Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.I. Buch. II. Theil. II. Titel. II. Abschnitt. an welche das Gesetz die ordentliche Strafe ge-knüpft hat. Denn die Grösse der Strafe in dem Gesetz wird bestimmt durch die Gefährlich- keit der That, welche aus den in dem Gesetz benannten Merkmalen erkannt wird. Die volle Strafe correspondirt also nur allen ge- setzlichen Requisiten der That zusammenge- nommen. Wenn aber gewisse gesetzliche Merkmale der That nicht existiren, während andere vorhanden sind, so ist darum die Hand- lung nicht völlig straflos, weil sie durch die noch vorhandenen Requisite unter dem Gesetze steht und jedes einzelne vorausgesetze Requisit vom Gesetz als ein Grund der Strafbarkeit be- trachtet wird *). Da nun bey einer solchen Voraussetzung die volle Strafe nicht anwend- bar, auch nicht volle Straflosigkeit vorhan- den ist; so muss eine gelindere Strafe angewen- det werden. §. 105. Aus diesem Grund findet Milderung statt zwey- *) Denn das Gesetz nahm jedes einzelne Requisit der
That als Voraussetzung bey der von ihm bestimm- ten Strafe auf; jedes einzelne Requisit wirkt also in der Vorstellung des Gesetzgebers auf die Bestim- mung der gesetzlichen Strafe. I. Buch. II. Theil. II. Titel. II. Abſchnitt. an welche das Geſetz die ordentliche Strafe ge-knüpft hat. Denn die Gröſse der Strafe in dem Geſetz wird beſtimmt durch die Gefährlich- keit der That, welche aus den in dem Geſetz benannten Merkmalen erkannt wird. Die volle Strafe correſpondirt alſo nur allen ge- ſetzlichen Requiſiten der That zuſammenge- nommen. Wenn aber gewiſſe geſetzliche Merkmale der That nicht exiſtiren, während andere vorhanden ſind, ſo iſt darum die Hand- lung nicht völlig ſtraflos, weil ſie durch die noch vorhandenen Requiſite unter dem Geſetze ſteht und jedes einzelne vorausgeſetze Requiſit vom Geſetz als ein Grund der Strafbarkeit be- trachtet wird *). Da nun bey einer ſolchen Vorauſſetzung die volle Strafe nicht anwend- bar, auch nicht volle Strafloſigkeit vorhan- den iſt; ſo muſs eine gelindere Strafe angewen- det werden. §. 105. Aus dieſem Grund findet Milderung ſtatt zwey- *) Denn das Geſetz nahm jedes einzelne Requiſit der
That als Vorauſſetzung bey der von ihm beſtimm- ten Strafe auf; jedes einzelne Requiſit wirkt alſo in der Vorſtellung des Geſetzgebers auf die Beſtim- mung der geſetzlichen Strafe. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <div n="9"> <div n="10"> <p><pb facs="#f0110" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">I. Buch. II. Theil. II. Titel. II. Abſchnitt.</hi></fw><lb/><hi rendition="#i">an welche das Geſetz die ordentliche Strafe ge-<lb/> knüpft hat.</hi> Denn die Gröſse der Strafe in dem<lb/> Geſetz wird beſtimmt durch die Gefährlich-<lb/> keit der That, welche aus den in dem Geſetz<lb/> benannten Merkmalen erkannt wird. Die<lb/> volle Strafe correſpondirt alſo nur allen ge-<lb/> ſetzlichen Requiſiten der That zuſammenge-<lb/> nommen. Wenn aber gewiſſe geſetzliche<lb/> Merkmale der That nicht exiſtiren, während<lb/> andere vorhanden ſind, ſo iſt darum die Hand-<lb/> lung nicht völlig ſtraflos, weil ſie durch die<lb/> noch vorhandenen Requiſite unter dem Geſetze<lb/> ſteht und jedes einzelne vorausgeſetze Requiſit<lb/> vom Geſetz als ein Grund der Strafbarkeit be-<lb/> trachtet wird <note place="foot" n="*)">Denn das Geſetz nahm jedes einzelne Requiſit der<lb/> That als Vorauſſetzung bey der von ihm beſtimm-<lb/> ten Strafe auf; jedes einzelne Requiſit wirkt alſo<lb/> in der Vorſtellung des Geſetzgebers auf die Beſtim-<lb/> mung der geſetzlichen Strafe.</note>. Da nun bey einer ſolchen<lb/> Vorauſſetzung die volle Strafe nicht anwend-<lb/> bar, auch nicht volle Strafloſigkeit vorhan-<lb/> den iſt; ſo muſs eine gelindere Strafe angewen-<lb/> det werden.</p> </div><lb/> <div n="10"> <head>§. 105.</head><lb/> <p>Aus dieſem Grund findet Milderung ſtatt<lb/> 1) wenn die Nichtexiſtenz gewiſſer geſetzlichen<lb/> Requiſite der That <hi rendition="#i">juridiſch gewiſs iſt. — Man-<lb/> gel an dem Thatbeſtande;</hi> 2 wenn für die Exi-<lb/> ſtenz aller geſetzlichen Requiſite der That keine<lb/> juridiſche Gewiſsheit vorhanden, alſo ein Theil<lb/> der Requiſite erwieſen, ein anderer juridiſch<lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#i">zwey-</hi></fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [82/0110]
I. Buch. II. Theil. II. Titel. II. Abſchnitt.
an welche das Geſetz die ordentliche Strafe ge-
knüpft hat. Denn die Gröſse der Strafe in dem
Geſetz wird beſtimmt durch die Gefährlich-
keit der That, welche aus den in dem Geſetz
benannten Merkmalen erkannt wird. Die
volle Strafe correſpondirt alſo nur allen ge-
ſetzlichen Requiſiten der That zuſammenge-
nommen. Wenn aber gewiſſe geſetzliche
Merkmale der That nicht exiſtiren, während
andere vorhanden ſind, ſo iſt darum die Hand-
lung nicht völlig ſtraflos, weil ſie durch die
noch vorhandenen Requiſite unter dem Geſetze
ſteht und jedes einzelne vorausgeſetze Requiſit
vom Geſetz als ein Grund der Strafbarkeit be-
trachtet wird *). Da nun bey einer ſolchen
Vorauſſetzung die volle Strafe nicht anwend-
bar, auch nicht volle Strafloſigkeit vorhan-
den iſt; ſo muſs eine gelindere Strafe angewen-
det werden.
§. 105.
Aus dieſem Grund findet Milderung ſtatt
1) wenn die Nichtexiſtenz gewiſſer geſetzlichen
Requiſite der That juridiſch gewiſs iſt. — Man-
gel an dem Thatbeſtande; 2 wenn für die Exi-
ſtenz aller geſetzlichen Requiſite der That keine
juridiſche Gewiſsheit vorhanden, alſo ein Theil
der Requiſite erwieſen, ein anderer juridiſch
zwey-
*) Denn das Geſetz nahm jedes einzelne Requiſit der
That als Vorauſſetzung bey der von ihm beſtimm-
ten Strafe auf; jedes einzelne Requiſit wirkt alſo
in der Vorſtellung des Geſetzgebers auf die Beſtim-
mung der geſetzlichen Strafe.
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Zitationshilfe: | Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/110>, abgerufen am 22.02.2025. |