth, wenigſtens alle Jahre eins, es ſey denn, daß ein Reh zu keinem Bock kom- men koͤnte; Doch ſind ſolche capables, zu der Zeit Boͤcke aufzuſuchen, und ſolten ſie des Tages 5. biß 6. Meilen ſtreichen. Weñ ſolche nun ihres gleichen gefunden, thun ſie ſchoͤn mit dem Bock, careſſiren ihn aufs alleraͤuſſerſte; Gehen ſie mit einander ins Geaͤß, ſo wahren ſie den Bock immer von ferne; So bald ſie was ſehen, melden ſie es dem Bock gleich an, ſind auch wohl ſo kuͤhn, daß ſie ſehen wollen, was paſſiret, und kommen mit vollem Halſe auf einem loß, indeſſen retiriret ſich der Bock in das Dickigt, das Reh folget ihm alſobald nach, hernach ſtehen ſie beyde und ſind froh, daß ſie ihrem Feinde entgangen, gehen zuſam- men, und lieben einander. Der Bock iſt wohl gar ſo indiſcret, thut ſich bey dem Reh nieder, das Reh aber ſtehet beſtaͤn- dig Schildwache, biß es durch den Wind nichts mehr merckt, alsdenn thut ſichs auch bey dem Bock nieder, doch hat ein ie- des ſein a partes Bette.
§. 5.
Ob zwar nicht ſo gar viel daran gelegen, den Unterſchied zwiſchen der Gefaͤhrde eines Bockes und einer Ruͤcke zu wiſſen, ſo will ich doch den Liebhabern zu Gefallen aus Curioſitaͤt etwas davon melden. Der Reh-Bock hat gemeinig- lich einen ſtaͤrckern Fuß als die Ruͤcke, ihre Schaalen an den Lauf-Klauen ſind ruͤnder, und unten iſt der Fuß voͤller ge- hohlet, als bey den Geiſſen. Die Schaal- Waͤnde ſind bey den Ziegen nicht ſo di- cke, als bey denen Reh-Boͤcken, inglei- chen haben ſie breitere Aber-Klauen, ſtaͤr- [Spaltenumbruch]
ckere und mehr einwerts gebogene Schaa- len. Bey den Ruͤcken hingegen ſind die Spitzen der Schaalen auswerts gebogen, auch nicht ſo ſehr ſtumpf und abgenutzt, als bey den Boͤcken. Die Reh-Boͤcke, die unter dem vierdten, fuͤnfften und ſech- ſten Geweyhe ſind, geben gar wenige Merckmahle, wenn man ſie nicht an dem Gange erkennen kan, und hieraus muß man eben, wie bey dem Hirſch, judi- ciren, indem der Reh-Bock mit den Laͤufften immer in einer gleichen Diſtance fort ſchreitet. Einige ſind auch von Na- tur gewiſſen Hirſchen aͤhnlich, die mit den Hinter-Laͤufften weit uͤber die foͤrdern hinaus gehen, welche denn groß und lang vom Leibe, von groſſem Athem und Staͤr- cke ſind. Dieſe Kennzeichen aber muß man nahe dabey, und ſehr wohl betrach- ten, und laͤſſet ſich ſolches thun, wenn die Faͤhrden nach Beſchaffenheit des Erd- reichs gut zu erkennen ſind. Weil die Ziegen ordinaire neben den Reh-Boͤcken lauffen, ſo iſt es ſchwer, einen Reh-Bock allein den Hunden vorzuantworten. Wenn ſie ſich aber von einander ſondern, kan man ſich dieſer Kennzeichen bedie- nen, um den Bock von der Ruͤcke zu ſchei- den, und die Hunde auf ihn zu bringen.
§. 6.
