Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Estor, Johann Georg: Der Teutschen rechtsgelahrheit. Bd. 3. Frankfurt (Main), 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
XII haubtstück
§ 105
von den armen,
und dem ar-
men-rechte.

Ein armer kan auch wohl seyn, welcher derma-
len von einkünften, und vom gelte entblösset ist.
Allso kan einer in krigesläuften wohl rittergüter
haben, auch ein capitalist seyn, und doch kein gelt
haben; mithin die proceß-kosten nicht tragen. Dise
heissen vermögende arme. Disen gebüret eben-
falls, nach befinden, das armen-recht. Man hat
nächst dem, arme im processe, und allmosen-bedürf-
tige, bettler; (egenus) der nichts hat: mithin we-
der bewegliche, noch unbewegliche güter besizet.
Das wort: arm, arme leute etc. hat mancherlei be-
deutungen, Haltaus sp. 52 fg., und sp. 160, unter
bettelstab, repertorium iur. priuati im Iten th. s.
302 fg. daher sind sie zweierlei, 1) nach dem pro-
cesse, 2) nach dem unterhalte. Jn Sachsen, nach
dem processe sind solche arm, welche keine 50 Mfl.
in vermögen haben. Das römische recht sezet die
summe auf 50 aureos, Gaill obs. cam. lib. 1065
142 n. 8. Jn Teutschlande sihet man hirbei auf
den zustand, und die beschaffenheit, auch die würde,
und kömmt eben auf die summe nicht an, ob es 20
und merere gulden sind; sondern es ist genug, wenn
einer schwören kan: daß er nicht im stande sei: so
vil aufzubringen, als die proceß-kosten, und advo-
caten-gebüren erfodern, und sie zu bezalen, auch
nicht so vil verdinen könne. Schon in den älteren
zeiten sorgeten die Teutsche für den armen so gut,
als für den reichen, um ihm recht zu schaffen, re-
pert. iur. priu.
th. I s. 303, § 2, a. Daher auch
die armen-sachen von jeher für sehr befreiet geach-
tet worden sind. Die erbarmungswürdige perso-
nen standen unter den notarien, und deren aufsicht.
Derjenige, welcher zum armenrechte gelassen seyn
will, muß sich desfalls bei dem richter gebürend
melden; anbeneben die armut beglaubigen: in

betracht
XII haubtſtuͤck
§ 105
von den armen,
und dem ar-
men-rechte.

Ein armer kan auch wohl ſeyn, welcher derma-
len von einkuͤnften, und vom gelte entbloͤſſet iſt.
Allſo kan einer in krigeslaͤuften wohl ritterguͤter
haben, auch ein capitaliſt ſeyn, und doch kein gelt
haben; mithin die proceß-koſten nicht tragen. Diſe
heiſſen vermoͤgende arme. Diſen gebuͤret eben-
falls, nach befinden, das armen-recht. Man hat
naͤchſt dem, arme im proceſſe, und allmoſen-beduͤrf-
tige, bettler; (egenus) der nichts hat: mithin we-
der bewegliche, noch unbewegliche guͤter beſizet.
Das wort: arm, arme leute ꝛc. hat mancherlei be-
deutungen, Haltaus ſp. 52 fg., und ſp. 160, unter
bettelſtab, repertorium iur. priuati im Iten th. ſ.
302 fg. daher ſind ſie zweierlei, 1) nach dem pro-
ceſſe, 2) nach dem unterhalte. Jn Sachſen, nach
dem proceſſe ſind ſolche arm, welche keine 50 Mfl.
in vermoͤgen haben. Das roͤmiſche recht ſezet die
ſumme auf 50 aureos, Gaill obſ. cam. lib. 1065
142 n. 8. Jn Teutſchlande ſihet man hirbei auf
den zuſtand, und die beſchaffenheit, auch die wuͤrde,
und koͤmmt eben auf die ſumme nicht an, ob es 20
und merere gulden ſind; ſondern es iſt genug, wenn
einer ſchwoͤren kan: daß er nicht im ſtande ſei: ſo
vil aufzubringen, als die proceß-koſten, und advo-
caten-gebuͤren erfodern, und ſie zu bezalen, auch
nicht ſo vil verdinen koͤnne. Schon in den aͤlteren
zeiten ſorgeten die Teutſche fuͤr den armen ſo gut,
als fuͤr den reichen, um ihm recht zu ſchaffen, re-
pert. iur. priu.
