Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Estor, Johann Georg: Der Teutschen rechtsgelahrheit. Bd. 3. Frankfurt (Main), 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
II b., LXXVIII h. von der enterbung.
Acht und sibenzigstes haubtstück
von der enterbung.
§ 2978

Bei den alten Teutschen war die römische ent-
erbung, und der römische pflichtteil (§ 2959),
weder bekannt, noch bräuchlich. Ob nun wohl
nachher das römische recht eingefüret worden ist;
so kan man dises doch bei dem teutschen adel nicht
schlechterdinges, sondern mit unterschide, anwen-
den. Der haubt- und grundsaz dahir ist diser:
ein regent, und der teutsche adel besizet entweder
die staten, stammlande, stamm- oder lehngüter,
oder folche sachen, welche dergleichen nicht sind;
sondern eigen sind, und weder zu den stammgü-
tern noch zur statserbschaft gehören. Jn disen
eigenen gütern kan die enterbung statt finden; wo-
hin die beispile, welche der Haltaus sp. 320 unter
dem worte: enterben anzihet, gehören, und aus-
zudeuten sind. Dargegen tut das alamannische
recht nichts; in betracht dessen verfasser die nov.
115 und das römische recht darin ins teutsche über-
sezet hat; mithin kein teutsches recht dißfalls ent-
hält, oder zum wenigsten beide mit einander ver-
mischet. Denn über die staten, welche keine
blosse erblande sind; sondern entweder wahlreiche
abgeben, oder stammlande, oder stammlehngüter
sind, darüber hat der vater keine macht frei zu ge-
baren; vilmehr ist der erste erwerber derjenige, wel-
chem das kind erbfolge zu danken hat (§ 2949).
Wie kan allso der vater seinem kinde das von sei-
nen anen wohlerworbene recht entzihen? Spricht
man: dises kind ist ein verschwender, ein tauge
nichts, ein narr, ein mensch, welcher sich an sei-
nem vater vergangen, oder wider dessen willen sich

ver-
U u u 3
II b., LXXVIII h. von der enterbung.
Acht und ſibenzigſtes haubtſtuͤck
von der enterbung.
§ 2978

Bei den alten Teutſchen war die roͤmiſche ent-
erbung, und der roͤmiſche pflichtteil (§ 2959),
weder bekannt, noch braͤuchlich. Ob nun wohl
nachher das roͤmiſche recht eingefuͤret worden iſt;
ſo kan man diſes doch bei dem teutſchen adel nicht
ſchlechterdinges, ſondern mit unterſchide, anwen-
den. Der haubt- und grundſaz dahir iſt diſer:
ein regent, und der teutſche adel beſizet entweder
die ſtaten, ſtammlande, ſtamm- oder lehnguͤter,
oder folche ſachen, welche dergleichen nicht ſind;
ſondern eigen ſind, und weder zu den ſtammguͤ-
tern noch zur ſtatserbſchaft gehoͤren. Jn diſen
eigenen guͤtern kan die enterbung ſtatt finden; wo-
hin die beiſpile, welche der Haltaus ſp. 320 unter
dem worte: enterben anzihet, gehoͤren, und aus-
zudeuten ſind. Dargegen tut das alamanniſche
recht nichts; in betracht deſſen verfaſſer die nov.
115 und das roͤmiſche recht darin ins teutſche uͤber-
ſezet hat; mithin kein teutſches recht dißfalls ent-
haͤlt, oder zum wenigſten beide mit einander ver-
miſchet. Denn uͤber die ſtaten, welche keine
bloſſe erblande ſind; ſondern entweder wahlreiche
abgeben, oder ſtammlande, oder ſtammlehnguͤter
ſind, daruͤber hat der vater keine macht frei zu ge-
baren; vilmehr iſt der erſte erwerber derjenige, wel-
chem das kind erbfolge zu danken hat (§ 2949).
Wie kan allſo der vater ſeinem kinde das von ſei-
nen anen wohlerworbene recht entzihen? Spricht
man: diſes kind iſt ein verſchwender, ein tauge
nichts, ein narr, ein menſch, welcher ſich an ſei-
nem vater vergangen, oder wider deſſen willen ſich

