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Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 2. Leipzig, 1724.

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Des Andern Th. 13. Cap. von der Hirsche Gefährd und Gehörne.
[Spaltenumbruch]
Das 13. Capitel/
Von der Hirsche Gefährd und
Gehörne.
§. 1.

Die verschiedene Beschaffenheit des
Grundes und Bodens, der Nah-
rung, der Art, und andere Umstände,
formiren eine verschiedene Disposition in
den Gliedmassen der Thiere, und ein-
folglich auch in den Fährden. Es macht
auch der Unterschied des Bodens selbst
einen Unterschied der Fährden, bey einer-
ley Thieren. Jm morastigen und wei-
chen Erdboden haben die Hirsche einen
hohlen und breiten Fuß, dicke und starcke
Affter-Klauen, und scharffe Schaalen,
weil ihnen von der Feuchtigkeit das
schwämmichte Horn aufgetrieben, und
die Schaalen vergrössert sind, und also
eine grössere Fährde verursachen, hinge-
gen ist die Gefährde im sandigen Boden
von einem ebenen und flachen Fuß; ein
solcher Boden bringt flache Ballen, und
eine breite Gefährde zu wege. Denn in
dem Sande werden die Klauen von Ju-
gend an aus einander getrieben, und die
Hirsche gewönen sich die breite Fährde an.
Man siehet es auch ohne Vergleichung an
den Bauern, daß diejenigen, welche von
Jugend auf mit blossen Füssen gegangen,
allezeit eine breitere Fuß-Sohle, und von
einander stehende Zehen haben, als die in
den Städten auf dem Stein-Pflaster ge-
hen, und Schuhe zu tragen gewohnet
sind. Bey diesen sind die Füsse mercklich
kleiner, und des harten Bodens zu tre-
ten gewohnt. Jn den harten Boden und
in den Stein-Felsen haben die Hirsche ei-
nen kleinen zusammen-geschlossenen runden
Fuß, weil die Ballen und Schaalen von
der Härte stumpf und abgenutzet worden,
und die Hirsche sich von Jugend auf ge-
wöhnt anzuhalten, und die Klauen anzu-
ziehen.

§. 2.

An denjenigen Orten, wo die
Hirsche gute Weyde nehmen, und keine
Furcht noch Sorge haben, ihr Leben küm-
merlich zu erhalten, sondern vielmehr
Ruhe und Sicherheit geniessen, und gu-
ten Nahrungs-Safft an sich ziehen, er-
langen sie auch ein vollkommnes und wohl-
geziertes Gehörne, oder Geweyhe; Die
Rose ist alsdenn fein breit, voller Per-
len, und von starcken Stangen. Die
Augen-Sprossen sind in gleicher Länge
wohlgestaltet, und die übrigen Enden
[Spaltenumbruch] nach Proportion der Dicke und Länge biß
zu oberst wohl disponirt. Die Crone ist
von 5. biß 6. Enden hohl und breit formi-
ret. Die Ritzen der Spalten an Stan-
gen und Enden fein hohl und tief. Jn
einigen guten und fetten Gegenden, in
fruchtreichen Auen findet man bißweilen
Hirsche mit 20. biß 24. und noch wohl
mehr Enden. Hingegen in den dürren
Sand-Feldern ist justement das Contra-
rium.
Der geringe Boden bringt wenig
und unkräfftige Fütterung, das schlechte
Futter gedeyet nicht so, und bringt nicht
einen so starcken Nahrungs-Safft zuwe-
ge, und also sind auch die Gehörne gemei-
niglich von niedrigen Gewächse, mit dür-
ren Stangen und kurtzen kleinen Enden
versehen. Denn da wenig Safft und
Marck in die Stangen hinein dringt: so
können sie auch nicht hoch ansetzen. Aus
Mangel der Nahrungs-Kräffte sind sie
auch gemeiniglich von blasser Farbe.
Wenn es hoch kömt, daß die Gehörne von
einem alten Hirsch sind, so ist nichts als die
Rose nahe an dem Kopffe stehend, etwas
perligt zu bemercken, und die Stangen
stehen unförmlich auswerts, und haben
schlechtes und elendes Ansehen. Sie sind
auch überhaupt geringe am Leibe, von
bleichfarbenen Haaren, und von schlechter
Positur, offters nicht viel grösser als ein
Tann-Hirsch gestaltet.

§. 3.