Ebenfalls kan man ſie von der Art und Weiſe, wie ſie des Nachts auf das Geaͤß ziehen, unterſcheiden; Hier wird man obſerviren, wenn ſie beyde des Abends aus dem Dickigt aufſtehen, daß der Bock zu erſt vorgehet, ſich auch dem Geaͤß zu erſt naͤhert, damit er recognoſci- re, ob einige Gefahr vorhanden, und er die Ruͤcke davon befreyen koͤnne. Sind ſie alle beyde auf dem Geaͤß, ſo iſt doch der Bock auf der Ebene immer weiter voraus, und wenn ſie ſich wieder ins Di- ckigt und in ihren Stand begeben, ſo ge- het er zu letzt. Nach dieſen Kennzeichen kan man wohl ein wahrſcheinliches Urthel faͤllen, aber keinen gewiſſen Anſpruch thun, weil ſie zu einigen Zeiten ſehr fal- liren moͤgten. Bey der groſſen Som- mer-Duͤrre iſt es ſehr ſchwer aus den Ge- faͤhrden zu urtheilen. Einige werden auch uͤberhaupt meynen, es ſey unnoͤthig, auf dieſe Kennzeichen Acht zu haben, und ſich den Kopf daruͤber zu zerbrechen; doch dieſe ſollen wiſſen, daß ich vor ſie nicht ſchreibe, ſondern vor diejenigen, die Re- nommée im Leibe haben, und wegen ih- rer accuraten Wiſſenſchafft in der Jaͤge- rey ſich gerne Ehre erwerben wollen.
Das
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Des Andern Th. 21. Cap. von Eigenſchafften u. Gefaͤhrd des Rehes.
Schritte kan hoͤren kommen, wenn er
aber aufs Blat laͤufft, und nahe begin-
net herbey zu kommen, ſo wird er con-
tinuirlich mit der Zunge leppern und ſpie-
len, als wenn er Saltz genoſſen haͤtte. Die
alten Boͤcke werden ſehr behutſam kom-
men, und nehmen ſich mit dem Geſichte
ſonderlich wohl in Acht. Offtmahls kom-
men ſie auch als ein Pfeil gefahren, wenn
ſie nemlich nicht verwoͤhnet, oder ſchon
vor den Blaten geweſen ſind.
§. 4. Das junge Reh wird von den
Alten geſetzt im Majo. Solches liegt im
Mutterleibe vom November 22. Wochen.
Das Junge wird ein jung Reh genennet,
biß es ein Jahr alt, alsdenn heißt es ein
Schmahl-Reh, und dann brunfftet es;
ſie bekom̃en zu Zeiten zwey biß drey Jun-
ge, denn ſie muͤſſen ihrer hitzigen Natur
wegen eher zukom̃en, als Tannen-Wild-
praͤth, wenigſtens alle Jahre eins, es ſey
denn, daß ein Reh zu keinem Bock kom-
men koͤnte; Doch ſind ſolche capables, zu
der Zeit Boͤcke aufzuſuchen, und ſolten ſie
des Tages 5. biß 6. Meilen ſtreichen. Weñ
ſolche nun ihres gleichen gefunden, thun
ſie ſchoͤn mit dem Bock, careſſiren ihn aufs
alleraͤuſſerſte; Gehen ſie mit einander
ins Geaͤß, ſo wahren ſie den Bock immer
von ferne; So bald ſie was ſehen, melden
ſie es dem Bock gleich an, ſind auch wohl
ſo kuͤhn, daß ſie ſehen wollen, was paſſiret,
und kommen mit vollem Halſe auf einem
loß, indeſſen retiriret ſich der Bock in das
Dickigt, das Reh folget ihm alſobald nach,
hernach ſtehen ſie beyde und ſind froh, daß
ſie ihrem Feinde entgangen, gehen zuſam-
men, und lieben einander. Der Bock iſt
wohl gar ſo indiſcret, thut ſich bey dem
Reh nieder, das Reh aber ſtehet beſtaͤn-
dig Schildwache, biß es durch den Wind
nichts mehr merckt, alsdenn thut ſichs
auch bey dem Bock nieder, doch hat ein ie-
des ſein a partes Bette.
