Geiste aus: den Geist, von der Materie aus: die Materie ne- giren. Liebe ist Materialismus. Immaterielle Liebe ist ein Unding. Aber zugleich ist die Liebe der Idealismus der Natur*). Liebe ist Esprit. Nur die Liebe macht die Nach- tigall zur Sängerin; nur die Liebe schmückt die Befruchtungs- werkzeuge der Pflanze mit einer Blumenkrone. Und welche Wunder thut nicht die Liebe selbst in unserm gemeinen bürger- lichen Leben! Was der Glaube, die Confession, der Wahn trennt, verbindet die Liebe. Selbst unsre hohe Noblesse iden- tificirt humoristisch genug die Liebe mit dem bürgerlichen Pö- bel. Was die alten Mystiker von Gott sagten, daß er das höchste und doch das gemeinste Wesen sei, das gilt in Wahr- heit von der Liebe, und zwar nicht einer erträumten, imaginä- ren Liebe, nein! von der wirklichen Liebe, von der Liebe, die Fleisch und Blut hat, von der Liebe, die alle lebendigen Wesen als eine allgemeine Macht durchbebt.
Das Geheimniß der Incarnation oder Gott als Liebe, als Herzenswesen.
Das Bewußtsein der Liebe ist es, wodurch sich der Mensch mit Gott oder vielmehr mit sich, mit seinem Wesen, welches er im Gesetz als ein andres Wesen sich gegenüberstellt, ver- söhnt. Die Anschauung, das Bewußtsein der göttlichen Liebe, oder, was eins ist, Gottes als eines selbst menschlichen Wesens -- diese Anschauung ist das Geheimniß der
*) Der Unterschied zwischen dem Idealismus -- wenigstens dem wah- ren, naturbegründeten Idealismus -- und dem Materialismus ist nur die- ser, daß jener ein geist- und sinnvoller Materialismus, dieser aber, der gewöhnlich so genannte Materialismus aber geistloser Materialismus ist.
Geiſte aus: den Geiſt, von der Materie aus: die Materie ne- giren. Liebe iſt Materialismus. Immaterielle Liebe iſt ein Unding. Aber zugleich iſt die Liebe der Idealismus der Natur*). Liebe iſt Esprit. Nur die Liebe macht die Nach- tigall zur Sängerin; nur die Liebe ſchmückt die Befruchtungs- werkzeuge der Pflanze mit einer Blumenkrone. Und welche Wunder thut nicht die Liebe ſelbſt in unſerm gemeinen bürger- lichen Leben! Was der Glaube, die Confeſſion, der Wahn trennt, verbindet die Liebe. Selbſt unſre hohe Nobleſſe iden- tificirt humoriſtiſch genug die Liebe mit dem bürgerlichen Pö- bel. Was die alten Myſtiker von Gott ſagten, daß er das höchſte und doch das gemeinſte Weſen ſei, das gilt in Wahr- heit von der Liebe, und zwar nicht einer erträumten, imaginä- ren Liebe, nein! von der wirklichen Liebe, von der Liebe, die Fleiſch und Blut hat, von der Liebe, die alle lebendigen Weſen als eine allgemeine Macht durchbebt.
Das Geheimniß der Incarnation oder Gott als Liebe, als Herzensweſen.
Das Bewußtſein der Liebe iſt es, wodurch ſich der Menſch mit Gott oder vielmehr mit ſich, mit ſeinem Weſen, welches er im Geſetz als ein andres Weſen ſich gegenüberſtellt, ver- ſöhnt. Die Anſchauung, das Bewußtſein der göttlichen Liebe, oder, was eins iſt, Gottes als eines ſelbſt menſchlichen Weſens — dieſe Anſchauung iſt das Geheimniß der
*) Der Unterſchied zwiſchen dem Idealismus — wenigſtens dem wah- ren, naturbegründeten Idealismus — und dem Materialismus iſt nur die- ſer, daß jener ein geiſt- und ſinnvoller Materialismus, dieſer aber, der gewöhnlich ſo genannte Materialismus aber geiſtloſer Materialismus iſt.
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Geiſte aus: den Geiſt, von der Materie aus: die Materie ne-
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ein Unding. Aber zugleich iſt die Liebe der Idealismus der
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tigall zur Sängerin; nur die Liebe ſchmückt die Befruchtungs-
werkzeuge der Pflanze mit einer Blumenkrone. Und welche
Wunder thut nicht die Liebe ſelbſt in unſerm gemeinen bürger-
lichen Leben! Was der Glaube, die Confeſſion, der Wahn
trennt, verbindet die Liebe. Selbſt unſre hohe Nobleſſe iden-
tificirt humoriſtiſch genug die Liebe mit dem bürgerlichen Pö-
bel. Was die alten Myſtiker von Gott ſagten, daß er das
höchſte und doch das gemeinſte Weſen ſei, das gilt in Wahr-
heit von der Liebe, und zwar nicht einer erträumten, imaginä-
ren Liebe, nein! von der wirklichen Liebe, von der Liebe, die
Fleiſch und Blut hat, von der Liebe, die alle lebendigen
Weſen als eine allgemeine Macht durchbebt.
Das Geheimniß der Incarnation oder Gott als Liebe,
als Herzensweſen.
Das Bewußtſein der Liebe iſt es, wodurch ſich der Menſch
mit Gott oder vielmehr mit ſich, mit ſeinem Weſen, welches
er im Geſetz als ein andres Weſen ſich gegenüberſtellt, ver-
ſöhnt. Die Anſchauung, das Bewußtſein der göttlichen Liebe,
oder, was eins iſt, Gottes als eines ſelbſt menſchlichen
Weſens — dieſe Anſchauung iſt das Geheimniß der
*) Der Unterſchied zwiſchen dem Idealismus — wenigſtens dem wah-
ren, naturbegründeten Idealismus — und dem Materialismus iſt nur die-
ſer, daß jener ein geiſt- und ſinnvoller Materialismus, dieſer aber, der
gewöhnlich ſo genannte Materialismus aber geiſtloſer Materialismus iſt.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/66>, abgerufen am 23.02.2025.
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