th. I ſ. 303, § 2, a. Daher auch
die armen-ſachen von jeher fuͤr ſehr befreiet geach-
tet worden ſind. Die erbarmungswuͤrdige perſo-
nen ſtanden unter den notarien, und deren aufſicht.
Derjenige, welcher zum armenrechte gelaſſen ſeyn
will, muß ſich desfalls bei dem richter gebuͤrend
melden; anbeneben die armut beglaubigen: in

betracht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0144" n="120"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XII</hi> haubt&#x017F;tu&#x0364;ck</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§ 105</head><lb/>
          <note place="left">von den armen,<lb/>
und dem ar-<lb/>
men-rechte.</note>
          <p>Ein armer kan auch wohl &#x017F;eyn, welcher derma-<lb/>
len von einku&#x0364;nften, und vom gelte entblo&#x0364;&#x017F;&#x017F;et i&#x017F;t.<lb/>
All&#x017F;o kan einer in krigesla&#x0364;uften wohl rittergu&#x0364;ter<lb/>
haben, auch ein capitali&#x017F;t &#x017F;eyn, und doch kein gelt<lb/>
haben; mithin die proceß-ko&#x017F;ten nicht tragen. Di&#x017F;e<lb/>
hei&#x017F;&#x017F;en vermo&#x0364;gende arme. Di&#x017F;en gebu&#x0364;ret eben-<lb/>
falls, nach befinden, das armen-recht. Man hat<lb/>
na&#x0364;ch&#x017F;t dem, arme im proce&#x017F;&#x017F;e, und allmo&#x017F;en-bedu&#x0364;rf-<lb/>
tige, bettler; (<hi rendition="#aq">egenus</hi>) der nichts hat: mithin we-<lb/>
der bewegliche, noch unbewegliche gu&#x0364;ter be&#x017F;izet.<lb/>
Das wort: <hi rendition="#fr">arm, arme leute</hi> &#xA75B;c. hat mancherlei be-<lb/>
deutungen, <hi rendition="#fr">Haltaus</hi> &#x017F;p. 52 fg., und &#x017F;p. 160, unter<lb/><hi rendition="#fr">bettel&#x017F;tab,</hi> <hi rendition="#aq">repertorium iur. priuati</hi> im <hi rendition="#aq">I</hi>ten th. &#x017F;.<lb/>
302 fg. daher &#x017F;ind &#x017F;ie zweierlei, 1) nach dem pro-<lb/>
ce&#x017F;&#x017F;e, 2) nach dem unterhalte. Jn Sach&#x017F;en, nach<lb/>
dem proce&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind &#x017F;olche arm, welche keine 50 Mfl.<lb/>
in vermo&#x0364;gen haben. Das ro&#x0364;mi&#x017F;che recht &#x017F;ezet die<lb/>
&#x017F;umme auf 50 aureos, <hi rendition="#fr">Gaill</hi> <hi rendition="#aq">ob&#x017F;. cam. lib.</hi> 1065<lb/>
142 n. 8. Jn Teut&#x017F;chlande &#x017F;ihet man hirbei auf<lb/>
den zu&#x017F;tand, und die be&#x017F;chaffenheit, auch die wu&#x0364;rde,<lb/>
und ko&#x0364;mmt eben auf die &#x017F;umme nicht an, ob es 20<lb/>
und merere gulden &#x017F;ind; &#x017F;ondern es i&#x017F;t genug, wenn<lb/>
einer &#x017F;chwo&#x0364;ren kan: daß er nicht im &#x017F;tande &#x017F;ei: &#x017F;o<lb/>
vil aufzubringen, als die proceß-ko&#x017F;ten, und advo-<lb/>
caten-gebu&#x0364;ren erfodern, und &#x017F;ie zu bezalen, auch<lb/>
nicht &#x017F;o vil verdinen ko&#x0364;nne. Schon in den a&#x0364;lteren<lb/>
zeiten &#x017F;orgeten die Teut&#x017F;che fu&#x0364;r den armen &#x017F;o gut,<lb/>
