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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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Folgende Relation zeiget, wie man sich nicht allemal an
die vorgeschriebenen Regeln derer Gelehrten binden
dürffe, welches doch ihrer viele mit grosser Hart-
näckigkeit
praetendiren.

ZWey Tage hernach, als der berühmte Poet Torquatus Tassus, in den Par-
nassum
aufgenommen worden, übergab er Ihrer Parnassischen Majestät
sein überaus schönes und herrliches Gedicht, wie Jerusalem, von dem von
Bouillon, liberiret und befreyet worden hielte darneben an, Ihro Parnassische
Majestät möchten ihnen belieben lassen, solches, woferne es tüchtig befunden
würde, mit der Unsterblichkeit zu begnadigen. Ihro Parnassische Majestät
nahmen es mit frölichem Hertzen an, liessen es, altem löblichen Gebrauch nach,
dem Bibliothecario, Castelvetro zu übersehen, zustellen. Nach einigen Wo-
chen verfügte sich Torquatus Tassus zu gedachtem Castelvetro, der ihm anzeig-
te, wie er sein übergebenes Werck mit allem Fleiß durchsehen, befände aber so
viel darinnen, daß er die Regeln, welche Aristoteles denen Poeten vorgeschrie-
ben, nicht observiret und in Obacht genommen hätte, hielte es derowegen vor
untüchtig unter die berühmten Autores dieser Bibliothec gestellet zu werden.
Er solte die noch übrigen Fehler darinnen corrigiren und verbessern, und sich
alsdann bey ihm wieder anmelden. Uber diesen unverhofften Bescheid
wurde Tassus nicht wenig bestürtzt, erhube sich derowegen, in Unwillen
zu dem Apollo, und sagte, wie er dieses Werck mit saurem Schweiß
zusammen getragen, auch seinen Kopff und Schlaff mehrmahlen
darüber zer- und unterbrochen, habe darinnen auf nichts als auf
die Gabe, so ihm die Natur mitgetheilet, und auf die guten Einfälle, so
ihm die
Musen inspiriret, gesehen, hielte demnach davor denen Re-
geln, so
Aristoteles vorgeschrieben, in allem genug gethan zu haben.
Denn weil Ihro
Parnassische Majestät wegen selbiger kein Gesetz publici-
ret oder ausgehen lassen, so könne er auch nicht sehen aus was Macht
Aristoteles sich unterfangen dörffte, Ziel und Maaß darinnen vorzu-
schreiben. Hiernechst habe er niemalen von einem andern Ober-Herrn
in dem
Parnasso, als von dem Apolline und denen Musen gehöret. Sein
Verbrechen, daß er dem Befehl
Aristotelis nicht nachgekommen, rühre
vielmehr aus Unwissenheit als aus Boßheit her.
Uber dieser des Tassi
Rede wurde Apollo dermassen gegen den Aristotelem erzürnet (wie derer

gros-
Folgende Relation zeiget, wie man ſich nicht allemal an
die vorgeſchriebenen Regeln derer Gelehrten binden
duͤrffe, welches doch ihrer viele mit groſſer Hart-
naͤckigkeit
prætendiren.

ZWey Tage hernach, als der beruͤhmte Poët Torquatus Taſſus, in den Par-
naſſum
aufgenommen worden, uͤbergab er Ihrer Parnaſſiſchen Majeſtaͤt
ſein uͤberaus ſchoͤnes und herrliches Gedicht, wie Jeruſalem, von dem von
Bouillon, liberiret und befreyet worden hielte darneben an, Ihro Parnaſſiſche
Majeſtaͤt moͤchten ihnen belieben laſſen, ſolches, woferne es tuͤchtig befunden
wuͤrde, mit der Unſterblichkeit zu begnadigen. Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt
nahmen es mit froͤlichem Hertzen an, lieſſen es, altem loͤblichen Gebrauch nach,
dem Bibliothecario, Caſtelvetro zu uͤberſehen, zuſtellen. Nach einigen Wo-
chen verfuͤgte ſich Torquatus Taſſus zu gedachtem Caſtelvetro, der ihm anzeig-
te, wie er ſein uͤbergebenes Werck mit allem Fleiß durchſehen, befaͤnde aber ſo
viel darinnen, daß er die Regeln, welche Ariſtoteles denen Poëten vorgeſchrie-
ben, nicht obſerviret und in Obacht genommen haͤtte, hielte es derowegen vor
untuͤchtig unter die beruͤhmten Autores dieſer Bibliothec geſtellet zu werden.
Er ſolte die noch uͤbrigen Fehler darinnen corrigiren und verbeſſern, und ſich
alsdann bey ihm wieder anmelden. Uber dieſen unverhofften Beſcheid
wurde Taſſus nicht wenig beſtuͤrtzt, erhube ſich derowegen, in Unwillen
zu dem Apollo, und ſagte, wie er dieſes Werck mit ſaurem Schweiß
zuſammen getragen, auch ſeinen Kopff und Schlaff mehrmahlen
daruͤber zer- und unterbrochen, habe darinnen auf nichts als auf
die Gabe, ſo ihm die Natur mitgetheilet, und auf die guten Einfaͤlle, ſo
ihm die
Muſen inſpiriret, geſehen, hielte demnach davor denen Re-
geln, ſo
Ariſtoteles vorgeſchrieben, in allem genug gethan zu haben.
Denn weil Ihro
Parnaſſiſche Majeſtaͤt wegen ſelbiger kein Geſetz publici-
ret oder ausgehen laſſen, ſo koͤnne er auch nicht ſehen aus was Macht
Ariſtoteles ſich unterfangen doͤrffte, Ziel und Maaß darinnen vorzu-
ſchreiben. Hiernechſt habe er niemalen von einem andern Ober-Herrn
in dem
Parnaſſo, als von dem Apolline und denen Muſen gehoͤret. Sein
Verbrechen, daß er dem Befehl
Ariſtotelis nicht nachgekommen, ruͤhre
vielmehr aus Unwiſſenheit als aus Boßheit her.
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Rede wurde Apollo dermaſſen gegen den Ariſtotelem erzuͤrnet (wie derer