Die alten Jäger haben behau-
ptet, daß man einen Hirsch ohn Beden-
cken als jagdbar ansprechen könte, wenn
nemlich sein Tritt oder Schaalen drey
Finger breit zurück blieben, und wenn er
drey Schuhe wegschritte. Die Hirsche ha-
ben wegen ihren Thränen vor allen Thie-
ren etwas besonders, massen dieselben
unter den Augen ein gewisses Behältniß
führen, welches etwas länglicht, fast ei-
nes Gliedes tief in den Kopf gehet, in wel-
chen er eine braune, zähe und mit kurtzen
Kopf-Härlein vermengte und starckrie-
chende Materie hat, in Forme eines Dat-
tel-Kerns, welche wie das Creutz in der
Medicin vor sehr kräfftig und dienlich ge-
halten wird.

§. 4.

Wenn ein Hirsch über vier
Jahr ist, so nimmt er in seinem Wachs-
thum der Höhe nicht mehr zu, hernach-
mals legt er aufs Unschlitt und Feiste,
und wächset in die Breite. Sein Alter
ist 1.) an denen Rosen, das ist, allwo sel-
bigen das Gehörne und zwar jede Stange
besonders auf dem Kopf sitzet, zu erken-
nen, nemlich je näher ihm diese Rosen auf

dem
Des Andern Th. 13. Cap. von der Hirſche Gefaͤhrd und Gehoͤrne.
[Spaltenumbruch]
Das 13. Capitel/
Von der Hirſche Gefaͤhrd und
Gehoͤrne.
§. 1.

Die verſchiedene Beſchaffenheit des
Grundes und Bodens, der Nah-
rung, der Art, und andere Umſtaͤnde,
formiren eine verſchiedene Diſpoſition in
den Gliedmaſſen der Thiere, und ein-
folglich auch in den Faͤhrden. Es macht
auch der Unterſchied des Bodens ſelbſt
einen Unterſchied der Faͤhrden, bey einer-
ley Thieren. Jm moraſtigen und wei-
chen Erdboden haben die Hirſche einen
hohlen und breiten Fuß, dicke und ſtarcke
Affter-Klauen, und ſcharffe Schaalen,
weil ihnen von der Feuchtigkeit das
ſchwaͤmmichte Horn aufgetrieben, und
die Schaalen vergroͤſſert ſind, und alſo
eine groͤſſere Faͤhrde verurſachen, hinge-
gen iſt die Gefaͤhrde im ſandigen Boden
von einem ebenen und flachen Fuß; ein
ſolcher Boden bringt flache Ballen, und
eine breite Gefaͤhrde zu wege. Denn in
dem Sande werden die Klauen von Ju-
gend an aus einander getrieben, und die
Hirſche gewoͤnen ſich die breite Faͤhrde an.
Man ſiehet es auch ohne Vergleichung an
den Bauern, daß diejenigen, welche von
Jugend auf mit bloſſen Fuͤſſen gegangen,
allezeit eine breitere Fuß-Sohle, und von
einander ſtehende Zehen haben, als die in
den Staͤdten auf dem Stein-Pflaſter ge-
hen, und Schuhe zu tragen gewohnet
ſind. Bey dieſen ſind die Fuͤſſe mercklich
kleiner, und des harten Bodens zu tre-
ten gewohnt. Jn den harten Boden und
in den Stein-Felſen haben die Hirſche ei-
nen kleinen zuſam̃en-geſchloſſenen runden
Fuß, weil die Ballen und Schaalen von
der Haͤrte ſtumpf und abgenutzet worden,
und die Hirſche ſich von Jugend auf ge-
woͤhnt anzuhalten, und die Klauen anzu-
ziehen.

§. 2.