als fu&#x0364;r den reichen, um ihm recht zu &#x017F;chaffen, <hi rendition="#aq">re-<lb/>
pert. iur. priu.</hi> th. <hi rendition="#aq">I</hi> &#x017F;. 303, § 2, <hi rendition="#aq">a.</hi> Daher auch<lb/>
die armen-&#x017F;achen von jeher fu&#x0364;r &#x017F;ehr befreiet geach-<lb/>
tet worden &#x017F;ind. Die erbarmungswu&#x0364;rdige per&#x017F;o-<lb/>
nen &#x017F;tanden unter den notarien, und deren auf&#x017F;icht.<lb/>
Derjenige, welcher zum armenrechte gela&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn<lb/>
will, muß &#x017F;ich desfalls bei dem richter gebu&#x0364;rend<lb/>
melden; anbeneben die armut beglaubigen: in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">betracht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0144] XII haubtſtuͤck § 105 Ein armer kan auch wohl ſeyn, welcher derma- len von einkuͤnften, und vom gelte entbloͤſſet iſt. Allſo kan einer in krigeslaͤuften wohl ritterguͤter haben, auch ein capitaliſt ſeyn, und doch kein gelt haben; mithin die proceß-koſten nicht tragen. Diſe heiſſen vermoͤgende arme. Diſen gebuͤret eben- falls, nach befinden, das armen-recht. Man hat naͤchſt dem, arme im proceſſe, und allmoſen-beduͤrf- tige, bettler; (egenus) der nichts hat: mithin we- der bewegliche, noch unbewegliche guͤter beſizet. Das wort: arm, arme leute ꝛc. hat mancherlei be- deutungen, Haltaus ſp. 52 fg., und ſp. 160, unter bettelſtab, repertorium iur. priuati im Iten th. ſ. 302 fg. daher ſind ſie zweierlei, 1) nach dem pro- ceſſe, 2) nach dem unterhalte. Jn Sachſen, nach dem proceſſe ſind ſolche arm, welche keine 50 Mfl. in vermoͤgen haben. Das roͤmiſche recht ſezet die ſumme auf 50 aureos, Gaill obſ. cam. lib. 1065 142 n. 8. Jn Teutſchlande ſihet man hirbei auf den zuſtand, und die beſchaffenheit, auch die wuͤrde, und koͤmmt eben auf die ſumme nicht an, ob es 20 und merere gulden ſind; ſondern es iſt genug, wenn einer ſchwoͤren kan: daß er nicht im ſtande ſei: ſo vil aufzubringen, als die proceß-koſten, und advo- caten-gebuͤren erfodern, und ſie zu bezalen, auch nicht ſo vil verdinen koͤnne. Schon in den aͤlteren zeiten ſorgeten die Teutſche fuͤr den armen ſo gut, als fuͤr den reichen, um ihm recht zu ſchaffen, re- pert. iur. priu. th. I ſ. 303, § 2, a. Daher auch die armen-ſachen von jeher fuͤr ſehr befreiet geach- tet worden ſind. Die erbarmungswuͤrdige perſo- nen ſtanden unter den notarien, und deren aufſicht. Derjenige, welcher zum armenrechte gelaſſen ſeyn will, muß ſich desfalls bei dem richter gebuͤrend melden; anbeneben die armut beglaubigen: in betracht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/estor_rechtsgelehrsamkeit03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/estor_rechtsgelehrsamkeit03_1767/144
Zitationshilfe: Estor, Johann Georg: Der Teutschen rechtsgelahrheit. Bd. 3. Frankfurt (Main), 1767, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/estor_rechtsgelehrsamkeit03_1767/144>, abgerufen am 30.12.2024.