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[127/0171] Folgende Relation zeiget, wie man ſich nicht allemal an die vorgeſchriebenen Regeln derer Gelehrten binden duͤrffe, welches doch ihrer viele mit groſſer Hart- naͤckigkeit prætendiren. ZWey Tage hernach, als der beruͤhmte Poët Torquatus Taſſus, in den Par- naſſum aufgenommen worden, uͤbergab er Ihrer Parnaſſiſchen Majeſtaͤt ſein uͤberaus ſchoͤnes und herrliches Gedicht, wie Jeruſalem, von dem von Bouillon, liberiret und befreyet worden hielte darneben an, Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt moͤchten ihnen belieben laſſen, ſolches, woferne es tuͤchtig befunden wuͤrde, mit der Unſterblichkeit zu begnadigen. Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt nahmen es mit froͤlichem Hertzen an, lieſſen es, altem loͤblichen Gebrauch nach, dem Bibliothecario, Caſtelvetro zu uͤberſehen, zuſtellen. Nach einigen Wo- chen verfuͤgte ſich Torquatus Taſſus zu gedachtem Caſtelvetro, der ihm anzeig- te, wie er ſein uͤbergebenes Werck mit allem Fleiß durchſehen, befaͤnde aber ſo viel darinnen, daß er die Regeln, welche Ariſtoteles denen Poëten vorgeſchrie- ben, nicht obſerviret und in Obacht genommen haͤtte, hielte es derowegen vor untuͤchtig unter die beruͤhmten Autores dieſer Bibliothec geſtellet zu werden. Er ſolte die noch uͤbrigen Fehler darinnen corrigiren und verbeſſern, und ſich alsdann bey ihm wieder anmelden. Uber dieſen unverhofften Beſcheid wurde Taſſus nicht wenig beſtuͤrtzt, erhube ſich derowegen, in Unwillen zu dem Apollo, und ſagte, wie er dieſes Werck mit ſaurem Schweiß zuſammen getragen, auch ſeinen Kopff und Schlaff mehrmahlen daruͤber zer- und unterbrochen, habe darinnen auf nichts als auf die Gabe, ſo ihm die Natur mitgetheilet, und auf die guten Einfaͤlle, ſo ihm die Muſen inſpiriret, geſehen, hielte demnach davor denen Re- geln, ſo Ariſtoteles vorgeſchrieben, in allem genug gethan zu haben. Denn weil Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt wegen ſelbiger kein Geſetz publici- ret oder ausgehen laſſen, ſo koͤnne er auch nicht ſehen aus was Macht Ariſtoteles ſich unterfangen doͤrffte, Ziel und Maaß darinnen vorzu- ſchreiben. Hiernechſt habe er niemalen von einem andern Ober-Herrn in dem Parnaſſo, als von dem Apolline und denen Muſen gehoͤret. Sein Verbrechen, daß er dem Befehl Ariſtotelis nicht nachgekommen, ruͤhre vielmehr aus Unwiſſenheit als aus Boßheit her. Uber dieſer des Taſſi Rede wurde Apollo dermaſſen gegen den Ariſtotelem erzuͤrnet (wie derer groſ-

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/171>, abgerufen am 30.12.2024.