Das Rad an meines Vaters Mühle braußte und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich saß auf der Thürschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen, mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit Ta¬ gesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: "Du Tauge¬ nichts! da sonnst Du Dich schon wieder und dehnst und reckst Dir die Knochen müde, und läßt mich alle Arbeit allein thun. Ich kann Dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist vor der Thüre, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb Dir selber Dein Brodt." -- "Nun," sagte ich, "wenn ich ein Tau¬ genichts bin, so ist's gut, so will ich in die Welt ge¬ hen und mein Glück machen." Und eigentlich war mir das recht lieb, denn es war mir kurz vorher sel¬ ber eingefallen, auf Reisen zu gehn, da ich den Gold¬ ammer, der im Herbst und Winter immer betrübt an unserem Fenster sang: "Bauer, mieth' mich, Bauer
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Erſtes Kapitel.
Das Rad an meines Vaters Muͤhle braußte und rauſchte ſchon wieder recht luſtig, der Schnee troͤpfelte emſig vom Dache, die Sperlinge zwitſcherten und tummelten ſich dazwiſchen; ich ſaß auf der Thuͤrſchwelle und wiſchte mir den Schlaf aus den Augen, mir war ſo recht wohl in dem warmen Sonnenſcheine. Da trat der Vater aus dem Hauſe; er hatte ſchon ſeit Ta¬ gesanbruch in der Muͤhle rumort und die Schlafmuͤtze ſchief auf dem Kopfe, der ſagte zu mir: „Du Tauge¬ nichts! da ſonnſt Du Dich ſchon wieder und dehnſt und reckſt Dir die Knochen muͤde, und laͤßt mich alle Arbeit allein thun. Ich kann Dich hier nicht laͤnger fuͤttern. Der Fruͤhling iſt vor der Thuͤre, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb Dir ſelber Dein Brodt.“ — „Nun,“ ſagte ich, „wenn ich ein Tau¬ genichts bin, ſo iſt's gut, ſo will ich in die Welt ge¬ hen und mein Gluͤck machen.“ Und eigentlich war mir das recht lieb, denn es war mir kurz vorher ſel¬ ber eingefallen, auf Reiſen zu gehn, da ich den Gold¬ ammer, der im Herbſt und Winter immer betruͤbt an unſerem Fenſter ſang: „Bauer, mieth' mich, Bauer
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[0013]
Erſtes Kapitel.
Das Rad an meines Vaters Muͤhle braußte und
rauſchte ſchon wieder recht luſtig, der Schnee troͤpfelte
emſig vom Dache, die Sperlinge zwitſcherten und
tummelten ſich dazwiſchen; ich ſaß auf der Thuͤrſchwelle
und wiſchte mir den Schlaf aus den Augen, mir war
ſo recht wohl in dem warmen Sonnenſcheine. Da
trat der Vater aus dem Hauſe; er hatte ſchon ſeit Ta¬
gesanbruch in der Muͤhle rumort und die Schlafmuͤtze
ſchief auf dem Kopfe, der ſagte zu mir: „Du Tauge¬
nichts! da ſonnſt Du Dich ſchon wieder und dehnſt
und reckſt Dir die Knochen muͤde, und laͤßt mich alle
Arbeit allein thun. Ich kann Dich hier nicht laͤnger
fuͤttern. Der Fruͤhling iſt vor der Thuͤre, geh auch
einmal hinaus in die Welt und erwirb Dir ſelber
Dein Brodt.“ — „Nun,“ ſagte ich, „wenn ich ein Tau¬
genichts bin, ſo iſt's gut, ſo will ich in die Welt ge¬
hen und mein Gluͤck machen.“ Und eigentlich war
mir das recht lieb, denn es war mir kurz vorher ſel¬
ber eingefallen, auf Reiſen zu gehn, da ich den Gold¬
ammer, der im Herbſt und Winter immer betruͤbt an
unſerem Fenſter ſang: „Bauer, mieth' mich, Bauer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/13>, abgerufen am 22.02.2025.
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