An denjenigen Orten, wo die
Hirſche gute Weyde nehmen, und keine
Furcht noch Sorge haben, ihr Leben kuͤm-
merlich zu erhalten, ſondern vielmehr
Ruhe und Sicherheit genieſſen, und gu-
ten Nahrungs-Safft an ſich ziehen, er-
langen ſie auch ein vollkom̃nes und wohl-
geziertes Gehoͤrne, oder Geweyhe; Die
Roſe iſt alsdenn fein breit, voller Per-
len, und von ſtarcken Stangen. Die
Augen-Sproſſen ſind in gleicher Laͤnge
wohlgeſtaltet, und die uͤbrigen Enden
[Spaltenumbruch] nach Proportion der Dicke und Laͤnge biß
zu oberſt wohl diſponirt. Die Crone iſt
von 5. biß 6. Enden hohl und breit formi-
ret. Die Ritzen der Spalten an Stan-
gen und Enden fein hohl und tief. Jn
einigen guten und fetten Gegenden, in
fruchtreichen Auen findet man bißweilen
Hirſche mit 20. biß 24. und noch wohl
mehr Enden. Hingegen in den duͤrren
Sand-Feldern iſt juſtement das Contra-
rium.
Der geringe Boden bringt wenig
und unkraͤfftige Fuͤtterung, das ſchlechte
Futter gedeyet nicht ſo, und bringt nicht
einen ſo ſtarcken Nahrungs-Safft zuwe-
ge, und alſo ſind auch die Gehoͤrne gemei-
niglich von niedrigen Gewaͤchſe, mit duͤr-
ren Stangen und kurtzen kleinen Enden
verſehen. Denn da wenig Safft und
Marck in die Stangen hinein dringt: ſo
koͤnnen ſie auch nicht hoch anſetzen. Aus
Mangel der Nahrungs-Kraͤffte ſind ſie
auch gemeiniglich von blaſſer Farbe.
Wenn es hoch koͤmt, daß die Gehoͤrne von
einem alten Hirſch ſind, ſo iſt nichts als die
Roſe nahe an dem Kopffe ſtehend, etwas
perligt zu bemercken, und die Stangen
ſtehen unfoͤrmlich auswerts, und haben
ſchlechtes und elendes Anſehen. Sie ſind
auch uͤberhaupt geringe am Leibe, von
bleichfarbenen Haaren, und von ſchlechter
Poſitur, offters nicht viel groͤſſer als ein
Tann-Hirſch geſtaltet.

§. 3.

Die alten Jaͤger haben behau-
ptet, daß man einen Hirſch ohn Beden-
cken als jagdbar anſprechen koͤnte, wenn
nemlich ſein Tritt oder Schaalen drey
Finger breit zuruͤck blieben, und wenn er
drey Schuhe wegſchritte. Die Hirſche ha-
ben wegen ihren Thraͤnen vor allen Thie-
ren etwas beſonders, maſſen dieſelben
unter den Augen ein gewiſſes Behaͤltniß
fuͤhren, welches etwas laͤnglicht, faſt ei-
nes Gliedes tief in den Kopf gehet, in wel-
chen er eine braune, zaͤhe und mit kurtzen
Kopf-Haͤrlein vermengte und ſtarckrie-
chende Materie hat, in Forme eines Dat-
tel-Kerns, welche wie das Creutz in der
Medicin vor ſehr kraͤfftig und dienlich ge-
halten wird.

§. 4.

Wenn ein Hirſch uͤber vier
Jahr iſt, ſo nimmt er in ſeinem Wachs-
thum der Hoͤhe nicht mehr zu, hernach-
mals legt er aufs Unſchlitt und Feiſte,
und waͤchſet in die Breite. Sein Alter
iſt 1.) an denen Roſen, das iſt, allwo ſel-
bigen das Gehoͤrne und zwar jede Stange
beſonders auf dem Kopf ſitzet, zu erken-
nen, nemlich je naͤher ihm dieſe Roſen auf

