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Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 1. Leipzig, 1719.

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Anderer Theil/
[Spaltenumbruch] dem Kurtz-Wildpräth, Hoden oder Te-
sticulis
kömmt aller Zugang, Nahrung
und Krafft her, so zum Gehörn dienet,
weiln, so ein Hirsch-Kalb klein geschnit-
ten wird, es nimmer ein Gehörn bekömmt
und wenn er Kolben aufgesetzet, sich
aber durch Uberspringen an dem Orte
ritzen würde, oder Schaden thut, wird
solches knorricht, unförmlich, und krumb
verwachsen. Wann aber ein Hirsch, der
sein Gehörn trägt, in der Brunfft da-
selbst verletzet würde, so wird er das Ge-
hörn, so er träget, zeit Lebens behalten
müssen; Weil ihme der Zugang ver-
dorret; oder wird doch spater werffen
und als ein Kümmerer niemahls recht
auffsetzen können. Die Eigenschafft ei-
nes Hirsch-Gehörnes gleichet einer Ei-
chel, welche den Safft durch den Sten-
gel in die Muschel setzet, und den Zugang
dadurch hat, biß die Eichel reiff, harte
und dürre wird, endlich aber abfället.
Eben auf solche weise qvillet gleichsam,
nach abgeworffenem Gehörn oder Stan-
gen, das saltzigte Geblüth, so vom Kurtz-
Wildpräth seinen Zugang dahin hat,
zwischen Haut und Fleisch umbher, wie
ein Crantz in die Muschel, setzet sich mehr
und mehr oder häuffiger an, so viel nem-
lich die Natur heraus zwinget, und schwil-
let ferner empor, biß es von der Son-
nen-Wärme seinen Wachsthum er-
hält, zur völligen Zeitigung gelanget und
verecket wird, so innerhalb acht auch ze-
hen, biß zwölff Wochen geschicht. Dar-
über von der Lufft, Sonn und Regen
ein dünn blaulicht Häutlein gantz rauch
wächset, wird so lange die Kolben genen-
net, biß alle Enden verecket, ihren voll-
kommenen Wachsthum erlangen, und
hart werden. Sie halten sich, währen-
der Zeit, meistens in lichtem Holtze auff,
das weiche Gehörn zu schonen. Wenn
es nun vollkommen erwachsen und keni-
nen Zugang ferner zu hoffen, wachsen
von der Fäulung zwischen dem Gehörn
und Häutlein kleine Würmlein; Das
Bast vom Gehörn weiß der Hirsch in
ein Paar Tagen, auch offt in einer Nacht,
beym Thau und nassen Sträuchern
dergestalt reinlich abzusäubern, daß am
Kopff, Gehörn und Halß weder vom
Bast, noch Schweiß-Tropffen das
geringste zu sehen ist und streichet mit
demselben nach seiner Höhe an die jun-
gen langen Bircken und kleine Haar-
Weyden, hoch hinauff, biß das Bast alle
abgeschlagen. Das blosse Gehörn ist an-
[Spaltenumbruch] fänglich weiß, wird von der Lufft gel-
ber, endlich bräuner und von der Son-
nen-Hitze, nachdeme viel Marck darinnen,
schwärtzlicher ausgeprägelt und schwe-
rer. Die Spitzen derer Enden werden
durch viel Stossen in Erde, Sand und
Kießel vom steten Gebrauch weiß, und
durchs Wasser gereiniget. Weiln auch
das Hirsch-Gehörn, so vom Wind hart
gemachet, und vom innerlichen Marck
schwer worden, von hitziger, trockener
und spröder Natur überstandlich, und
nicht allein die Kälte des Windes, sondern
auch die frische Materie zum neuen Ge-
hörn die alten Spangen in denen Mu-
scheln abdrücket, verursachet es Jucken,
und machet daß sie das Gehörn in Sträu-
chern reißen, und also abfallen lassen.