ver-
U u u 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f1069" n="1045"/>
      <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II</hi> b., <hi rendition="#aq">LXXVIII</hi> h. von der enterbung.</hi> </fw><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Acht und &#x017F;ibenzig&#x017F;tes haubt&#x017F;tu&#x0364;ck<lb/>
von der enterbung.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <head>§ 2978</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">B</hi>ei den alten Teut&#x017F;chen war die ro&#x0364;mi&#x017F;che ent-<lb/>
erbung, und der ro&#x0364;mi&#x017F;che pflichtteil (§ 2959),<lb/>
weder bekannt, noch bra&#x0364;uchlich. Ob nun wohl<lb/>
nachher das ro&#x0364;mi&#x017F;che recht eingefu&#x0364;ret worden i&#x017F;t;<lb/>
&#x017F;o kan man di&#x017F;es doch bei dem teut&#x017F;chen adel nicht<lb/>
&#x017F;chlechterdinges, &#x017F;ondern mit unter&#x017F;chide, anwen-<lb/>
den. Der haubt- und grund&#x017F;az dahir i&#x017F;t di&#x017F;er:<lb/>
ein regent, und der teut&#x017F;che adel be&#x017F;izet entweder<lb/>
die &#x017F;taten, &#x017F;tammlande, &#x017F;tamm- oder lehngu&#x0364;ter,<lb/>
oder folche &#x017F;achen, welche dergleichen nicht &#x017F;ind;<lb/>
&#x017F;ondern eigen &#x017F;ind, und weder zu den &#x017F;tammgu&#x0364;-<lb/>
tern noch zur &#x017F;tatserb&#x017F;chaft geho&#x0364;ren. Jn di&#x017F;en<lb/>
eigenen gu&#x0364;tern kan die enterbung &#x017F;tatt finden; wo-<lb/>
hin die bei&#x017F;pile, welche der <hi rendition="#fr">Haltaus</hi> &#x017F;p. 320 unter<lb/>
dem worte: <hi rendition="#fr">enterben</hi> anzihet, geho&#x0364;ren, und aus-<lb/>
zudeuten &#x017F;ind. Dargegen tut das alamanni&#x017F;che<lb/>
recht nichts; in betracht de&#x017F;&#x017F;en verfa&#x017F;&#x017F;er die nov.<lb/>
115 und das ro&#x0364;mi&#x017F;che recht darin ins teut&#x017F;che u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;ezet hat; mithin kein teut&#x017F;ches recht dißfalls ent-<lb/>
ha&#x0364;lt, oder zum wenig&#x017F;ten beide mit einander ver-<lb/>
mi&#x017F;chet. Denn u&#x0364;ber die &#x017F;taten, welche keine<lb/>
blo&#x017F;&#x017F;e erblande &#x017F;ind; &#x017F;ondern entweder wahlreiche<lb/>
abgeben, oder &#x017F;tammlande, oder &#x017F;tammlehngu&#x0364;ter<lb/>
&#x017F;ind, daru&#x0364;ber hat der vater keine macht frei zu ge-<lb/>
baren; vilmehr i&#x017F;t der er&#x017F;te erwerber derjenige, wel-<lb/>
chem das kind erbfolge zu danken hat (§ 2949).<lb/>
Wie kan all&#x017F;o der vater &#x017F;einem kinde das von &#x017F;ei-<lb/>
nen anen wohlerworbene recht entzihen? Spricht<lb/>
man: di&#x017F;es kind i&#x017F;t ein ver&#x017F;chwender, ein tauge<lb/>
nichts, ein narr, ein men&#x017F;ch, welcher &#x017F;ich an &#x017F;ei-<lb/>
nem vater vergangen, oder wider de&#x017F;&#x017F;en willen &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U u u 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1045/1069] II b., LXXVIII h. von der enterbung. Acht und ſibenzigſtes haubtſtuͤck von der enterbung. § 2978 Bei den alten Teutſchen war die roͤmiſche ent- erbung, und der roͤmiſche pflichtteil (§ 2959), weder bekannt, noch braͤuchlich. Ob nun wohl nachher das roͤmiſche recht eingefuͤret worden iſt; ſo kan man diſes doch bei dem teutſchen adel nicht ſchlechterdinges, ſondern mit unterſchide, anwen- den. Der haubt- und grundſaz dahir iſt diſer: ein regent, und der teutſche adel beſizet entweder die ſtaten, ſtammlande, ſtamm- oder lehnguͤter, oder folche ſachen, welche dergleichen nicht ſind; ſondern eigen ſind, und weder zu den ſtammguͤ- tern noch zur ſtatserbſchaft gehoͤren. Jn diſen eigenen guͤtern kan die enterbung ſtatt finden; wo- hin die beiſpile, welche der Haltaus ſp. 320 unter dem worte: enterben anzihet, gehoͤren, und aus- zudeuten ſind. Dargegen tut das alamanniſche recht nichts; in betracht deſſen verfaſſer die nov. 115 und das roͤmiſche recht darin ins teutſche uͤber- ſezet hat; mithin kein teutſches recht dißfalls ent- haͤlt, oder zum wenigſten beide mit einander ver- miſchet. Denn uͤber die ſtaten, welche keine bloſſe erblande ſind; ſondern entweder wahlreiche abgeben, oder ſtammlande, oder ſtammlehnguͤter ſind, daruͤber hat der vater keine macht frei zu ge- baren; vilmehr iſt der erſte erwerber derjenige, wel- chem das kind erbfolge zu danken hat (§ 2949). Wie kan allſo der vater ſeinem kinde das von ſei- nen anen wohlerworbene recht entzihen? Spricht man: diſes kind iſt ein verſchwender, ein tauge nichts, ein narr, ein menſch, welcher ſich an ſei- nem vater vergangen, oder wider deſſen willen ſich ver- U u u 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/estor_rechtsgelehrsamkeit03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/estor_rechtsgelehrsamkeit03_1767/1069
Zitationshilfe: Estor, Johann Georg: Der Teutschen rechtsgelahrheit. Bd. 3. Frankfurt (Main), 1767, S. 1045. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/estor_rechtsgelehrsamkeit03_1767/1069>, abgerufen am 21.12.2024.