dem
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[102/0176] Des Andern Th. 13. Cap. von der Hirſche Gefaͤhrd und Gehoͤrne. Das 13. Capitel/ Von der Hirſche Gefaͤhrd und Gehoͤrne. §. 1. Die verſchiedene Beſchaffenheit des Grundes und Bodens, der Nah- rung, der Art, und andere Umſtaͤnde, formiren eine verſchiedene Diſpoſition in den Gliedmaſſen der Thiere, und ein- folglich auch in den Faͤhrden. Es macht auch der Unterſchied des Bodens ſelbſt einen Unterſchied der Faͤhrden, bey einer- ley Thieren. Jm moraſtigen und wei- chen Erdboden haben die Hirſche einen hohlen und breiten Fuß, dicke und ſtarcke Affter-Klauen, und ſcharffe Schaalen, weil ihnen von der Feuchtigkeit das ſchwaͤmmichte Horn aufgetrieben, und die Schaalen vergroͤſſert ſind, und alſo eine groͤſſere Faͤhrde verurſachen, hinge- gen iſt die Gefaͤhrde im ſandigen Boden von einem ebenen und flachen Fuß; ein ſolcher Boden bringt flache Ballen, und eine breite Gefaͤhrde zu wege. Denn in dem Sande werden die Klauen von Ju- gend an aus einander getrieben, und die Hirſche gewoͤnen ſich die breite Faͤhrde an. Man ſiehet es auch ohne Vergleichung an den Bauern, daß diejenigen, welche von Jugend auf mit bloſſen Fuͤſſen gegangen, allezeit eine breitere Fuß-Sohle, und von einander ſtehende Zehen haben, als die in den Staͤdten auf dem Stein-Pflaſter ge- hen, und Schuhe zu tragen gewohnet ſind. Bey dieſen ſind die Fuͤſſe mercklich kleiner, und des harten Bodens zu tre- ten gewohnt. Jn den harten Boden und in den Stein-Felſen haben die Hirſche ei- nen kleinen zuſam̃en-geſchloſſenen runden Fuß, weil die Ballen und Schaalen von der Haͤrte ſtumpf und abgenutzet worden, und die Hirſche ſich von Jugend auf ge- woͤhnt anzuhalten, und die Klauen anzu- ziehen. §. 2. An denjenigen Orten, wo die Hirſche gute Weyde nehmen, und keine Furcht noch Sorge haben, ihr Leben kuͤm- merlich zu erhalten, ſondern vielmehr Ruhe und Sicherheit genieſſen, und gu- ten Nahrungs-Safft an ſich ziehen, er- langen ſie auch ein vollkom̃nes und wohl- geziertes Gehoͤrne, oder Geweyhe; Die Roſe iſt alsdenn fein breit, voller Per- len, und von ſtarcken Stangen. Die Augen-Sproſſen ſind in gleicher Laͤnge wohlgeſtaltet, und die uͤbrigen Enden nach Proportion der Dicke und Laͤnge biß zu oberſt wohl diſponirt. Die Crone iſt von 5. biß 6. Enden hohl und breit formi- ret. Die Ritzen der Spalten an Stan- gen und Enden fein hohl und tief. Jn einigen guten und fetten Gegenden, in fruchtreichen Auen findet man bißweilen Hirſche mit 20. biß 24. und noch wohl mehr Enden. Hingegen in den duͤrren Sand-Feldern iſt juſtement das Contra- rium. Der geringe Boden bringt wenig und unkraͤfftige Fuͤtterung, das ſchlechte Futter gedeyet nicht ſo, und bringt nicht einen ſo ſtarcken Nahrungs-Safft zuwe- ge, und alſo ſind auch die Gehoͤrne gemei- niglich von niedrigen Gewaͤchſe, mit duͤr- ren Stangen und kurtzen kleinen Enden verſehen. Denn da wenig Safft und Marck in die Stangen hinein dringt: ſo koͤnnen ſie auch nicht hoch anſetzen. Aus Mangel der Nahrungs-Kraͤffte ſind ſie auch gemeiniglich von blaſſer Farbe. Wenn es hoch koͤmt, daß die Gehoͤrne von einem alten Hirſch ſind, ſo iſt nichts als die Roſe nahe an dem Kopffe ſtehend, etwas perligt zu bemercken, und die Stangen ſtehen unfoͤrmlich auswerts, und haben ſchlechtes und elendes Anſehen. Sie ſind auch uͤberhaupt geringe am Leibe, von bleichfarbenen Haaren, und von ſchlechter Poſitur, offters nicht viel groͤſſer als ein Tann-Hirſch geſtaltet. §. 3. Die alten Jaͤger haben behau- ptet, daß man einen Hirſch ohn Beden- cken als jagdbar anſprechen koͤnte, wenn nemlich ſein Tritt oder Schaalen drey Finger breit zuruͤck blieben, und wenn er drey Schuhe wegſchritte. Die Hirſche ha- ben wegen ihren Thraͤnen vor allen Thie- ren etwas beſonders, maſſen dieſelben unter den Augen ein gewiſſes Behaͤltniß fuͤhren, welches etwas laͤnglicht, faſt ei- nes Gliedes tief in den Kopf gehet, in wel- chen er eine braune, zaͤhe und mit kurtzen Kopf-Haͤrlein vermengte und ſtarckrie- chende Materie hat, in Forme eines Dat- tel-Kerns, welche wie das Creutz in der Medicin vor ſehr kraͤfftig und dienlich ge- halten wird. §. 4. Wenn ein Hirſch uͤber vier Jahr iſt, ſo nimmt er in ſeinem Wachs- thum der Hoͤhe nicht mehr zu, hernach- mals legt er aufs Unſchlitt und Feiſte, und waͤchſet in die Breite. Sein Alter iſt 1.) an denen Roſen, das iſt, allwo ſel- bigen das Gehoͤrne und zwar jede Stange beſonders auf dem Kopf ſitzet, zu erken- nen, nemlich je naͤher ihm dieſe Roſen auf dem

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Zitationshilfe: Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 2. Leipzig, 1724, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fleming_jaeger02_1724/176>, abgerufen am 21.11.2024.