Den Anfang zur Abwerffung des Ge-
hörns machen die alten und besten Hir-
sche gemeiniglich im Martio, ja die stärck-
sten und besten, nach dem die Landes-Art
ist, schon zu Anfang des Februarii; Die
geringern im April, die Sechser im Ma-
jo
und öffters später, die kleinern pfle-
gen solches noch im Augusto, zu thun;
Die Spiesser aber haben mehrentheils
zur Brunfft-Zeit noch ihr Gefäge. Es
giebet unter denen Hirschen unterschied-
liche Arten von Natur, Gestalt und Far-
ben, nehmlich bräunlichte, röthlichte und
gelblichte, sowohl langer als kurtzer Ge-
stalt, auch hurtig und träge. Ein Hirsch
ist, so er unvermuthet einen Wagen fah-
ren, oder einen Fuhrmann gewöhnlich
ruffen, singen oder pfeiffen höret, begierig,
solches anzusehen, und so er im Walde von
Wölffen verfolget wird, suchet er Zu-
flucht bey denen Menschen, sich zu retten.
Sonst hat ein Hirsch innerlich einen dop-
pelten Magen, wegen seines wiederkau-
ens, an der Leber aber ist keine Galle zu
finden, hingegen ist das Gescheide gantz
bitter, und hinten am Zimmel der Bür-
tzel innewendig grün und am Geschmack
auch bitter, daß ihn auch die Hunde nicht
fressen mögen: Deswegen einige solches
vor die Galle halten. Ein Hirsch soll
sehr alt werden, weil er des Jahres nur
einmahl die Geylheit brauchet und zu sol-
cher Zeit zornig ist, sonsten aber sehr di-
aet
lebet und seine Natur stets schonet,
wie nicht weniger durch gesunde Qvellen,
Wurtzeln und Kräuter alle Frühling
sein Geblüth reiniget, und sich also
stärcket; Genüsset nichts unverdauliches,
womit er sich verderben könne. Es ha-
ben die Alten gesaget, wann der Hirsch

die

Anderer Theil/
[Spaltenumbruch] dem Kurtz-Wildpraͤth, Hoden oder Te-
ſticulis
koͤmmt aller Zugang, Nahrung
und Krafft her, ſo zum Gehoͤrn dienet,
weiln, ſo ein Hirſch-Kalb klein geſchnit-
ten wird, es nimmer ein Gehoͤrn bekoͤm̃t
und wenn er Kolben aufgeſetzet, ſich
aber durch Uberſpringen an dem Orte
ritzen wuͤrde, oder Schaden thut, wird
ſolches knorricht, unfoͤrmlich, und krumb
verwachſen. Wann aber ein Hirſch, der
ſein Gehoͤrn traͤgt, in der Brunfft da-
ſelbſt verletzet wuͤrde, ſo wird er das Ge-
hoͤrn, ſo er traͤget, zeit Lebens behalten
muͤſſen; Weil ihme der Zugang ver-
dorret; oder wird doch ſpater werffen
und als ein Kuͤmmerer niemahls recht
auffſetzen koͤnnen. Die Eigenſchafft ei-
nes Hirſch-Gehoͤrnes gleichet einer Ei-
chel, welche den Safft durch den Sten-
gel in die Muſchel ſetzet, und den Zugang
dadurch hat, biß die Eichel reiff, harte
und duͤrre wird, endlich aber abfaͤllet.
