Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Hör' ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will --
Ich möcht' am liebsten sterben,
Da wär's auf einmal still!

Bei einer Linde.
Seh' ich Dich wieder, Du geliebter Baum,
In dessen junge Triebe
Ich einst in jenes Frühlings schönstem Traum
Den Namen schnitt von meiner ersten Liebe?
Wie anders ist seitdem der Aeste Bug,
Verwachsen und verschwunden
Im härt'ren Stamm der vielgeliebte Zug,
Wie ihre Liebe und die schönen Stunden!
Auch ich seitdem wuchs stille fort, wie Du,
Und nichts an mir wollt' weilen,
Doch meine Wunde wuchs -- und wuchs nicht zu,
Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.

Der Kranke.
Vögelein munter
Singen so schön,
Laß't mich hinunter
Spazieren gehn!
Hoͤr' ich das Muͤhlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will —
Ich moͤcht' am liebſten ſterben,
Da waͤr's auf einmal ſtill!

Bei einer Linde.
Seh' ich Dich wieder, Du geliebter Baum,
In deſſen junge Triebe
Ich einſt in jenes Fruͤhlings ſchoͤnſtem Traum
Den Namen ſchnitt von meiner erſten Liebe?
Wie anders iſt ſeitdem der Aeſte Bug,
Verwachſen und verſchwunden
Im haͤrt'ren Stamm der vielgeliebte Zug,
Wie ihre Liebe und die ſchoͤnen Stunden!
Auch ich ſeitdem wuchs ſtille fort, wie Du,
Und nichts an mir wollt' weilen,
Doch meine Wunde wuchs — und wuchs nicht zu,
Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.

Der Kranke.
Voͤgelein munter
Singen ſo ſchoͤn,
Laß't mich hinunter
Spazieren gehn!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0238" n="228"/>
            <lg n="5">
              <l>Ho&#x0364;r' ich das Mu&#x0364;hlrad gehen:</l><lb/>
              <l>Ich weiß nicht, was ich will &#x2014;</l><lb/>
              <l>Ich mo&#x0364;cht' am lieb&#x017F;ten &#x017F;terben,</l><lb/>
              <l>Da wa&#x0364;r's auf einmal &#x017F;till!</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="3">
          <head><hi rendition="#g">Bei einer Linde</hi>.<lb/></head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l><hi rendition="#in">S</hi>eh' ich Dich wieder, Du geliebter Baum,</l><lb/>
              <l>In de&#x017F;&#x017F;en junge Triebe</l><lb/>
              <l>Ich ein&#x017F;t in jenes Fru&#x0364;hlings &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;tem Traum</l><lb/>
              <l>Den Namen &#x017F;chnitt von meiner er&#x017F;ten Liebe?</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Wie anders i&#x017F;t &#x017F;eitdem der Ae&#x017F;te Bug,</l><lb/>
              <l>Verwach&#x017F;en und ver&#x017F;chwunden</l><lb/>
              <l>Im ha&#x0364;rt'ren Stamm der vielgeliebte Zug,</l><lb/>
              <l>Wie ihre Liebe und die &#x017F;cho&#x0364;nen Stunden!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Auch ich &#x017F;eitdem wuchs &#x017F;tille fort, wie Du,</l><lb/>
              <l>Und nichts an mir wollt' weilen,</l><lb/>
              <l>Doch <hi rendition="#g">meine</hi> Wunde wuchs &#x2014; und wuchs nicht zu,</l><lb/>
              <l>Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="3">
          <head><hi rendition="#g">Der Kranke</hi>.<lb/></head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l><hi rendition="#in">V</hi>o&#x0364;gelein munter</l><lb/>
              <l>Singen &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
              <l>Laß't mich hinunter</l><lb/>
              <l>Spazieren gehn!</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0238] Hoͤr' ich das Muͤhlrad gehen: Ich weiß nicht, was ich will — Ich moͤcht' am liebſten ſterben, Da waͤr's auf einmal ſtill! Bei einer Linde. Seh' ich Dich wieder, Du geliebter Baum, In deſſen junge Triebe Ich einſt in jenes Fruͤhlings ſchoͤnſtem Traum Den Namen ſchnitt von meiner erſten Liebe? Wie anders iſt ſeitdem der Aeſte Bug, Verwachſen und verſchwunden Im haͤrt'ren Stamm der vielgeliebte Zug, Wie ihre Liebe und die ſchoͤnen Stunden! Auch ich ſeitdem wuchs ſtille fort, wie Du, Und nichts an mir wollt' weilen, Doch meine Wunde wuchs — und wuchs nicht zu, Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen. Der Kranke. Voͤgelein munter Singen ſo ſchoͤn, Laß't mich hinunter Spazieren gehn!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/238
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/238>, abgerufen am 21.11.2024.