§. 5. Ob zwar nicht ſo gar viel daran
gelegen, den Unterſchied zwiſchen der
Gefaͤhrde eines Bockes und einer Ruͤcke
zu wiſſen, ſo will ich doch den Liebhabern
zu Gefallen aus Curioſitaͤt etwas davon
melden. Der Reh-Bock hat gemeinig-
lich einen ſtaͤrckern Fuß als die Ruͤcke,
ihre Schaalen an den Lauf-Klauen ſind
ruͤnder, und unten iſt der Fuß voͤller ge-
hohlet, als bey den Geiſſen. Die Schaal-
Waͤnde ſind bey den Ziegen nicht ſo di-
cke, als bey denen Reh-Boͤcken, inglei-
chen haben ſie breitere Aber-Klauen, ſtaͤr-
ckere und mehr einwerts gebogene Schaa-
len. Bey den Ruͤcken hingegen ſind die
Spitzen der Schaalen auswerts gebogen,
auch nicht ſo ſehr ſtumpf und abgenutzt,
als bey den Boͤcken. Die Reh-Boͤcke,
die unter dem vierdten, fuͤnfften und ſech-
ſten Geweyhe ſind, geben gar wenige
Merckmahle, wenn man ſie nicht an
dem Gange erkennen kan, und hieraus
muß man eben, wie bey dem Hirſch, judi-
ciren, indem der Reh-Bock mit den
Laͤufften immer in einer gleichen Diſtance
fort ſchreitet. Einige ſind auch von Na-
tur gewiſſen Hirſchen aͤhnlich, die mit den
Hinter-Laͤufften weit uͤber die foͤrdern
hinaus gehen, welche denn groß und lang
vom Leibe, von groſſem Athem und Staͤr-
cke ſind. Dieſe Kennzeichen aber muß
man nahe dabey, und ſehr wohl betrach-
ten, und laͤſſet ſich ſolches thun, wenn die
Faͤhrden nach Beſchaffenheit des Erd-
reichs gut zu erkennen ſind. Weil die
Ziegen ordinaire neben den Reh-Boͤcken
lauffen, ſo iſt es ſchwer, einen Reh-Bock
allein den Hunden vorzuantworten.
Wenn ſie ſich aber von einander ſondern,
kan man ſich dieſer Kennzeichen bedie-
nen, um den Bock von der Ruͤcke zu ſchei-
den, und die Hunde auf ihn zu bringen.
§. 6. Ebenfalls kan man ſie von der
Art und Weiſe, wie ſie des Nachts auf
das Geaͤß ziehen, unterſcheiden; Hier
wird man obſerviren, wenn ſie beyde des
Abends aus dem Dickigt aufſtehen, daß
der Bock zu erſt vorgehet, ſich auch dem
Geaͤß zu erſt naͤhert, damit er recognoſci-
re, ob einige Gefahr vorhanden, und er
die Ruͤcke davon befreyen koͤnne. Sind
ſie alle beyde auf dem Geaͤß, ſo iſt doch
der Bock auf der Ebene immer weiter
voraus, und wenn ſie ſich wieder ins Di-
ckigt und in ihren Stand begeben, ſo ge-
het er zu letzt. Nach dieſen Kennzeichen
kan man wohl ein wahrſcheinliches Urthel
faͤllen, aber keinen gewiſſen Anſpruch
thun, weil ſie zu einigen Zeiten ſehr fal-
liren moͤgten. Bey der groſſen Som-
mer-Duͤrre iſt es ſehr ſchwer aus den Ge-
faͤhrden zu urtheilen. Einige werden
auch uͤberhaupt meynen, es ſey unnoͤthig,
auf dieſe Kennzeichen Acht zu haben, und
ſich den Kopf daruͤber zu zerbrechen; doch
dieſe ſollen wiſſen, daß ich vor ſie nicht
ſchreibe, ſondern vor diejenigen, die Re-
nommée im Leibe haben, und wegen ih-
rer accuraten Wiſſenſchafft in der Jaͤge-
rey ſich gerne Ehre erwerben wollen.
Das
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Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 2. Leipzig, 1724, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fleming_jaeger02_1724/189>, abgerufen am 22.02.2025.
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