Eben auf ſolche weiſe qvillet gleichſam,
nach abgeworffenem Gehoͤrn oder Stan-
gen, das ſaltzigte Gebluͤth, ſo vom Kurtz-
Wildpraͤth ſeinen Zugang dahin hat,
zwiſchen Haut und Fleiſch umbher, wie
ein Crantz in die Muſchel, ſetzet ſich mehr
und mehr oder haͤuffiger an, ſo viel nem-
lich die Natur heraus zwinget, und ſchwil-
let ferner empor, biß es von der Son-
nen-Waͤrme ſeinen Wachsthum er-
haͤlt, zur voͤlligen Zeitigung gelanget und
verecket wird, ſo innerhalb acht auch ze-
hen, biß zwoͤlff Wochen geſchicht. Dar-
uͤber von der Lufft, Sonn und Regen
ein duͤnn blaulicht Haͤutlein gantz rauch
waͤchſet, wird ſo lange die Kolben genen-
net, biß alle Enden verecket, ihren voll-
kommenen Wachsthum erlangen, und
hart werden. Sie halten ſich, waͤhren-
der Zeit, meiſtens in lichtem Holtze auff,
das weiche Gehoͤrn zu ſchonen. Wenn
es nun vollkommen erwachſen und kẽi-
nen Zugang ferner zu hoffen, wachſen
von der Faͤulung zwiſchen dem Gehoͤrn
und Haͤutlein kleine Wuͤrmlein; Das
Baſt vom Gehoͤrn weiß der Hirſch in
ein Paar Tagen, auch offt in einer Nacht,
beym Thau und naſſen Straͤuchern
dergeſtalt reinlich abzuſaͤubern, daß am
Kopff, Gehoͤrn und Halß weder vom
Baſt, noch Schweiß-Tropffen das
geringſte zu ſehen iſt und ſtreichet mit
demſelben nach ſeiner Hoͤhe an die jun-
gen langen Bircken und kleine Haar-
Weyden, hoch hinauff, biß das Baſt alle
abgeſchlagen. Das bloſſe Gehoͤrn iſt an-
[Spaltenumbruch] faͤnglich weiß, wird von der Lufft gel-
ber, endlich braͤuner und von der Son-
nen-Hitze, nachdeme viel Marck darinnen,
ſchwaͤrtzlicher ausgepraͤgelt und ſchwe-
rer. Die Spitzen derer Enden werden
durch viel Stoſſen in Erde, Sand und
Kießel vom ſteten Gebrauch weiß, und
durchs Waſſer gereiniget. Weiln auch
das Hirſch-Gehoͤrn, ſo vom Wind hart
gemachet, und vom innerlichen Marck
ſchwer worden, von hitziger, trockener
und ſproͤder Natur uͤberſtandlich, und
nicht allein die Kaͤlte des Windes, ſondern
auch die friſche Materie zum neuen Ge-
hoͤrn die alten Spangen in denen Mu-
ſcheln abdruͤcket, verurſachet es Jucken,
und machet daß ſie das Gehoͤrn in Straͤu-
chern reißen, und alſo abfallen laſſen.
Den Anfang zur Abwerffung des Ge-
hoͤrns machen die alten und beſten Hir-
ſche gemeiniglich im Martio, ja die ſtaͤrck-
ſten und beſten, nach dem die Landes-Art
iſt, ſchon zu Anfang des Februarii; Die
geringern im April, die Sechſer im Ma-
jo
und oͤffters ſpaͤter, die kleinern pfle-
gen ſolches noch im Auguſto, zu thun;
Die Spieſſer aber haben mehrentheils
zur Brunfft-Zeit noch ihr Gefaͤge. Es
giebet unter denen Hirſchen unterſchied-
liche Arten von Natur, Geſtalt und Far-
ben, nehmlich braͤunlichte, roͤthlichte und
gelblichte, ſowohl langer als kurtzer Ge-
ſtalt, auch hurtig und traͤge. Ein Hirſch
iſt, ſo er unvermuthet einen Wagen fah-
ren, oder einen Fuhrmann gewoͤhnlich
ruffen, ſingen oder pfeiffen hoͤret, begierig,
ſolches anzuſehen, und ſo er im Walde von
Woͤlffen verfolget wird, ſuchet er Zu-
flucht bey denen Menſchen, ſich zu retten.
Sonſt hat ein Hirſch innerlich einen dop-
pelten Magen, wegen ſeines wiederkau-
ens, an der Leber aber iſt keine Galle zu
finden, hingegen iſt das Geſcheide gantz
bitter, und hinten am Zimmel der Buͤr-
tzel innewendig gruͤn und am Geſchmack
auch bitter, daß ihn auch die Hunde nicht
freſſen moͤgen: Deswegen einige ſolches
vor die Galle halten. Ein Hirſch ſoll
ſehr alt werden, weil er des Jahres nur
einmahl die Geylheit brauchet und zu ſol-
cher Zeit zornig iſt, ſonſten aber ſehr di-
æt
lebet und ſeine Natur ſtets ſchonet,
wie nicht weniger durch geſunde Qvellen,
Wurtzeln und Kraͤuter alle Fruͤhling
ſein Gebluͤth reiniget, und ſich alſo
ſtaͤrcket; Genuͤſſet nichts unverdauliches,
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ben die Alten geſaget, wann der Hirſch

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 1. Leipzig, 1719, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fleming_jaeger01_1719/184>, abgerufen am 26.04.2024.