Die Einsicht, daß sich unser gesammter sinnlicher Wirk¬ lichkeitsbesitz auf Wahrnehmungs- und Vorstellungsvor¬ kommnisse beschränkt, die nicht einen gleichmäßig dauernden Zustand, sondern ein Kommen und Gehen, ein Entstehen und Verschwinden, ein Werden und Vergehen darstellen diese Einsicht führt uns dazu, in der Wirklichkeit nicht nur ein flüchtiges, sondern auch ein vielfach unentwickeltes oder verkümmertes Gebilde zu erkennen. In Ansehung der wunderbaren, formen- und farbenreichen Welt, in der wir leben, die unsere Sinne bald auf das Kleine und Nahe festbannt, bald in die Ferne lockt, um ihnen das Größte zugänglich zu machen, die sich bald in festester stofflicher Gegenwart aufdrängt, bald in anscheinend stofflosester Er¬ scheinung sich doch immer noch als sinnlich vorhanden er¬ weist, in Ansehung dieser Welt, die wir als etwas so un¬ begreiflich Kunstreiches und Vollendetes erkennen, mag es uns schwer werden, dies zuzugeben. Aber wir sind in Betreff des Zustandes unseres sogenannten sinnlichen Wirk¬ lichkeitsbesitzes nicht geringeren und nicht weniger ver¬
3.
Die Einſicht, daß ſich unſer geſammter ſinnlicher Wirk¬ lichkeitsbeſitz auf Wahrnehmungs- und Vorſtellungsvor¬ kommniſſe beſchränkt, die nicht einen gleichmäßig dauernden Zuſtand, ſondern ein Kommen und Gehen, ein Entſtehen und Verſchwinden, ein Werden und Vergehen darſtellen dieſe Einſicht führt uns dazu, in der Wirklichkeit nicht nur ein flüchtiges, ſondern auch ein vielfach unentwickeltes oder verkümmertes Gebilde zu erkennen. In Anſehung der wunderbaren, formen- und farbenreichen Welt, in der wir leben, die unſere Sinne bald auf das Kleine und Nahe feſtbannt, bald in die Ferne lockt, um ihnen das Größte zugänglich zu machen, die ſich bald in feſteſter ſtofflicher Gegenwart aufdrängt, bald in anſcheinend ſtoffloſeſter Er¬ ſcheinung ſich doch immer noch als ſinnlich vorhanden er¬ weiſt, in Anſehung dieſer Welt, die wir als etwas ſo un¬ begreiflich Kunſtreiches und Vollendetes erkennen, mag es uns ſchwer werden, dies zuzugeben. Aber wir ſind in Betreff des Zuſtandes unſeres ſogenannten ſinnlichen Wirk¬ lichkeitsbeſitzes nicht geringeren und nicht weniger ver¬
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3.
Die Einſicht, daß ſich unſer geſammter ſinnlicher Wirk¬
lichkeitsbeſitz auf Wahrnehmungs- und Vorſtellungsvor¬
kommniſſe beſchränkt, die nicht einen gleichmäßig dauernden
Zuſtand, ſondern ein Kommen und Gehen, ein Entſtehen
und Verſchwinden, ein Werden und Vergehen darſtellen
dieſe Einſicht führt uns dazu, in der Wirklichkeit nicht
nur ein flüchtiges, ſondern auch ein vielfach unentwickeltes
oder verkümmertes Gebilde zu erkennen. In Anſehung der
wunderbaren, formen- und farbenreichen Welt, in der wir
leben, die unſere Sinne bald auf das Kleine und Nahe
feſtbannt, bald in die Ferne lockt, um ihnen das Größte
zugänglich zu machen, die ſich bald in feſteſter ſtofflicher
Gegenwart aufdrängt, bald in anſcheinend ſtoffloſeſter Er¬
ſcheinung ſich doch immer noch als ſinnlich vorhanden er¬
weiſt, in Anſehung dieſer Welt, die wir als etwas ſo un¬
begreiflich Kunſtreiches und Vollendetes erkennen, mag es
uns ſchwer werden, dies zuzugeben. Aber wir ſind in
Betreff des Zuſtandes unſeres ſogenannten ſinnlichen Wirk¬
lichkeitsbeſitzes nicht geringeren und nicht weniger ver¬
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. [50]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/62>, abgerufen am 04.03.2025.
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